Adventskalender 5/12

Es könnte sein, dass der heutige Beitrag schräg, obskur und unverständlich wird. Also noch schräger, obskurer und unverständlicher als gewöhnlich.
Wer mir also auch in Zukunft unbelastet entgegentreten möchte, also so unbelastet, wie ihm das noch möglich ist nachdem er mich näher kennengelernt hat, sollte vielleicht vom Lesen Abstand nehmen.

Morgen kommt vermutlich wieder was Normales (wenn man den Begriff „Normal“ sehr weit auslegt), und jetzt kommt wahrscheinlich auch nichts Wichtiges.

Ich könnte das Ganze natürlich auch einfach als Kunst deklarieren, da ist Unverständlichkeit ja quasi Bedingung. Dummerweise nur eine notwendige, aber keine hinreichende1. Kunst kommt ja von Können und nicht von dilletieren, sonst hieße es ja Dunst, was mich auf den Gedanken bringt, dass ich keinen blassen Dunst davon habe, wo das eigentlich hinführt. Dieser Beitrag entsteht erst beim schreiben.

Jetzt sollte ich alle soweit abgeschreckt haben, dass sie mit dem Lesen aufgehört haben, ich kann also mit dem eigentlichen Inhalt beginnen.

Ich habe ein unbehandeltes Helfersyndrom2, was manchmal dazu führt, dass ich mich ungefragt in das Leben anderer Menschen einmische. Da das Gegenteil von „gut gemacht“ oft „gut gemeint“ ist, der Weg zur Hölle gepflastert ist mit guten Absichten und ein gesinnungsethischer Ansatz oft nicht zielführend ist, versuche ich, das mit dem Einmischen auf die 5 Leute zu beschränken, die in der Generationenfolge direkt vor beziehungsweise hinter mir stehen, oder die irgendwann mal in Bezug auf mich das mit den guten und den schlechten Zeiten gesagt haben (auf dem Standesamt, nicht als Antwort auf die Frage, was denn gerade im Fernsehen läuft). Das gelingt mir nicht immer, aber man muss ja auch was haben, an dem man arbeiten kann.

Weil ich einerseits den bisherigen (nicht gerade übermäßigen) Erfolg nicht gefährden will, andererseits aber auch nicht riskieren möchte zu platzen, weil da was raus muss, folgt jetzt ein ganz allgemeiner Teil zu Stressleveln, Gewöhnungseffekten, dem Adaptionssyndrom, Eigen- und Fremdwahrnehmung in Stresssituationen und zur Beantwortung der Frage, ob Reden denn wirklich hilft.


Auf Situationen, die das ganze bisherige Leben und Selbstverständnis durchschütteln, in denen sich von jetzt auf gleich praktisch alles ändert, reagiert der Körper wie auf alles Bedrohliche und Unbekannte mit der Ausschüttung von Hormonen.

Das war in grauer Vorzeit mal sinnvoll, weil auf solche Situationen oft mit Flucht oder Kampf reagiert wurde und eine hohe Konzentration von Katecholaminen und Glukokortikoiden im Blut oft den entscheidenden Unterschied zwischen „tot“ und „steht dem Genpool weiterhin zur Vermehrung zur Verfügung“ ausmachen konnte.

Mittlerweile braucht’s das nicht mehr, weil es ziemlich unvorteilhaft ist, wenn wir unseren Chef in der Besprechung einfach umhauen oder hektisch ganz schnell und weit wegrennen.

Beides sind zwar menschlich manchmal völlig verständliche, gesellschaftlich aber unerwünschte, teilweise sogar strafbewehrte Verhaltensweisen. Ausserdem darf man beim Wegrennen den Werksausweis nicht vergessen, weil man sonst nicht durch’s Drehtor kommt, wieder zurück muss und zum Stress noch die Schmach kommt. Die ist zwar physiologisch nicht so bedenklich, aber das macht sie durch ihre große psychische Wirkung oft wieder mehr als wett.

Zurück zum Stress. In der heutigen Zeit sind die auslösenden Faktoren vielfach gar nicht direkt greifbar. Es gibt Niemanden, den wir umhauen oder vor dem wir wegrennen könnten, selbst wenn wir wollten. Der Säbelzahntiger hat ausgedient und zum Beispiel der allgemeinen Arbeitsverdichtung oder einem kurz bevorstehenden Projektende Platz gemacht, von möglichen familiären Belastungen ganz zu schweigen.

Den hormonproduzierenden Stellen unseres Körpers ist das egal. Die schütten teilweise aus, als gäbe es kein Morgen mehr. Was sich in 500’000 Jahren Evolution bewährt hat, kann ja nicht plötzlich schlecht sein. In Bezug auf das Adrenalin ist das auch nicht so schlimm, das wird relativ schnell wieder abgebaut, selbst wenn wir ruhig sitzenbleiben. Bei den Glukokortikoiden dauert es länger, weshalb ein Sandsack mit Handschuhen, Laufschuhe und Joggen bis man kotzt oder Sex durchaus adäquate Möglichkeiten sind, den physiologischen Stresspegel zu senken, selbst wenn der auslösende Moment schon ein wenig her ist.

Sex hat durch die Ausschüttung von Oxytocin auch gleichzeitig eine emotional beruhigende Wirkung und dient nicht nur als Ausrede für Leute, die zwar prinzipiell nichts gegen Hecheln haben, das aber nicht unbedingt Alleine und auf der Strasse tun wollen.

Wenn das mit den Stress-Situationen nur selten vorkommt, ist das für den Körper kein Problem. Es wird ausgeschüttet, es wird abgebaut, man erreicht den alten Status und ist bereit für Alles, was da als Nächstes kommen mag.

