Vorläufiges Ergebnis der Bürgerschaftswahlen in Hamburg

Amtlich ist das vorläufige Ergebnis des hamburgischen Landeswahlleiters noch nicht, aber da man sonst nirgendwo die Nicht- und Ungültigwähler sieht, riskiere ich es, das Ergebnis nachträglich noch ein wenig korrigieren zu müssen.

Noch mal was zur Bildungspolitik

Was regen sich die Befürworter der Primarschule in Hamburg eigentlich so auf (ich hatte gerade eine Diskussion mit einem)?

Man könnte meinen, durch den Volksentscheid in Hamburg seien Arbeiterkindern die Zukunftschancen auf ewig verstellt.

Wenn ich das richtig mitbekommen habe, dann bietet die Stadtteilschule die Möglichkeit, nach 9 Jahren die allgemeine Hochschulreife zu erlangen. Gemeinsam lernen bis zu 10. Klasse.

Der einzige Unterschied zwischen „wir wollen lernen“ und der Bürgerschaft ist, dass die Gymnasiasten bereits nach der 4. Klasse gehen und nicht nach der 6. Klasse.

Falls ich die ganzen Studien über soziale Disparitäten etc. glauben darf, dann gehen ja nicht einmal die Besten. Es gehen die verwöhnten Blagen völlig versnobter Oberschicht-Eltern, die ihre Nachkommenschaft lieber Altgriechisch und Cello lernen lassen wollen, statt mit der Unter- und Mittelschicht Mathe und Deutsch.

Ob Kevin und Schantal aber wirklich besser lernen, wenn sie Justus und Anne-Sophie 2 Jahre länger ertragen müssen[1], wage ich zu bezweifeln. Erstens gehen sie nicht auf die gleiche Schule (kommt mir das nur so vor, oder ist Hamburg wirklich so extrem geteilt was Arme und Reiche angeht?) ujnd zweitens haben sie nach der Schule ganz unterschiedliche Interessen.

Was nimmt man den Nicht-Gymnasiasten weg?

Geld hätten die 5. und 6. Klässler auch in der Primarschule gekostet, Abitur können die Stadtteilschüler auch machen (und zwar ohne Schulwechsel. Durchlässigkeit bzw. deren immer wieder moniertes Fehlen wirkt sich nicht aus).

In Hamburg und anderswo klaffen zwischen den besten und den schlechtesten Schülern der 4. Klassen über 1 Jahr. Was soll es bringen, das auf 6 Jahre auszudehnen, ausser, dass die lernschwachen dann 1,5 Jahre hinterherhinken. Sollte es nicht vorrangiges Ziel sein, diesen Lernrückstand in der Grundschule zu verringern, statt die Grundschulzeit auszudehnen?

Bei der KESS-Untersuchung am Ende der Grundschule (Hamburg 2004) ergab sich bei der Textschreibleistung ein Mittelwert von 138,8 und eine Standardabweichung von 54,5. Die verringert sich nicht dadurch, dass man 2 Jahre dazupackt.

Wenn die Befürworter des gemeinsamen längeren Lernen ernstgenommen werden wollen, dann sollten sie zuerst versuchen, die bereits bestehenden Lernstandsunterschiede auszugleichen, die im 4-jährigen gemeinsamen Lernen bestehen, statt ein 6-jähriges gemeinsames Lernen zu propagieren, bei dem dann alles besser werden soll.

Ich würde von den Befürwortern der Primarschule gerne mal lesen, welchen Vorteil sie sich erhoffen, wenn alle 6 Jahre gemeinsam lernen. Schön wäre, wenn im Kommentar die verschiedenen Lernstandsuntersuchungen berücksichtigt würden, statt nebulös auf die Lehrsysteme anderer Länder zu verweisen.

 

[1] ich möchte keine Klischees bedienen, aber wenn es schon im Spiegel steht: http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,649421,00.html

Volksentscheid in Hamburg

Am Sonntag haben die Hamburgerinnen und Hamburger über die 6-jährige Primarschule abgestimmt.

Der Volksentscheid, der sich für die Beibehaltung der 4-jährigen Grundschule ausgesprochen hatte, hat alle drei Hürden genommen (Quorum Ja-Stimmen, Mehr Ja als Nein-Stimmen, Mehr Ja-Stimmen als der Vorschlag der Bürgerschaft) und es bleibt bei 4 Jahren Grundschule und 8 Jahren Gymnasium bzw. 9 Jahren Stadtteilschule.

Nach dieser Abstimmung wurde eigentlich schon alles gesagt, aber halt noch nicht von allen 🙂

Das statistische Landesamt hat auf seiner Seite umfangreiche Schaubilder zum Ausgang des Volksentscheids.

Ich möchte 2 rausgreifen, die sich, wenn man sie übereinanderlegt, fast perfekt ergänzen:

wahlbeteiligung-volksentscheid

Dieses Bild zeigt die Wahlbeteiligung in den einzelnen Bezirken an. Dunkle Gebiete hatten eine hohe Wahlbeteiligung, helle Gebiete eine niedrige.

 

Das zweite Bild zeigt den prozentualen Anteil der SGB-II-Empfänger, aka ALG-II, aka Hartz-IV. Auch hier stehen dunkle Farben für einen hohen Anteil, helle Farben für einen niedrigen Anteil.

alg-ii-empfaenger-volksentscheid

 

Legt man beide Schaubilder übereinander, ergeben sich folgende Bilder.

alg-ii-empfaenger-wahlbeteiligung-volksentscheid

Auf dem linken Bild wurde jeweils die dunklere Farbe genommen, auf dem rechten Bild die jeweils hellere.

Eine hohe Wahlbeteiligung korreliert mit einer niedrigen ALG-II-Empfängerrate, eine niedrige Wahlbeteiligung korreliert mit einer hohen ALG-II-Empfängerrate.

Anders ausgedrückt: Arme Menschen gehen nicht wählen. Selbst nicht bei Themen, die scheinbar/anscheined dazu gedacht sind, ihre Situation bzw. die Situation ihrer Kinder zu verbessern. Und damit ist dann auch schon fast alles gesagt.

Solange Eltern der Bildung ihrer Kinder gegenüber neutral oder gar negativ eingestellt sind, können sich die Pädagogen, Bildungspolitiker und Ideologen der verschiedenen Bildungsglaubensrichtungen ein Bein nach dem anderen ausreissen. Es wird sich nichts ändern.

Wenn ich in meinem Lerneifer nicht von meinen nähesten Bezugspersonen, meinen Eltern, unterstützt werde, wenn ich kein ausserschulisches Umfeld habe, dass mir ein ruhiges Lernen ermöglicht, wird es am Ende ganz schwer werden, so etwas wie die allgemeine Hochschulreife zu erlangen. Dann ist es völlig egal, ob ich 4 oder 6 Jahre Grundschule habe, ob alle bis zur 10. Klasse gemeinsam lernen oder schon nach 4 Jahren getrennt wird.

Bei all den Veröffentlichungen zu PISA, IGLU und TIMMS-Studien werden die Eltern, bzw. das familiäre Umfeld fast völlig ausgeblendet. Da lässt sich vermutlich nicht so gut drüber schimpfen wie über ungerechte Grundschullehrerinnen oder ideologisch verblendete Bildungspolitiker.