Julis in Ba-Wü möchten Wahlrecht ändern

Die Jungen Liberalen in Baden-Württemberg möchten das Landtagswahlrecht ändern.

http://www.julis-bw.de/node/1240

Die FDP/DVP Baden-Württemberg setzt sich für eine Reform des Landtagswahlrechts zu einer personalisierten Verhältniswahl mit zwei Stimmen ein, das sich am Bundeswahlrecht orientiert. Mit der Landesstimme(„Zweitstimme“) wählt der Wähler demnach eine geschlossene Parteiliste.

Auf den ersten Blick sieht das ganze (gerade für Parteien jenseits der CDU) verführerisch aus.

Bei einer Landesliste

  • kann der Proporz viel besser erreicht werden, zwischen Männern/Frauen, Alten/Jungen, Badnern/Schwaben …
  • liegt die Zusammensetzung der Fraktion beim Landesparteitag (mit einem hohen Anteil altgedienter Parteimitglieder) und nicht bei 70 Wahlkreisversammlungen, die teilweise nur saumässig schlecht besucht waren/sind (des öfteren lag die Anzahl der Wahlberechtigten unter 20)
  • man ist als Kandidat nicht so sehr davon abhängig, wen die politische Konkurrenz im Wahlkreis aufstellt
  • auch Kandidaten aus Diaspora-Gebieten (für die SPD z.B. ganz Baden-Württemberg mit Ausnahme von Mannheim I) haben eine Chance, in den Landtag zu kommen
  • gerade in knappen Wahlkreisen spielt die Lagerproblematik keine Rolle (man könnte als FDP-Anhänger in Mannheim I den CDU-Abgeordneten mit seiner Erststimme und die FDP mit der Zweitstimme wählen).

Auf der anderen Seite gehen viele Möglichkeiten der Einflussnahme der Basis verloren. Die politische Einflußmöglichkeit würde ebenso wie auf Bundesebene darauf beschränkt, 2 5 Mitglieder für den Landesparteitag bzw. zur Landesvertreterversammlung zu wählen und ansonsten noch einen chancenlosen Direktkandidaten zu nominieren. Dessen Erfolg hängt einzig davon ab, wie weit nach oben er es in die Landesliste schafft, das Wahlkreisergebnis ist nebensächlich. Man erschafft damit Abgeordnete, die ihr Mandat nicht dem Wähler (dass sind die, die kurz vor der Wahl immer als Souverän bezeichnet werden und von denen gemäß diesem komischen Grundgesetz alle Staatsgewalt ausgeht) verdanken, sondern einzig der Partei. Das kann man gut finden, muss man aber nicht.

Wenn man sich die letzte Bundestagswahl im Wahlkreis Ravensburg anschaut, dann hat der Direktkandidat dort 14,1% der Erststimmen geholt, stand allerdings nur auf Platz 36 der Landesliste. Das hat nicht gereicht.

Der Direktkandidat aus dem Wahlkreis Karlsruhe-Stadt hat 8,4% der Erststimmen auf sich vereinigen können, allerdings hat es bei ihm aufgrund des Listenplatzes 15 noch mit einem Einzug in den Bundestag geklappt. Für Freiburg und Mannheim gilt das gleiche. Um in Baden-Württemberg ein nicht durch die Landesliste abgesicherter Erstkandidat für die FDP bei einer Bundestagswahl zu werden, braucht es sehr viel Zeit, Geld und Enthusiasmus. Ein überdurchschnittliches Erststimmenergebnis wird bei der Aufstellung der nächsten Landesliste nämlich weder automatisch noch manuell berücksichtigt. Da kommt es nur darauf an, aus welcher Region man kommt und ob es bekanntere oder bereits im Bundestag sitzende FDP-Mitglieder gibt, die den Platz beanspruchen.

Die FDP wird von vielen als Partei wahrgenommen, die man auf Bundes- und Landesebene wählen kann, darunter spielt sie in vielen Regionen keine Rolle. Wenn man sich die Zahlen der Kommunalwahl 2009 und die der gleichzeitig stattfindenden Europawahlen anschaut, dann sieht man eine grosse Stimmdiskrepanz. Bei den Kreistagswahlen erreichte die FDP 7,8%, bei den Gemeinderatswahlen 6,2% und bei den Europawahlen 14,1%. Das nur darauf zu schieben, dass die FDP eben eine kleine Partei ist, die in kleinen Parlamenten unterrepräsentiert ist, wird durch die Tatsache widerlegt, dass die Grünen im Vergleich zu den 15,0% bei der Europawahl mit 10,3% bei den Gemeinderatswahlen und 11,7% bei den Kreistagswahlen erheblich weniger Wähler beim Wechseln der Stimmzettel verloren haben, als die FDP.

