Das Wahlrecht für den Landtag in Baden-Württemberg ist von der eher seltsamen Sorte.
Es gibt keine Landeslisten, jeder Wähler hat nur eine Stimme, mit er er zuvörderst einen Kandidaten wählt. Wer am meisten Stimmen im Wahlkreis erhält, hat automatisch einen Sitz im Landtag ergattert.
Damit sind von den eigentlich zu verteilenden 120 Sitzen 70 Stück oder 58,3% weg. Jetzt kann es natürlich sein, dass eine Partei mehr Direktkandidaten in den Landtag bringt, als ihr nach Stimmenzahl eigentlich zustehen würde. Das passiert in Baden-Württemberg recht häufig, weil die CDU in annähernd allen Wahlkreisen den Direktkandidaten stellt. Bei der Wahl gestern war das wieder der Fall, die CDU hat 69 Mandante (oder 57.5% aller ursprünglich zu verteilenden Sitze) direkt gewonnen, aufgrund des Gesamtergebnisses allerdings nur Anspruch auf 48%.
Da man keinen direkt gewählten Abgeordneten wieder heimschicken kann, man andererseits aber die prozentualen Verhältnisse im Landtag abbilden will, bekommen die anderen Parteien Ausgleichsmandate. Bei der Wahl gestern waren das 19, oder knapp 16%.
Wer jetzt gedacht hat „puh“, hat die Rechung ohne das baden-württembergische Wahlrecht gemacht, denn natürlich kann man das ganze noch dadurch verkomplizieren (und tut es auch), dass man nicht das Bundesland sondern (teilweise) die einzelnen Regierungspräsidien (Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart und Tübingen) zum Mass aller Dinge macht. Also nochmal zurück auf los.
Wir nehmen als Beispiel das Regierungspräsidium Tübingen:
Das Regierungspräsidium hat 11 Wahlkreise. Diese wurden alle von CDU-Bewerbern gewonnen. Die CDU hat hier (bezogen auf die Parteien, die in den Landtag einziehen) 52% aller Stimmen erhalten. Wenn die 11 Direktkandidaten 52% repräsentieren sollen, dann müssen insgesamt 21 Sitze vergeben werden, weil 11/21 = 0,52 ergibt.
Es sind für die anderen Parteien also noch 10 Sitze zu vergeben. Gemäss Ergebnis sind das 5 für die SPD, 3 für die Grünen und 2 für die FDP.
Wer diese Sitze erhält, entscheidet nicht das Los, sondern je Partei die absolute Stimmenanzahl der Bewerber im Regierungspräsidium.
Keine Rolle spielt, wie gross der Wahlkreis im Verhältnis zu anderen Wahlkreisen ist, das heisst in einem kleinen Wahlkreis bringt nur ein überdurchschnittliches Ergebnis bei gleichzeitig hoher Wahlbeteiligung einen Sitz, in anderen Wahlkreisen reicht aufgrund der schieren Grösse des Wahlkreises auch ein unterdurchschnittliches Ergebnis.
Dazu müssen wir allerdings das Regierungspräsidium Tübingen verlassen und uns im Regierungspräsidium Stuttgart umschauen.
Der SPD-Kandidat aus Schwäbisch-Gmünd hat 27% der Stimmen (im Wahlkreis) auf sich vereinigt und sitzt nicht im neuen Landtag, wohingegen der SPD-Kandidat aus Nürtingen nur 23% der Stimmen (seines Wahlkreises) erhalten hat, aber einen Sitz erhält. Das liegt zum Grossteil am Grössenunterschied (133’000 Wahlberechtigte in Nürtingen und nur 102’000 in Schwäbisch-Gmünd) andererseits auch an der Wahlbeteiligung und an der Mandatsverteilung innerhalb der Regierungspräsidien.
Dem Schwäbisch-Gmünder SPD-Kandidaten (RP Stuttgart) waren 14’428 Stimmen zuwenig, dem Balinger SPD-Kandidaten (jetzt sind wir wieder im RP Tübingen) haben 14’046 Stimmen zum Einzug in den Landtag gereicht.
Die Zahl der Abgeordneten, die ein Wahlkreis jeweils stellt, schwankt von 1 bis 4.
4 Wahlkreise stellen je 4 Abgeordnete, 15 Wahlkreise je 3 Abgeordnete, 27 Wahlkreise je 2 Abgeordnete und 24 Wahlkreise dürfen nur einen Abgeordneten schicken (kurzer Gegencheck 4*4+15*3+27*2+24 = 139; stimmt).