Wer eigentlich streiken sollte

Momentan finden in der Metallbranche 24-stündige Warnstreiks statt, mit denen die Gewerkschaft versucht, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

Heute Morgen standen meine Kolleginnen und Kollegen vor dem Werkstor, weil auch mein Arbeitgeber bestreikt wird.

Wen ich heute Morgen schmerzlich vermisse, mit Warnweste und Trillerpfeife im Mund, sind die Hauptnutznießer einer Gehaltserhöhung, den Bundesminister der Finanzen Peter Altmaier, die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Katarina Barley und den Vorstand meiner gesetzlichen Krankenkasse.

Sie profitieren  natürlich nicht persönlich davon, aber ein Großteil des Geldes kommt nicht beim Arbeitnehmer an, sondern geht für Steuern und Sozialabgaben drauf.

Und weil Bilder mehr als tausend Worte sagen, gibt es jetzt ein Bild dazu:

Das Grüne für den Arbeitnehmer, den Rest bekommen andere

Gerechnet habe ich mit den Daten eines Produktionsmitarbeiters, der momentan so um die 42’000€ brutto im Jahr hat und sich für 6% Gehaltserhöhung gerade die Seele aus dem Leib pfeift.

Ich gehe ja nicht davon aus, dass es am Ende 6% werden, aber mit irgendwas muss ich ja rechnen.
6% macht eine Bruttogehaltserhöhung von 2’520€ und zusätzlich noch 488€ Arbeitgeberbeitrag an den Sozialversicherungsbeiträgen.

Beim Arbeitnehmer am Ende netto in der Tasche bleiben 1’258,21€ beziehungsweise 42%.

Mal wieder Mindestlohn

Laut Spiegel-Online möchte Herr Scholz den Mindestlohn „in einem überschaubaren Zeitraum auf zwölf Euro pro Stunde anheben [..] damit niemand, der Vollzeit arbeite, im Alter auf öffentliche Hilfe angewiesen sei“

Das klingt auf den ersten Blick nach einer nachvollziehbaren Forderung und ich lasse jetzt auch mal völlig außer Acht, dass die Partei von Herrn Scholz maßgeblich dafür zuständig war, dass das Rentenniveau in den letzten 19 Jahren um 10% gesunken ist1, was natürlich ebenfalls mit ein Grund ist, warum Menschen im Alter auf öffentliche Hilfe angewiesen sind.

Was Herr Scholz und die ganzen Kommentatoren aber immer wieder vergessen, wenn so Sätze wie „Wer keine 12€ zahlen kann, hat ein kaputtes Geschäftsmodell“ fallen, ist die Tatsache, dass es für einen Arbeitgeber ja nicht mit den 12€/Stunde getan ist. Genaugenommen stellen die 12€ nur ungefähr die Hälfte der Kosten dar.

Warum das so ist, habe ich zwar schon ganz oft erläutert, aber angekommen scheint es noch nirgends zu sein2.

Versetzen wir uns in die Lage eines Arbeitgebers, der eine Dienstleistung anbieten möchte, nehmen wir mal babysitten3. Dieser Arbeitgeber möchte wissen, zu welchem Preis er eine Stunde babysitten denn anbieten muss, um seine Kosten zu decken.

Was kommt zu den 12€/h noch alles dazu?

Als Arbeitgeber zahle ich ja nicht nur den Bruttolohn, sondern auch noch diverse andere Sachen.

Abwesenheiten

Arbeitnehmer haben Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Laut Bundesurlaubsgesetz sind das 4 Wochen4, laut Tarifvertrag geht das dann teilweise hoch bis auf 6 Wochen. Nehmen wir mal an, dass der Arbeitgeber 5 Wochen gewährt.
Desweiteren hat der Arbeitnehmer gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz Anspruch auf Lohnfortzahlung an gesetzlichen Feiertagen5 sowie im Krankheitsfall. In Baden-Württemberg fallen durchschnittlich 10 von 12 Feiertagen auf einen Wochentag und laut Statistik der Technikerkrankenkasse waren Arbeitnehmer im Jahr 2016 durchschnittlich 15 Arbeitstage krank6.