Wenn man der Basis jetzt noch die Möglichkeit nimmt, Kandidaten für den Landtag zu nominieren in dem man das ganze auf eine (für das einfache FDP-Mitglied)relativ anonmye Versammlung in Stuttgart (oder wo auch immer sie tagt) deligiert, könnte die Lust auf die Mitarbeit weiter schmälern

Natürlich könnte man jetzt sagen, dass sich die FDP auf ihre Kernkompetenzen besinnen sollte und das politische Geschäft den Profis überlässt, die jetzt in ihrer 6. Wahlperiode (Birgit Homburger) bzw. 4. Wahlperiode (Dirk Niebel, Ernst Burgbacher) im Bundestag sitzen.

Dann besteht meines Erachtens aber die Gefahr, dass der Unterbau komplett wegbricht.

Die FDP ist nicht so tief in der Gesellschaft verankert und geht wie alle Parteien durch Hochs (wenn gerade die politische Konkurrenz regiert) und Tiefs (wenn sie selbst am regieren sind). Allerdings geht es bei der FDP oft darum, den Einzug ins Parlament überhaupt zu schaffen.

Ende der 90er Jahre war die FDP in den Landesparlamenten von Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachen-Anhalt und Thüringen nicht vertreten und hatte 6,2% Zweitstimmen bei der Bundestagswahl. Dann kam rot-grün und schwarz-rot. Momentan sitzt die FDP wieder in 15 von 16 Länderparlamenten, ist an 7 Landesregierungen beteiligt, hat ein Zweitstimmenergebnis von 14,6% bei der letzten Bundestagswahl erreicht, sitzt in der Bundesregierung und befindet sich umfragetechnisch in einem der tiefsten Täler der letzten 20 Jahre.

Für den Hype und den einmaligen Wahlerfolg sind sicher die Politprofis wie Westerwelle, Homburger und Niebel verantwortlich. Dafür, dass sich die FDP dauerhaft oberhalb der 5%-Hürde etabliert, braucht es die Basis. Der die Illusion der Beteiligung zu nehmen könnte sich auf lange Sicht als schädlicher erweisen als Steuererhöhungen oder Umsatzsteuersenkungen für Hotelübernachtungen.

Wahl in Grossbritannien

Da sich die Briten mit dem Auszählen Zeit lassen (momentan fehlen noch 8 Wahlkreise, auf einen müssen wir noch bis Ende Mai warten), bleibt mir Zeit, einen alten Beitrag hervorzukramen:

http://blog.markus-ritter.de/2009/10/09/ein-bundestag-nach-mehrheitswahlrecht

Und weil nächstes Jahr die Landtagswahl in Baden-Württemberg ansteht, gibt es auch noch ein Schaubild für den baden-württembergischen Landtag, wenn er denn im Jahr 2006 nach Mehrheitswahlrecht gewählt worden wäre.

landtag-bw-mehrheitswahlrecht

der lange Schatten der Landtagswahl 2011

fällt langsam auf den Landkreis Ravensburg. Die CDU hat bereits beide Kandidaten für die Wahlkreise Ravensburg (Wahlkreis 69) und Wangen (WK 68) nominiert, die anderen Parteien werden in den nächsten Wochen folgen.

Das Wahlsystem habe ich hier ein bisschen näher erläutert. Welche Auswirkungen das auf die beiden Wahlkreise des Landkreises hat, folgt jetzt.

Da es keine Landeslisten gibt, entscheidet sich erst am Wahltag, wer für die jeweiligen Parteien die Ausgleichssitze besetzt, die sich aus dem Verhältnisausgleich auf Landesebene ergeben.

Bei der letzten Wahl standen dem Regierungspräsidium Tübingen folgende Landtagssitze zu:

CDU SPD FDP Grüne
11 5 2 3

Die Sitze der CDU waren schnell verteilt. Alle 11 Wahlkreisgewinner zogen in den Landtag ein. Für die anderen Parteien hätten sich (nach neuem Wahlrecht) folgende Zahlen ergeben:

Wahlkreis
SPD FDP Grüne
Reutlingen 60 24,00 % (3) 11,92 % (1) 14,79 % (4)
Hechingen-Münsigen 61 21,70 % (6) 10,91 % (3) 11,28 % (7)
Tübingen 62 21,96 % (5) 8,81 % (7) 22,12 % (1)
Balingen 63 26,20 % (1) 8,97 % (5) 5,47 % (11)
Ulm 64 24,42 % (2) 7,86 % (10) 17,47 % (2)
Ehingen 65 19,34 % (8) 8,32 % (8) 10,56 % (8)
Biberach 66 15,83 % (11) 8,26 % (9) 16,74 % (3)
Bodensee 67 22,52 % (4) 11,61 % (2) 14,44 % (5)
Wangen 68 16,40 % (10) 5,43 % (11) 9,97 % (9)
Ravensburg 69 19,46 % (7) 8,86 % (6) 12,94 % (6)
Sigmaringen 70 18,79 % (9) 10,37 % (4) 8,47 % (10)

Die grau unterlegten Wahlkreiskandidaten der jeweiligen Parteien haben einen Sitz im Landtag erreicht. Von den 11 Wahlkreisen entsenden 4 Wahlkreise 3 Abgeordnete, 2 Wahlkreise 2 Abgeordnete und 5 Wahlkreise 1 Abgeordneten.

