Kreistagswahlen in Baden-Württemberg: Wie wird gewählt

Vorneweg: Da auf Kommunalebene nicht nur Parteien antreten, sondern auch mitgliedschaftlich und nicht mitgliedschaftlich organisierte Wählervereinigungen, ich mir beim Schreiben aber nicht die Finger brechen will, steht das Wort Partei stellvertretend für die 3 vorstehenden Zusammenschlüsse.

Beginnen möchte ich mit einem Zitat von der lesenswerten Webseite der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg:

Kein Wahlverfahren im politischen System der Bundesrepublik Deutschland ist sowohl für den abstimmenden Bürger (Stimmgebungsverfahren mit Kumulieren und Panaschieren), für Parteien und Wählervereinigungen bei der Aufstellung von Listen wie für die Gremien zur Überwachung und Auszählung der Wahl und für die Gemeindeverwaltungen (z. B. Einteilung der Wahlkreise bei Unechter Teilortswahl) so schwierig zu handhaben wie das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg.

Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen.

Ich picke mir die Kreistagswahlen heraus (weil ich da kandidiere :-), für Gemeinderatswahlen gilt untenstehendes entsprechend, wobei man das System da noch ein wenig verkomplizieren kann und oft auch hat.

Ähnlich wie bei den Wahlen zum Land- und Bundestag wird der Landkreis in Wahlkreise aufgeteilt. Das Verfahren, wie das zu geschehen hat, ist in § 22 IV Landkreisordnung (LKrO) beschrieben, der aufgrund seiner „Flexibilität“ einen eigenen Beitrag bekommt.

Der erste grosse Unterschied ist, dass man auch als Nichtbriefwähler die Stimmzettel vorher zugeschickt bekommt. Warum das so ist wird einem schnell klar, wenn man die Menge an Papier betrachtet, die man da bekommen hat.

Anders als bei den Wahlen zu richtigen(TM) Parlamenten hat der Wähler bei der Kreistagswahl die Möglichkeit, die Reihenfolge der Bewerber auf den Listen der einzelnen Parteien zu verändern. Er kann Leute auf den oberen Plätzen durch Nichtbeachtung strafen und Kandidaten von den unteren Rängen nach oben hieven. Aus diesem Grund gibt es nicht einen Stimmzettel, auf dem alle Parteien vertreten sind, sondern jede Partei hat ihren eigenen Stimmzettel, auf dem jeweils alle Kandidaten dieser Partei für den Wahlkreis aufgeführt sind. Bei Parteien mit genug Kandidaten befinden sich auf der Liste maximal eineinhalbmal soviele Personen, wie der entsprechende Wahlkreis in den Kreistag entsenden darf. Das ist nicht etwa deswegen so, weil die Parteien den Wählern eine Auswahl überlassen möchten, sondern liegt daran, dass es sich auch bei der Kreistagswahl um eine Verhältniswahl handelt, also auch die Stimmen von den Kandidaten zählen, die nicht im Verdacht stehen, den Sprung in den Kreistag zu packen.

Der Wähler hat die Möglichkeit zu kumulieren und zu panaschieren, also einer Person mehr als eine Stimme (maximal 3) zu geben und die von ihm zu verteilenden Stimmen auf mehr als eine Partei zu verteilen (wer das genauer nachlesen will, findet hinter den links genaueres).

Der Auszählung und Stimmverteilung widmet sich ein eigener Beitrag, an dieser Stelle deshalb nur die prinzipielle Verteilung.

Im Wahlkreis Aulendorf (das ist meiner), sind 7 Sitze zu vergeben, aus § 22 II LKrO ergeben sich für den Wähler demzufolge 7 Stimmen. Nach der Wahl werden die Stimmen ausgezählt, die auf die Personen der jeweiligen Liste entfallen sind und pro Liste addiert.

Nch dem d´Hondtschen Höchstzahlverfahren werden die Sitze dann auf die einzelnen Parteien verteilt.

Ein sehr einfaches Beispiel mit geraden Zahlen:

Im Wahlkreis wurden insgesamt 100’000 Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf die CDU und die FWV jeweils 26’000 Stimmen, auf SPD, Grüne und FDP jeweils 13’000 und auf die ödp 9’000 Stimmen.

Daraus folgt, dass die CDU und die Freien Wähler jeweils 2 Sitze erhalten, die Grünen, die SPD und die FDP jeweils einen Sitz. Im Falle von CDU und FWV erhalten die zwei Kandidaten mit den meisten Stimmen auf der Liste ein Kreistagsmandat, bei den übrigen zieht derjenige ein, der auf seiner Liste die meisten Stimmen verbuchen konnte. Dabei ist unerheblich, ob es auf anderen Listen Kandidaten gibt, die ein höheres Einzelergebnis erzielt haben, es kommt einzig darauf an, welchen prozentualen Anteil die komplette Liste bekommen hat und welchen Platz man innerhalb dieser Liste hat.

Wenn im obigen Beispiel die 5 erfolgreichen Parteien jeweils 10 Kandidaten auf dem Stimmzettel hatten, die ödp aber nur 3, dann ziehen bei einer halbwegs gleichmäßigen Verteilung der Stimmen innerhalb der Listen 2 CDU und FWV-Kandidaten mit jeweils ca. 2’600 Direktstimmen und die Kandidaten von SPD, Grünen und FDP mit jeweils ca. 1’300 Direktstimmen in den Kreistag . Die im direkten Vergleich erfolgreichsten Kandidaten im Wahlkreis, die von der ödp, die jeweils um die 3’000 Direktstimmen bekommen haben, bleiben aufgrund des Parteiergebnisses ebenso aussen vor wie die 8 CDU- und 8 FWV-Kandídaten, die jeweils doppelt so viele Stimmen auf sich vereinigen konnten wie die in den Kreistag gewählten Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP.