Es kommt zur ersten Rechnung, wobei ich mit einer 35h-Woche rechne (das ändert inhaltlich nichts, es lässt sich mit konkreten Zahlen aber einfacher darstellen).

Knapp 81% der Zeit, die ich meinen Arbeitnehmer bezahlen muss, steht er mir – und damit potenziellen Kunden – auch zur Verfügung. Das merken wir uns mal und rechnen später weiter.

Sozialversicherung

Eine der größten und hartnäckigsten Lügen ist die, dass man den Sozialversicherungsbeitrag in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil splittet und der Arbeitgeber seinen Teil zahlt. In Wahrheit ist das einfach eine Rechengröße für den Arbeitgeber, denn irgendjemand muss ja auch dieses Geld erwirtschaften, in aller Regel ist das der Arbeitnehmer. Woher auch sonst soll das Geld kommen? Der Anteil der Sozialversicherungen, der beim Arbeitnehmer zwar nicht auf dem Lohnzettel auftaucht, aber trotzdem bezahlt werden muss, setzt sich wie folgt zusammen:


Der „Arbeitgeber“-Anteil beträgt gut 24%, die muss ich bei der Kalkulation berücksichtigen, ich habe keine Privatschatulle, aus der ich das bezahlen könnte.

Wir sind noch nicht am Ende, der Finanzminister möchte ja auch noch beteiligt werden.

Umsatzsteuer

In Deutschland erbrachte Leistungen unterliegen der Umsatzsteuer, es sei denn, man findet irgendeine Ausnahme im Umsatzsteuergesetz7, die sich für die Tätigkeit „Babysitten“ leider nicht ergibt. Also kommen noch 19% Mehrwertsteuer auf die Leistung. Auch die müssen von irgendjemand erwirtschaftet werden und Privathaushalte interessieren sich in aller Regel für den Endbetrag und nicht so sehr, wie sich der Betrag aufschlüsselt.

Kalkulation

Ich weiß, dass da noch ganz viele Dinge fehlen, wie Administrationskosten (irgendwoher müssen die Leute ja wissen, dass ich etwas anbiete und irgendwer muss ja auch die Pläne machen …), aber ich finde das, was jetzt rauskommt auch schon obszön hoch genug.


Keine Angst, wir sind gleich fertig. Es fehlt nur noch ein Schritt um die Frage zu beanworten, für wieviel wir die Stunde babysitten anbieten müssen, um zumindest die direkten Personalkosten zu decken. Dafür teilen wir die errechneten 32’405€ durch die ebenfalls errechneten 1’477 Stunden, die der Arbeitnehmer zur Verfügung steht.

Heraus kommen knapp 22€. Nur für die direkten Personalkosten. Wer nur 22€ verlangt, wird über kurz oder lang in die Insolvenz rutschen.

Was ich am traurigsten oder je nach Stimmung am lustigsten finde ist, was am Ende beim Babysitter ankommt. Denn 12€ Stundenlohn bedeuten ja nicht 12€ netto. Um auch die bezahlten Tage (Urlaub, Feiertag, Krankheit) zu berücksichtigen, nehme ich für folgendes Schaubild  einfach die Jahresbasis (ändert nichts am Inhalt):

Vielleicht wäre es ja mal ein Ansatzpunkt, im Bereich des Niedriglohnsektors den blauen Anteil zu vergrößern, statt einfach alles aufzublähen. Denn allzu viele Menschen, die sich für den Kinobesuch einen offiziellen Babysitter leisten können, wird es nicht geben, wenn der mit knapp 100€ zu Buche schlägt.

 

 

  1. Rentenniveau []
  2. Nein, ich lebe nicht mit der Hybris, dass wirklich jemand wichtiges meine Beiträge liest, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt []
  3. kleine Kinder und Tiere gehen immer []
  4. Bundesurlaubsgesetz []
  5. EntFG []
  6. Fehlzeiten 2016 []
  7. Umsatzsteuergesetz []

Doch mal wieder Politik

Der CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg legt einen Drei-Punkte-Plan vor: „Gezielte Desinformation zur Destabilisierung eines Staates sollte unter Strafe gestellt werden“, sagte er unserer Redaktion. Auch müssten Verleumdungen im Internet „stärker verfolgt werden“. Da wäre die Justiz gefragt. Zum anderen müssen wir überlegen, „ob es eine Art ,Prüfstelle‘ geben soll, die Propaganda-Seiten aufdeckt und kennzeichnet“.