Im Wahlkreis treten die Kandidaten gegeneinander an. Wenn es dann an das Verteilen der Sitze geht, treten die Wahlkreise im Regierungspräsidium gegeneinander an. Während manche Wahlkreise aufgrund ihrer Wählerstruktur (oder taktischer Wahl) stark in Stuttgart vertreten sind, ist das bei anderen – unter anderem Ravensburg und Wangen – nicht der Fall. Aber das kann man ja ändern 🙂

Landtagswahlen 2011 in Baden-Württemberg

Da man zur Erklärung des baden-württembergischen Landtagswahlrechts ein wenig länger braucht, fange ich jetzt schon mal an. In einer kleinen Reihe geht es um Dinge wie:

  • Die CDU hat 2006 gegenüber 2001 an Prozenten verloren und stellt trotzdem fast 10% mehr Abgeordnete (69 statt 63)
  • Die Zahl der gültigen Stimmen sank 2006 gegenüber 2001 um über 12% (von 4’530’763 auf 3’960’615), die Zahl der Abgeordneten stieg um 8,5% (von 128 auf 139).
  • Im Regierungspräsidium Karlsruhe hatte der letzte Grünen-Abgeordnete, der noch einen Platz im Landtag bekommen hat, 7’463 Stimmen, im Regierungspräsidium Tübingen hatten zwei Grünen-Kandidaten jeweils über 10’000 Stimmen und sind trotzdem gescheitert.
  • Den 11 Überhangmandaten der CDU stehen nur 8 Ausgleichsmandate der übrigen Parteien gegenüber (4x SPD, je 2x FDP und Grüne), obwohl die CDU 130’000 Stimmen weniger hatte als die 3 anderen Parteien.
  • Der Wahlkreis Weinheim (WK 39) stellt mit 59’320 Wählern 4 Abgeordnete, der Wahlkreis Ravensburg (WK 69) stellt mit 61’047 Wählern nur einen Abgeordneten.

Manche Dinge erscheinen erst dann verwunderlich, wenn man weiß, dass der Wähler in Baden-Württemberg nur eine Stimme hat (also jeder eine, nicht alle zusammen), dass es keine Landeslisten der Parteien gibt und die Erringung eines Mandats alleine von der (absoluten) Stimmenzahl abhängt, die ein Bewerber in einem Wahlkreis erhält (letzteres zumindest ändert sich zur nächsten Wahl).

Das spannende/ungerechte/seltsame am baden-württembergischen Landtagswahlrecht ist die Tatsache, dass man – bei gleichem Wählervotum – auf ganz unterschiedliche Resultate kommen kann.

  • Würde man die Ausgleichssitze (die aufgrund der CDU-Überhangs bei den Direktkandidaten entstanden sind) nicht auf Regierungspräsidumsebene berechnen, sondern auf Landesebene, hätten SPD, FDP und Grüne jeweils einen Sitz mehr erhalten.
  • Würde man die Zusatzmandate (also die Sitze, die den Parteien aufgrund des Stimmenverhältnisses zustehen) auf Landesebene verteilen und nicht auf Regierungspräsidiumsebene, kämen aus Karlsruhe nur 2 Grünen-Abgeordnete (statt 4) und aus Tübingen 5 Abgeordnete (statt 3). Dafür kämen aus Karlsruhe 2 SPD-Abgeordnete mehr, und aus Freiburg 2 weniger.
  • Hätte man statt nach d’Hondt nach Sainte-Laguë ausgewertet, hätten SPD und FDP im Regierungspräsidium Stuttgart jeweils einen Sitz mehr errungen.

Ein Bundestag nach Mehrheitswahlrecht

Durch das Aufkommen der Linken und dem starken Abschneiden von FDP und Bündnis90/Grüne werden die Diskussionen über die Umstellung auf ein Mehrheitswahlrecht, die schon vor der Bundestagswahl aufgeflammt sind, sicherlich wieder verstärkt.

Damit man weiss, über was man eigentlich spricht, wenn man ein Mehrheitswahlrecht wünscht, habe ich die Zahlen der Wahlkreisgewinner (Erststimme) genommen und daraus den 17. Bundestag gemacht.

Er hätte folgende Sitzverteilung:

erststimmenverteilung

Aus 1/3 der Wählerstimmen (Zweitstimme) würden bei der CDU/CSU 2/3 der Sitze. 25% der Wähler (wenn man mal Herrn Ströbele wegrechnet), wären überhaupt nicht im Parlament vertreten.

Dass sich die Verteilung stark ändern würde, wenn sich auch die FDP verstärkt um Erststimmen bemühen müsste, wage ich zu bezweifeln.

Allerdings hätte man das Problem mit den Überhangmandaten gelöst (auch für Bayern und die CSU).