I. Akt, 2. Szene

Wo war ich stehengeblieben?
Ach ja, bei der alten aber immer noch aktuellen Opa-Hoppenstedt-Frage „und die Mädels, was ist mit den Mädels?“

Um etwas vorauszuschicken: Ich bilde mir nicht ein, Frauen wirklich zu verstehen. Aber mir kommt das zu Gute, was den gutaussehenden und smarten Jungs neben mir auch immer zu Gute kam: Im Kontrast zu einem Tiefpunkt kann auch die Mittelmäßigkeit glänzen. Es geht immer nur um Abstände, nie um absolute Größen.

Mittlerweile gibt es ja für alles einen tollen Namen. Wir hatten so was damals nicht. Ich musste noch auf die altmodische Art und Weise lernen, was heute unter dem Begriff „friendzone“ bereits scheinbar bei Grundschülern zum Allgemeinwissen zählt. Immerhin kann ich in der Rückschau bestätigen, dass es sie gibt und dass der Name viel angenehmer klingt, als sich ein Aufenthalt in ihr anfühlt.

Aber ich will nicht jammern, immerhin habe ich viel gelernt was sich heute noch auszahlt, während die gutaussehenden smarten Jungs mittlerweile teilweise mit Bierplauze und Halbglatze rumrennen und zumindest dieser Kontrast auf weiß/hellgrau zusammengeschrumpft ist. Tempus fugit und so.

Bevor ich abschweife zurück zu Opa Hoppenstedt und der alles entscheidenden Frage, deren Relevanz sich in der Rückschau zwar etwas relativiert hat, aber wenn ich mir mit dem Hammer auf den Finger haue ist es in dem Moment auch nur wenig tröstlich zu wissen, dass der Schmerz irgendwann mal nachlässt, was mit ein Grund ist, warum ich lieber schraube. Manche kennen auch den anderen Grund aber das würde hier und jetzt zu weit führen. Vielleicht im IV. Akt, ich brauch noch was für mein retardierendes Moment.

Zurück zum Thema, ich sollte wirklich fokussierter sein. Hätte damals vielleicht auch geholfen, vermutlich aber eher nicht.

Dates, oder wie wir früher sagten „weggehen“ war auch immer ein tolles Erlebnis. Nicht, dass ich die Dates gehabt hätte, aber da ich mein Geld nicht mit Frauen durchbringen konnte und mir aus Alkohol nichts gemacht habe, blieben im besten George-Best-Sinne nur die Autos beziehungsweise ein Auto. Ein 15 Jahre alter himmelblauer Opel-C-Kadett.

Ich war in meinem Umfeld einer der wenigen, die Führerschein und Auto ihr eigen nennen konnten, was mir den zweifelhaften Vorteil einbrachte, zumindest an den Wochenenden nicht lange überlegen zu müssen, wohin. Als Nummer 3 oder 5 oder selten auch als Nummer 7 zu Konzerten, in Kneipen oder Discotheken. Ich stand kurz vor dem Kauf eines Love-Taxi-Schilds, aber damals gab’s noch kein Internet und in der Kleinstadt niemanden, der sowas hätte machen können.

Jede Kombi hatte etwas reizvolles. Zu siebt in einem C-Kadett 3 vorne, 4 hinten war auf den Disco-Parkplätzen immer der Hingucker, zwischen all den tiefergelegten Golfs. Bei Doppeldates mit Fahrer hätte ich mit den mitleidigen Blicken der Bedienungen ganze Foto-Alben füllen können. Für die jüngeren unter den Lesern dieser Zeilen: Foto-Alben sind sowas wie instagram als Buch. Die unerreichten Highlights waren aber die Abende zu dritt, die ich in mindestens 10 verschiedenen Konstellationen miterleben durfte. Das Spektrum reichte von „wir haben uns verkracht und deshalb reden wir jetzt nicht mehr miteinander sondern nur noch mit Markus“, bishin zu „ich kann meine Zunge gerade nicht zum sprechen brauchen, Markus findet auch alleine heim und langweilig ist ihm vermutlich auch nicht und wenn kann ich es auch nicht ändern“.

Ich für mich kann festhalten, dass ich in meinem C-Kadett keinen Sex hatte. Auf alle bezogen kann ich das definitiv aber nur dann ausschliessen, wenn man die Bill-Clinton-Definition für sexual relations anlegt.