(Berliner Morgenpost vom 13.12.2016)

Und jetzt muss ich ein wenig Artikelrecycling aus dem Jahr 2011 betreiben:

ehemalige Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen

Freiheit ist nichts, was man sich einmalig erkämpft, dann abhakt und beruhigt und gedankenlos auf die Seite legen kann. Freiheit muss verteidigt und neu erkämpft werden. Und zwar so, dass sie nicht das erste Opfer dieses Kampfes wird.

Von Angela Merkel gibt es den schönen Satz:

„Dann ist das nicht mehr mein Land“.

Wenn ich mich so umschaue, dann ist es bald auch nicht mehr meins. Vielleicht war es das auch nie.

Für ein Fußballspiel während einer EM und der Party dazu versammeln sich Hunderttausende auf den Straßen, die Geschichte von Pietro Lombardi und Sarah1 können vermutlich Millionen nacherzählen, die Einschaltquoten, wenn sich F-Promis im australischen Dschungel in Kakerlaken wälzen, sind gut zweistellig. Das ist zwar alles nicht so meins, aber Menschen sind unterschiedlich und wenn’s Spaß macht.

Aber merkt ihr eigentlich, dass man Euch Stück für Stück die Freiheit nimmt?
Am Anfang hat man noch Kinderschänder und Terroristen bemühen müssen, um den Unsinn irgendwie begründen zu können. Mittlerweile reicht es schon, dass irgendjemand Quatsch erzählt, den eigentlich jeder 10-Jährige als solchen erkennen müsste, wenn er seinen Kopf nicht nur zum Tragen einer Mütze hat.

Eine Prüfstelle, die Propaganda-Seiten kennzeichnet? Echt jetzt?
Was haben Sie für ein Menschenbild Herr Sensburg?

Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein.
Albert Einstein

Mission accomplished!

  1. ich musste ihren Namen googlen []

Sonntagsrückblick

Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.

Karl Marx

Was für die großen Tatsachen gilt, gilt auch für die kleinen.
Charles de Gaulle/Matteo Renzi scheiterte 1969/2016 in Frankreich/Italien bei einer Volksabstimmung mit seiner Reform der Regionalverwaltung und des Senats, an deren Zustimmung er sein politisches Überleben geknüpft hatte.

Bei de Gaulle wird kolportiert, dass er eine beim Volk beliebte Reform dadurch stoppen wollte. Was Matteo Renzi geritten hat, weiß vermutlich nur er.

frataly
Haben nicht nur ähnliche Flaggen: Frankreich und Italien

Ob der Abgang de Gaulles eine Tragödie war, kann ich mal dahin gestellt lassen, die Abstimmung in Italien war auf jeden Fall eine Farce.

Nicht so eine Farce, die in Österreich Faschiertes heißt. Das haben gestern die Wählerinnen und Wähler der Alpenrepublik ja dann doch nicht so gewollt und im dritten Anlauf den Bundespräsidenten gewählt, den sie schon beim ersten Mal gewählt hatten.

Warum das jetzt allerdings ein Schlag gegen den „Rechtspopulismus“ in Europa gewesen sein soll, erschließt sich mir nicht so ganz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass heute Morgen Millionen AfD-Wähler1 aufgewacht sind, sich verwundert die Augen gerieben haben und ein „Oh Gott, heißt das etwa, ich hätte die gar nicht wählen müssen“ ausgestoßen haben.

Aber nachdem man ja aktuell die Sau durchs Dorf treibt, dass Trump wegen „Big Data“ gewonnen hat, während Clinton nur „Big Money“ auf ihrer Seite hatte, ist vermutlich alles möglich, was mich zum letzten Punkt bringt, dass die Analysemethoden in Deutschland eher noch verbesserungsbedürftig sind. Zumindest bei mir trifft der „vorgeschlagene Beitrag“ bei facebook, doch mal ein Helene-Fischer-Konzert zu besuchen in etwa genau dort, wo auch die Überlegungen landen, Martin Schulz zum Kanzlerkandidat der SPD zu machen.
Andererseits sind ihre Konzerte ausgebucht. Vielleicht sollte ich mir das mit Kanada doch als längerfristige Option überlegen.

