Abgeordneter der Woche: Jörn Thießen

Sehr geehrter Herr Thießen,

Ich weiß gar nicht so recht, wo ich anfangen soll, deshalb versuche ich es mal ganz vorne mit dem Grundgesetz.

Artikel 21 I Satz 1 GG

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

dieser Satz bedeutet nicht, daß sich die Parteien darauf beschränken sollen, den Wähler 4 Wochen vor der Wahl mit „Souverän“ anzusprechen und die restlichen 3 Jahre und 11 Monate mit „bloße Meinungsumfrage“, „Druck der Strasse dem man nicht weichen wird“, „Karlsruhe-Touristen“, „Querulanten“.

Es bedeutet, dass man Politik erklärt und nicht, dass man das Wort „alternativlos“ bereits für eine ausreichende Erklärung hält.

Es bedeutet, dass man im Wähler nicht nur 50 Cent Wahlkampfkostenerstattung und Ermöglicher der eigenen goldenen Zukunft sieht.

Bei Ihren Worten in der Bildzeitung:

Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen – das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Wer nicht zur Wahl geht, sollte 50 Euro Strafe zahlen.

fiel mir ganz spontan Bert Brecht ein:

Nach dem Aufstand des 17. Juni ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands

in der Stalinallee Flugblätter verteilen Auf denen zu lesen war, daß das Volk

das Vertrauen der Regierung verscherzt habe Und es nur durch verdoppelte Arbeit

zurückerobern könne. Wäre es da Nicht doch einfacher, die Regierung

löste das Volk auf und Wählte ein anderes?

Es kann ja sein, dass Sie die Tatsache, dass bei der Europawahl nur noch 8,8% der Wahlberechtigten in Deutschland ihr Kreuz bei der SPD gemacht haben, ein wenig erschüttert. Das kann ich durchaus nachvollziehen, Volksparteien sehen irgendwie anders aus.

Den Schluß, den sie ziehen, dass die Leute nur zu faul und zu bequem sind und eigentlich doch fast alle SPD wählen würden, wenn man sie denn ins Wahllokal schleppte, teile ich hingegen nicht.

Ich habe bisher alles gewählt, was man mir angeboten hat.

  • Ortschaftsräte (auch wenn ich deren Sinn nicht ganz verstanden habe, aber man soll Menschen, die sich für die politische Arbeit entschieden haben ja nicht vor den Kopf stossen)
  • Gemeinderäte
  • (Ober-)Bürgermeister
  • Kreistage
  • Landtage
  • Bundestage
  • Europaparlamente

Ich versuche auch Menschen zur Wahl zu animieren, in dem ich ihnen meine Sicht der Dinge darstelle. Ihre Ausführungen zu einer Wahlpflicht und dem Winken mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht sind dabei nur sehr begrenzt hilfreich.

Haben Sie sich schon mal überlegt, dass die Menschen Ihrer Politik einfach überdrüssig sind, dass sie vielleicht mehr wollen, als alle 3-5 Jahre durch Parteigremien abgenickte Listen anzukreuzen?

Annähernd 700’000 Menschen haben in den letzten 20 Jahren die beiden „Volks-„parteien verlassen oder sind weggestorben ohne das Nachwuchs in Sicht war. Das Median-Alter bei den drei Parteien CDU, CSU und SPD liegt momentan bei 58 Jahren. Über 40% aller Mitglieder sind bereits im Ruhestand. Der Median der Bundestagsabgeordneten in der SPD liegt irgendwo bei 56 Jahren, weniger als 10% aller Bundestagsabgeordneten Ihrer Partei sind am Ende der Legislaturperiode unter 40 Jahren. Das wirkt für viele nicht gerade ansprechend für jüngere Menschen.

Alter kann für Weisheit sprechen, aber auch für Rückgrat-Abschleifen im 20-jährigen Kampf durch Orts-, Kreis-, Bezirks- und Landesverbände, bis am Ende das Mandat als heiliger Gral am Horizont erscheint.

Annähernd 1/3 aller Abgeordneten sitzt seit mindestens 15 Jahren im Parlament und scheint ein wenig die Bodenhaftung verloren zu haben. Um die wieder zu bekommen reicht es nicht, wenn man sich einen Helm aufsetzt, durch ein Stahlwerk geführt wird und die eine oder andere Arbeiterhand schüttelt.

Über 96% aller Bundestagsabgeordneten des 16. Bundstages hatten einen Vorberuf im Bereich der Dienstleistung. Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass das Angebot, bestehend aus 23% Juristen, 11% Lehrern, aus 15% Verbands-, Partei- und Bewerkschaftsfunktionären nichts ist, was einen vom Hocker reißt?

Natürlich kann ich in eine Partei eintreten (ich bin schon in einer), aber mal ganz realistisch: Wie lange dauert es wohl Ihrer Meinung nach, bis man nach dem Parteieintritt in die SPD an einem Landesparteitag stimmberechtigt ist und eine Chance hat, die hauptsächlich am Proporz ausgerichteten Kungellisten der Bezirksvorsitzenden zu ändern?

Das alles zu ändern – und damit komme ich am Schluß wieder zum Anfang – würde natürlich bedeuten, dass man Artikel 21 Grundgesetz ernst nimmt. Das würde aber echte Arbeit bedeuten und so ist es vermutlich wirklich viel einfacher, dem dummen Nichtwahlvieh 50 EUR auf’s Auge zu drücken weil es es gewagt hat, nicht zur Wahl zu gehen.

5 Gedanken zu „Abgeordneter der Woche: Jörn Thießen“

  1. und wer bloggt für mich ?
    Wäre es nicht mal an der Zeit einen Blogeintrag für den Herrn Geschäftsführer, seine Geschäftspraktiken und deren Mitarbeieter zu schreiben
    @NKE: diesmal meine ich nicht Dich, Du hast ja noch keine Mitarbeiter 🙂

  2. Der Herr NKE aka „der wächter über die zitate“ muss die Suchfunktion dieses blogs benutzen, um Duplikate zu finden. Pah!
    (ist mir eigentlich nur aufgefallen, weil ich das kurz vorher auch gemacht habe 🙂

  3. Yepp!
    Man kann Wahlen gewinnen, indem man das Volk dazu verknackt, wählen zu gehen.
    Dann wäre ich aber auch dafür, dass die Politiker, wenn sie sich enthalten auch mindestens 500 Euro bezahlen. Dann sie geben dann ihre Stimme auch nicht ab.

    Apropos: Meine Stimme habe ich nicht abgegeben. Ich kann immer noch sprechen 🙂

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