Problematisch wird das Ganze, wenn die stressauslösenden Ereignisse so schnell hintereinanderkommen, dass eine Rückkehr zum alten Status nicht möglich ist, weil schon die nächste Welle hereinschwappt.

Ab jetzt werde ich durch eine bildhafte Sprache versuchen zu verschleiern, dass ich mir das auch nur mühsam angelesen habe. Offiziell dient das der leichteren Verständlichkeit eines sehr komplexen Themas, inoffiziell ist es ein Zugeständnis daran, dass ich hier kein Internet habe.

Wer einmal im Jahr Hochwasser hat, kommt damit relativ gut klar. Ein paar Säcke, ein Haufen Sand und Zeit, um das alles vorzubereiten reichen völlig. Wer ständig Hochwasser hat, bekommt irgendwann mal Probleme, weil die Säcke durchweichen, weil der Sand ausgeht oder man keine Kraft mehr zum Aufstapeln oder füllen der Säcke hat. Dann reicht mitunter eine relativ kleine Welle damit alles zusammenbricht und man den Fluss im Wohnzimmer hat.

Wenn man selbst in der Situation ist, kommt einem das bis zu einem gewissen Grad auch gar nicht so schlimm vor. Der Pegel steigt ja nicht ständig, manchmal sinkt er sogar und man kann ein paar Reihen abbauen und soweit man sehen kann, ist auch noch genug Sand da. Dass man trotzdem ständig Hochwasser hat und das Ganze durchgehend auf die unteren Sandsackreihen einwirkt, blendet man aus. Man nimmt Dinge, die ganz und gar nicht normal sind, als normal wahr.

Dummerweise tun das die Sandsäcke nicht. Und dummerweise tut das unser Körper auch nicht.

Die immunsuppressive Wirkung der Glukokortikoide ist bei nicht so häufigem Stress durchaus hilfreich. Zuallererst muss ich die Begegnung mit dem Säbelzahntiger überleben. Jetzt heißt es erst mal alle verfügbaren Kräfte aufs Rennen zu konzentrieren. Danach kann ich mich um die Grippeviren kümmern und falls es nicht ausreicht mit dem Rennen, ist das mit der Erkältung sowieso hinfällig.

Wenn das allerdings ein Dauerzustand wird, beraubt sich der Körper seiner Möglichkeiten, angemessen auf Erreger zu reagieren und reagiert dann ungehalten mit Magen- und Darmproblemen, Rückenschmerzen, Hörsturz und was ihm sonst noch einfällt.

Das mal in aller Kürze zu Stress.

Fehlt noch das mit dem Reden.

Scheint irgendwie nichts zu bringen, weil man die physiologischen Wirkungen ja nicht wegdiskutieren kann, oder die Nebennierenrinde durch eine stringente Gesprächsführung davon überzeugen kann, das mit der Ausschüttung doch einfach sein zu lassen, weil es sowieso nichts bringt.

Stimmt.

Andererseits wäre das ja auch nur Symptombekämpfung. Dafür gibt’s schon was von ratiopharm, ändert aber an den grundlegenden Problemen nichts.

An den Ursachen kann man auch in den seltensten Fällen etwas ändern, weil es nur wenigen vergönnt ist, ihr Leben und ihre Probleme hinter sich zu lassen, ein Haus am Strand zu kaufen und den Tag mit entspannenden Dünenspaziergängen zu verbringen.

Bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit: Versuchen, dass die Ursachen nicht zu den Symptomen führen. So, wie wir irgendwann verstanden haben, dass die Tiere durch Gitter, Mauern und Gräben von uns getrennt sind und wir nicht schreiend und in Todesangst durch den Zoo rennen müssen, weil es da von Viechern wimmelt, die uns fressen würden, wenn sie könnten, kann man auch versuchen, Abstand zu den Ursachen zu gewinnen.

Gerade Menschen, die für ihre Aufgabe brennen und sie mit Leidenschaft erfüllen, fällt das schwer. In nicht so stressigen Zeiten sind das auch die Eigenschaften, die aus einem normalen Projektleiter einen hervorragenden machen und aus einem „so-lala-Ergebnis“ ein herausragendes.

In Zeiten, in denen der Stresslevel dauerhaft über einen langen Zeitraum sehr hoch ist, sind das allerdings die Menschen, die ausfallen wie die Fliegen, während diejenigen, die stoisch jeden Morgen zur Arbeit kommen und eine „wenn’s heute halt nichts wird, dann halt morgen oder gar nicht“-Einstellung haben, diese Zeiten völlig problemlos überstehen.

Meiner unwesentlichen Meinung nach hilft den leidenschaftlichen Menschen durchaus, wenn sie mal mit jemandem darüber reden können. Nicht, weil ihnen irgendjemand eine einfache Lösung präsentiert, die gibt’s nur im Zoo, sondern weil sie den ein oder anderen Anstoss bekommen, um ein bisschen zu reflektieren, was denn momentan gerade passiert. Und zwar nicht nur die Situation aussen, sondern auch innen und mit ihnen.

So, das hat zum nicht-Platzen gereicht. Ich bin fertig und stellvertretend für Alle stellt Brian Molko von placebo jetzt die Frage, die denjenigen, die bis hierher durchgehalten haben, vermutlich auf der Zunge liegt
(ich hab’s schon an die richtige Stelle gespult, einfach auf das weisse Dreieck klicken):


Ja, ein bisschen. Meine Stimmungsaufheller sind zwar nicht verschreibungspflichtig sondern menschlicher Natur, aber vermutlich trotzdem ja.

  1. irgendwann kann ich mal den Unterschied zwischen notwendig und hinreichend erklären, heute nicht. []
  2. was mir jetzt schon in drei Unternehmen die inoffizielle Stelle des C3O (Chief Convenience & Care Officer) eingebracht hat []

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