Da diese Art der Verteilung im Extremfall dazu führen kann, dass eine Partei mit 12%-Stimmenanteil keinen einzigen der 60 Kreisräte im Landkreis Ravensburg stellen darf, gibt es auf Landkreisebene eine Zweitauszählung, bei der nach einem komplizierten Verfahren (hier mit Zahlenbeispielen erklärt) Ausgleichssitze für die im Wahlkreis erfolglos gebliebenen Parteien geschaffen werden. So hat bei der letzten Kreistagswahl die FDP trotz enttäuschenden 1,7% Wahlergebnis noch einen Sitz im Kreistag erhalten, obwohl sie in jedem der Wahlkreise hoffnungslos hinten lag.

kumulieren

darf man in Baden-Württemberg zwar erst ab 18, es wäre aber verfehlt, dem mitlesenden Nachwuchs vorsorglich mal die Augen zuzuhalten.

Kumulieren darf man in Baden-Württemberg bei den Kommunalwahlen, also den Wahlen zum

  • Ortschaftsrat (gibt’s nicht überall)
  • Gemeinderat
  • Kreistag
  • Regionalparlament für die Region Stuttgart (gibt’s nur in der Region Stuttgart 🙂

Man darf aber nicht immer kumulieren, sondern nur, wenn mindestens 2 unterschiedliche Wahlvorschläge vorliegen [also mindestens 2 Parteien oder Vereinigungen oder (nicht-)mitgliedschaftliche Wählervereinigungen]. Das ist zwar praktisch überall gegeben, aber ausgerechnet bei der Wahl zu meinem Ortschaftsrat (Kappel/Horgenzell) nicht.

Als Beispiel nehme ich die Kreistagswahl, für die anderen Wahlen gilt das aber entsprechend.

Kumulieren funktioniert nur, wenn man mehr als eine Stimme zu vergeben hat. Bei der Wahl zum Kreistag hat man soviele Stimmen, wie der Wahlkreis Sitze zu vergeben hat. Der Wahlkreis V, Aulendorf im Landkreis Ravensburg darf 7 Mitglieder in den 60-köpfigen Kreistag entsenden (warum der Kreistag 72 Mitglieder hat wird ein eigener Beitrag, erstmal hat er nur 60), man hat also 7 Stimmen.

Grundsätzlich hat jede Partei ihren eigenen Stimmzettel und stellt mehr Bewerber auf, als Sitze zu vergeben sind (warum das so ist, wird in einem der folgenden Beiträge erklärt). Maximal darf sie 1,5mal soviele Bewerber wie zu vergebende Sitze aufstellen. Im Falle des Wahlkreises V, Aulendorf wären das 10.

Wenn man eingefleischter Anhänger der GTP (Ganz Tolle Partei) ist, gibt man einfach nur deren Stimmzettel ab und hat damit automatisch den ersten 7 Personen auf diesem Zettel jeweils eine Stimme gegeben (das kann man machen, weil man davon ausgeht, die Partei wüsste am besten, wer denn in den Kreistag soll).

Jetzt kann es aber sein, dass man eine bestimmte Person innerhalb der GTP auf jeden Fall im Kreistag sehen will, dann kann man dieser Person bis zu 3 Stimmen geben, einfach in dem man in das entsprechende Feld eine 3 einträgt, oder 3 Kreuze macht. Und schon hat man kumuliert.

Ganz wichtig:

Wenn man einen Stimmzettel verändert, gelten nur die als gewählt, die auch eindeutig eine Stimme bekommen haben. Wenn man der GTP also 7 Stimmen geben will und davon 3 demjenigen, der auf Platz 9 der Liste steht, dann muss man die übrigen 4 Stimmen auch explizit vergeben (durch ankreuzen oder ähnliches). Die übriggebliebenen Stimmen werden nämlich nicht wie beim unveränderten Wahlvorschlag von oben nach unten vergeben.

wahlvorschlag

So sähe der Stimmzettel eines GTP-Wählers aus, der Andreas Musterfrau unterstützen möchte (also beispielsweise der Stimmzettel, den Andreas Musterfrau selbst in die Urne wirft 🙂

Einsatz von Wahlcomputern verfassungswidrig

Heute hat das Bundesverfassungsgericht über die Wahlprüfungsbeschwerden zweier Karlsruhe-Touristen (so bezeichnet der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft gerne mal Menschen, die eine Verfassungsbeschwerde vorbringen die ihm nicht passt) entschieden, in der es um den Einsatz von Wahl-Computern ging.

Nachdem der deutsche Bundestag auf Vorschlag des Wahlprüfungsausschusses ihre Einsprüche zurückgewiesen (und dafür über ein Jahr gebraucht) hatte, hat ihnen nun das Bundesverfassungsgericht rechtgegeben.

Das Urteil im Volltext gibt es direkt beim BVerfG.

Die Bundeswahlgeräteverordnung ist wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verfassungswidrig.

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Die Bundeswahlgeräteverordnung verletzt den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, weil sie bei der Verwendung rechnergesteuerter Wahlgeräte weder eine wirksame Kontrolle der Wahlhandlung noch eine zuverlässige Nachprüfbarkeit des Wahlergebnisses gewährleistet.