Überhaupt mein Auto. In diesem C-Kadett fanden in meinem letzten Schuljahr sehr viele tiefschürfende Gespräche statt, oder zumindest das, was zwei End-Teenager so unter tiefschürfend verstehen. Da die Abende, an denen ich zuerst die Freundin des Kumpels und dann ihn  heimgefahren habe, inhaltlich eher flach waren, sind mir die Abende, an denen es anders herum war deutlich stärker in Erinnerung. Die Jungs haben im Moment gelebt, bei den Mädels war das alles immer irgendwie komplizierter und mit Zweifeln beladen. Und wer könnte da besser zum Abladen taugen als der Freund des Freundes, der einen gerade heimbringt. Mobiltelefone gab es damals noch nicht, sonst wäre vermutlich vieles anders verlaufen.

Irgendwann habe ich dann festgestellt, dass Männer Schweigen viel besser ertragen als Frauen. Also nicht gezielt eingesetztes Schweigen, da ist es genau umgekehrt, sondern das Schweigen das entsteht, wenn das Autoradio kaputt ist und man noch 20 Minuten Fahrt vor sich hat. Ich habe viele Dinge über meine Freunde erfahren, inklusive vieler Dinge, die ich gar nicht wissen wollte.

Jetzt klingts schon wieder wie Gejammer, soll es aber nicht sein. Selbst unter der Prämisse, dass man sich die Vergangenheit schönredet, hatte ich sehr oft sehr viel Spass. Also jetzt nicht  damals und im direkten Sinne, mehr so retrospektiv betrachtet.

— Vorhang —

I. Akt, 1. Szene

Ich muss ein wenig ausholen um beschreiben zu können, wie es mir heute in einem Workshop ging, der auf englisch abgehalten wurde.
Wenn man mich meiner Ausdrucksfähigkeit und der Möglichkeit zu Wortspielen beraubt, nimmt man mir sehr viel.
Mag sein, dass die Kollegen das als angenehm empfunden haben, weil mein aktiver Wortschatz nicht sehr viel zulässt, ich persönlich kam mir auf jeden Fall ziemlich nackt vor.

Beim Ausholen lande ich in der Zeit, in der die Ansicht von Jungs über Mädchen wechselt von „die sind alle doof“ hin zu „die sind vielleicht nicht alle doof, aber die da ist es bestimmt“.

Es ging mir in meiner Jugend ein wenig wie Deutschland, ziemlich wenig natürliche Ressourcen. Und wie alle rohstoffarmen Länder kam nach dem Neid die Frage, wie ich denn mit dem Wenigen das ich habe, irgendein Alleinstellungsmerkmal aufbauen kann. Zu der Zeit habe ich mir die Frage natürlich nicht so gestellt, aber in der Nachbetrachtung kommt das damalige „wie krieg ich Mädels rum“ dem doch recht nahe. Welche unique selling position (man merkt, der Workshop wirkt nach) habe ich, die mich deutlich von den anderen abhebt.
Aussehen und sportliche Aktivität schieden von vorneherein aus, weil das eine nicht änderbar war und das andere eigentlich auch nicht. Und auch wenn ich jetzt vielen Unrecht tue, waren Charakter und Empathie auch nichts, was Mädels in dem Alter vom Hocker direkt in meine Arme gerissen hätte. Nicht, dass ich der Meinung bin, damals von mindestens einem der beiden besonders viel gehabt zu haben, aber man muss sich ja mit nachgefragten Eigenschaften am Markt präsentieren und da bringt es nichts, Kompetenzen in irrelevanten Bereichen aufzubauen.

Gerade stelle ich fest, dass ich noch weiter ausholen muss.
Ich bin ein Arbeiterkind. Bei meinen Eltern stand Konsalik und Simmel in einem sehr übersichtlichen Schrank, den Bibliothek zu nennen ich nicht wage. Gemeinsame Theater- oder Konzertbesuche waren ebenso außer Reichweite wie das Erlernen eines klassischen Instruments oder der Gang durch ein Kunstmuseum. Aber meine Eltern hatten neben ihrer unbedingten Liebe zu uns Kindern den Wert von Bildung erkannt und es geschafft, in uns den Hunger nach Wissen zu wecken.
Deshalb – und weil ich intelligent bin – kam ich aufs Gymnasium und damit in Kontakt zu Bildungsbürgertumkindern, bei denen es zu Hause in Bezug auf Bücher nicht um ein Regalbrett sondern um komplette Wände ging. Da stand auch nicht „und Jimmy ging zum Regenbogen“ sondern Heines Buch der Lieder oder Ciceros Gesamtwerk auf Latein. Man nahm Klavierunterricht, sang im Chor und engagierte sich sozial. Hier bekam ich Antworten zu meinen Fragen, entdeckte den Spaß an Diskussionen und bekam einen wunderbaren ersten Blick auf die Welt der Rhetorik. Und damit kann ich dann zurück zu dem Lebensabschnitt mit den Mädchen.