  1. 1,6 Millionen bei den Landtagswahlen in diesem Jahr, um genau zu sein []

Landesvertreterversammlungen bzw. vorgezogene Wahlen zum deutschen Bundestag

„iih, Politk“ höre ich den Großteil meiner Bekannten ausrufen. Und es kommt noch schlimmer, es geht um Wahlrecht. Dabei hatte ich doch versprochen, die Finger von der Politik zu lassen.

Stimmt, aber ich mache ja auch Auftragsarbeiten und dieses Wochenende waren ziemlich viele Landesvertreterversammlungen, auf denen die Parteien ihre Landeslisten für die nächsten Bundestagswahlen bestimmt haben.

Und der ein oder andere grübelt noch, was denn genau sein Platz auf der Landesliste bedeutet und ob er schon mal Sekt kaltstellen kann, oder das noch verfrüht beziehungsweise sinnlos wäre.

Ich lasse mal die Berechnungen zur Sitzzuteilung je Bundesland aussen vor, die liest sowieso keiner. Am Ende stehen auf jeden Fall aufgrund der Bevölkerungsgröße dem Bundesland Baden-Württemberg mindestens 76 Abgeordnete zu.

Die verteilen sich auf die Parteien, die die 5%-Hürde überspringen werden, was aller Voraussicht nach CDU, SPD, Grünen, Linken und der AFD gelingen wird.

Wenn ich die aktuellen Umfragergebnisse von wahlrecht.de zugrundelege, dann bedeutet das bei einem fiktiven Wahlergebnis von

CDU SPD Grüne AFD Linke FDP
32% 23% 11% 12% 9% 7%

folgendes:

CDU SPD Grüne AFD Linke FDP
26 Sitze 18 Sitze 9 Sitze 10 Sitze 7 Sitze 6 Sitze

Das sind allerdings nur die Rohergebnisse, besonders die Listenplätze 5 bis 7 der Linken sollten sich nicht zu früh freuen, denn es kommt natürlich auch noch auf das Landesergebnis der Partei an.

In Bundesländern, in denen die Linke stark ist (ganz pauschal mal im Osten), stellt sie pro Bundesland mehr Abgeordnete, als es das bundesweite Wahlergebnis vermuten läßt, in Ländern, in denen sie eher schwach ist (beispielsweise in Baden-Württemberg) stellt sie weniger.

So ganz grob kann man für Baden-Württemberg sagen, dass die CDU, die Grünen und die FDP stärker sind als im Bundesschnitt, während SPD und Linke schwächer sind. Die AfD liegt ungefähr auf Bundesschnitt.

Meine Glaskugel ist gerade in Inspektion, aber ich tippe mal trotzdem folgendes Landesergebnis:

CDU SPD Grüne AFD Linke FDP
37% 18% 13% 12% 5% 8%

was dann folgende Sitzverteilung ergäbe:

CDU SPD Grüne AFD Linke FDP
32 Sitze 16 Sitze 11 Sitze 10 Sitze 4 Sitze 7 Sitze

Bei der CDU hängt alles davon ab, wieviele der 38 Wahlkreise sie direkt gewinnen kann und ob ob die Landesliste überhaupt irgendeine Relevanz hat, da sie an Zweitstimmen vermutlich nicht mehr das Niveau von 2013 (45,7%) erreichen wird.

Bei allen anderen Parteien sind Direktmandate eher unwahrscheinlich, so dass es ausschliesslich auf die Landeslisten ankommen wird.

Wer es in der jeweiligen Landesliste (außer bei der CDU) auf einen Listenplatz schafft, der 2 Plätze vor den oben geschriebenen liegt, ist ziemlich sicher ab September MdB, wer 3 Plätze weiter unten steht, sollte sich den Champagnerkauf vielleicht noch mal überlegen, es gibt auch was Sprudliges von Selters.

Diese Landeslisten werden weit vor der eigentlichen Bundestagswahl von Delegierten gewählt, um den Titel dieses Beitrags aufzulösen.

Wer den Sinn dieses Bildes errät, bekommt einen Fleisspunkt