Laut Spiegel-Online möchte Herr Scholz den Mindestlohn „in einem überschaubaren Zeitraum auf zwölf Euro pro Stunde anheben [..] damit niemand, der Vollzeit arbeite, im Alter auf öffentliche Hilfe angewiesen sei“
Das klingt auf den ersten Blick nach einer nachvollziehbaren Forderung und ich lasse jetzt auch mal völlig außer Acht, dass die Partei von Herrn Scholz maßgeblich dafür zuständig war, dass das Rentenniveau in den letzten 19 Jahren um 10% gesunken ist, was natürlich ebenfalls mit ein Grund ist, warum Menschen im Alter auf öffentliche Hilfe angewiesen sind.
Was Herr Scholz und die ganzen Kommentatoren aber immer wieder vergessen, wenn so Sätze wie „Wer keine 12€ zahlen kann, hat ein kaputtes Geschäftsmodell“ fallen, ist die Tatsache, dass es für einen Arbeitgeber ja nicht mit den 12€/Stunde getan ist. Genaugenommen stellen die 12€ nur ungefähr die Hälfte der Kosten dar.
Warum das so ist, habe ich zwar schon ganz oft erläutert, aber angekommen scheint es noch nirgends zu sein.
Versetzen wir uns in die Lage eines Arbeitgebers, der eine Dienstleistung anbieten möchte, nehmen wir mal babysitten. Dieser Arbeitgeber möchte wissen, zu welchem Preis er eine Stunde babysitten denn anbieten muss, um seine Kosten zu decken.
Was kommt zu den 12€/h noch alles dazu?
Als Arbeitgeber zahle ich ja nicht nur den Bruttolohn, sondern auch noch diverse andere Sachen.
Abwesenheiten
Arbeitnehmer haben Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Laut Bundesurlaubsgesetz sind das 4 Wochen, laut Tarifvertrag geht das dann teilweise hoch bis auf 6 Wochen. Nehmen wir mal an, dass der Arbeitgeber 5 Wochen gewährt.
Desweiteren hat der Arbeitnehmer gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz Anspruch auf Lohnfortzahlung an gesetzlichen Feiertagen sowie im Krankheitsfall. In Baden-Württemberg fallen durchschnittlich 10 von 12 Feiertagen auf einen Wochentag und laut Statistik der Technikerkrankenkasse waren Arbeitnehmer im Jahr 2016 durchschnittlich 15 Arbeitstage krank.
Es kommt zur ersten Rechnung, wobei ich mit einer 35h-Woche rechne (das ändert inhaltlich nichts, es lässt sich mit konkreten Zahlen aber einfacher darstellen).
Knapp 81% der Zeit, die ich meinen Arbeitnehmer bezahlen muss, steht er mir – und damit potenziellen Kunden – auch zur Verfügung. Das merken wir uns mal und rechnen später weiter.
Sozialversicherung
Eine der größten und hartnäckigsten Lügen ist die, dass man den Sozialversicherungsbeitrag in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil splittet und der Arbeitgeber seinen Teil zahlt. In Wahrheit ist das einfach eine Rechengröße für den Arbeitgeber, denn irgendjemand muss ja auch dieses Geld erwirtschaften, in aller Regel ist das der Arbeitnehmer. Woher auch sonst soll das Geld kommen? Der Anteil der Sozialversicherungen, der beim Arbeitnehmer zwar nicht auf dem Lohnzettel auftaucht, aber trotzdem bezahlt werden muss, setzt sich wie folgt zusammen:
Der „Arbeitgeber“-Anteil beträgt gut 24%, die muss ich bei der Kalkulation berücksichtigen, ich habe keine Privatschatulle, aus der ich das bezahlen könnte.
Wir sind noch nicht am Ende, der Finanzminister möchte ja auch noch beteiligt werden.
Umsatzsteuer
In Deutschland erbrachte Leistungen unterliegen der Umsatzsteuer, es sei denn, man findet irgendeine Ausnahme im Umsatzsteuergesetz, die sich für die Tätigkeit „Babysitten“ leider nicht ergibt. Also kommen noch 19% Mehrwertsteuer auf die Leistung. Auch die müssen von irgendjemand erwirtschaftet werden und Privathaushalte interessieren sich in aller Regel für den Endbetrag und nicht so sehr, wie sich der Betrag aufschlüsselt.
Kalkulation
Ich weiß, dass da noch ganz viele Dinge fehlen, wie Administrationskosten (irgendwoher müssen die Leute ja wissen, dass ich etwas anbiete und irgendwer muss ja auch die Pläne machen …), aber ich finde das, was jetzt rauskommt auch schon obszön hoch genug.
Keine Angst, wir sind gleich fertig. Es fehlt nur noch ein Schritt um die Frage zu beanworten, für wieviel wir die Stunde babysitten anbieten müssen, um zumindest die direkten Personalkosten zu decken. Dafür teilen wir die errechneten 32’405€ durch die ebenfalls errechneten 1’477 Stunden, die der Arbeitnehmer zur Verfügung steht.
Heraus kommen knapp 22€. Nur für die direkten Personalkosten. Wer nur 22€ verlangt, wird über kurz oder lang in die Insolvenz rutschen.
Was ich am traurigsten oder je nach Stimmung am lustigsten finde ist, was am Ende beim Babysitter ankommt. Denn 12€ Stundenlohn bedeuten ja nicht 12€ netto. Um auch die bezahlten Tage (Urlaub, Feiertag, Krankheit) zu berücksichtigen, nehme ich für folgendes Schaubild einfach die Jahresbasis (ändert nichts am Inhalt):
Vielleicht wäre es ja mal ein Ansatzpunkt, im Bereich des Niedriglohnsektors den blauen Anteil zu vergrößern, statt einfach alles aufzublähen. Denn allzu viele Menschen, die sich für den Kinobesuch einen offiziellen Babysitter leisten können, wird es nicht geben, wenn der mit knapp 100€ zu Buche schlägt.