Nein, ins Koma labern war nie eine Alternative, die ich in Betracht gezogen habe, falls die Frage aufgekommen sein sollte.

Aber beim Diskutieren geht es ja auch darum, die Position des Gegenübers zu verstehen, mit den eigenen Positionen abzugleichen um dann zu versuchen, seinem Gesprächspartner die eigene Sicht der Dinge überzeugend darzulegen. Das war etwas, das ich konnte, zu dem ich eine Affinität hatte und auch ein wenig Talent. Darauf konnte ich aufbauen.

Und ja, auch angesichts des gerade geschriebenen Absatzes würde ich obenstehende Frage noch mit Nein beantworten wollen.

Ich war erfolgreich. Wer mich kennt und jetzt vergeblich versucht, sich an meine zahlreichen Freundinnen zu erinnern, kann beruhigt aufatmen. Diesbezüglich zumindest täuscht das Gedächtnis nicht. Die Zahl meiner Freundinnen lässt sich am Victory-Zeichen einer Hand abzählen. Der Erfolg kam, aber wie schon das Sprichwort „hüte Dich vor Deinen Wünschen, denn sie könnten Dir erfüllt werden“ anklingen lässt, nicht so, wie gedacht. Mit den Mädchen-Tränen über miese Ex-Freunde, die an meiner Schulter geheult wurden, könnte ich ganze Schwimmbäder füllen. Dummerweise war dann, wenn die Tränen versiegt waren der nächste gutaussehende „Idiot“ viel interessanter als ich. Es war lehrreich, es war interessant aber in Bezug auf die damalige Ausgangsfragestellung nicht unbedingt zielführend.

Um jetzt darauf zurückzukommen, wie es mir Heute ging:

Es ging mir wie früher. Das Arbeiterkind, das sieht, wie alle um es herum die Punkte machen, die man selbst gern gemacht hätte.

– Vorhang –

Eine kurze Geschichte in mehreren Akten – Prolog

Ich kann nicht schreiben. Also natürlich kann ich schreiben, sonst stünde das jetzt nicht hier, aber ich kann wohl nicht so schreiben, dass man es gerne liest, oder versteht, oder beides. Unter einer meiner letzten Deutsch-Klausuren fand ich den Satz

Wenn Du schon so gerne lange wirre Schachtelsätze bildest, solltest Du wenigstens die Interpunktionsregeln beherrschen!

Ich kann nicht dafür garantieren, dass die Satzzeichen an eben diesen Stellen waren. Bis auf das Ausrufezeichen, bei dem bin ich mir sicher.

Obwohl es schon über 20 Jahre her ist, dass mein Deutschlehrer – an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern kann – diesen Satz geschrieben hat, habe ich nichts dafür getan, meine Kenntnisse im Setzen von Komma und Strichpunkt zu verbessern.

Nichtsdestotrotz schreibe ich trotzdem gerne. Das hat weniger etwas damit zu tun, dass ich irgendjemandem etwas mitteilen möchte, es ist eher das Gefühl dass es raus muss, frische Luft schnappen. Ausserdem ist es billiger als ein Therapeut und die Frage „und wie geht es Ihnen damit?“ kann ich mir auch selbst stellen.
Beantworten könnte schwierig werden, aber wie schon Kafka bemerkte hat derjenige die Prüfung bestanden, der die Fragen nicht beantwortet.

In diesem Sinne gibt es eine neue Kategorie „lange wirre Schachtelsätze“, unter der ich alles poste, was mich teilweise schon lange beschäftigt.

Es geht um James-Blunt-Momente, Reinhold-Messner-Erklärungen, Spatzen, Tauben, Dächer und Hände. Es geht um das Harry-&-Sally-Theorem, das Rudern im Nebel und die letztlich doch sehr übersichtliche Anzahl von Menschen von denen ich glaube, dass sie die selbe Wellenlänge wie ich haben. Es geht um das Spielen mit und das Erfüllen von Erwartungshaltungen, das Lesen von Samuel Beckett während einer Durchschlageübung und die Anzahl von Menschen, deren komplettes Unverständnis anzeigenden Gesichtsausdruck ich schon kenne. Es geht um Musik und die Frage, warum ich beim Putzen Metallica und bad religion höre und beim Schreiben Pink Floyd, Marillion und mewithoutyou. Ich sollte mal ausprobieren, ob das Haus sauberer und die Texte verständlicher sind, wenn ich das ganze umdrehe.

Und um die unausgesprochene Frage nach meiner BAK zu beantworten: 0,0 g/kg.

Soweit erst mal der Prolog.