(Entschuldigung falls ich das Thema überstrapaziere, aber ich muß schon mal für die Wahlanfechtung üben)
Die Landeszentrale für politische Bildung bezeichnet die Kommunalwahlen in Baden-Württemberg als die am schwierigsten zu handhabende Wahl sowohl für die Wähler, als auch für die Kandidaten und die Verwaltung. Nichts schreibt die LpB darüber, warum die Wahlmodalitäten so kompliziert sind, warum man sie ausgesucht hat, oder wie genau das Ergebnis den Wählerwillen abbildet.
Man könnte dann nämlich durchaus auf den Gedanken kommen, dass einfache Verfahren zwar ihre Schwächen haben, mit steigender Komplexität aber nicht unbedingt ihre Fähigkeit steigt, den Wählerwillen besser abzubilden.
Um ein ganz einfaches Beispiel anzuführen, wie das Kreistagswahlrecht in Baden-Württemberg dazu führen kann, dass ein Kreistagsmitglied der CDU nur 1/5 der Stimmen braucht, die ein SPD-Kandidat benötigt, baue ich einen Modellwahlkreis mit relativ einfachen Grundannahmen auf (man kann das Beispiel auch beliebig verkomplizieren ohne am Ergebnis viel zu ändern, darunter leidet dann allerdings die einfache Nachvollziehbarkeit).
Wir nehmen einen kleinen Landkreis mit 160’000 Einwohnern, dessen Kreistag gem. § 20 II LKrO aus 40 Kreisräten besteht. Da unser Modellwahlkreis keine grösseren Städte hat, verteilen sich diese 40 Sitze auf 10 Wahlkreise, von denen jeder 4 Kreisräte stellen darf (§ 22 IV LKrO).
Das Gebiet ist wahltechnisch relativ homogen und am Wahltag sehen die Ergebnislisten in den Wahlkreisen alle ungefähr so aus:
CDU
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FW
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SPD
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FDP
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Grüne
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ÖDP
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Linke
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41% | 13% | 12% | 11% | 9% | 8% | 6% |
Die Verteilung der jeweils 4 Mandate erfolgt nach d’Hondt und die CDU erringt pro Wahlkreis 3 Sitze, die FW bekommen den 4. zu vergebenden Sitz.
SPD, FDP,Grüne, ÖDP und Linke (die zusammen 46% der Stimmen erhalten haben) gehen leer aus.
Im anschliessenden Verfahren der maximal 8 zu vergebenden Ausgleichssitze erringen SPD, FDP und Grüne jeweils 2 Sitze, ÖDP und Linke je einen Sitz, so dass der neue Kreistag folgende Zusammensetzung hat:
CDU
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FW
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SPD
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FDP
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Grüne
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ÖDP
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Linke
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30 | 10 | 2 | 2 | 2 | 1 | 1 |
Im Zusammenspiel mit dem Wahlergebnis ergibt sich dann folgendes Bild:
CDU | FW | SPD | FDP | Grüne | ÖDP | Linke | |
%-Sitze | 62,50% | 20,83% | 4,17% | 4,17% | 4,17% | 2,08% | 2,08% |
%-Stimmen | 41,00% | 13,00% | 12,00% | 11,00% | 9,00% | 8,00% | 6,00% |
Erfolgswert | 7,32 | 7,69 | 1,67 | 1,82 | 2,22 | 1,25 | 1,67 |
Wenn man davon ausgeht, dass insgesamt 50’000 Menschen wählen gegangen sind (von denen jeder 4 Stimmen hatte), dann hat die CDU für ein Mandat gerade mal 2’733 Stimmen benötigt, die Freien Wähler gar nur 2’600, während die SPD 12’000 Stimmen und die ÖDP 16’000 Stimmen benötigten.
Mit 54% der Stimmen haben CDU und Freie Wähler über 83% der Mandate erreicht.
Diese Werte lassen wir jetzt mal ganz kurz setzen und dann überlegen wir, wie sich diese Parteien wohl im neuen Kreistag entscheiden werden, wenn es um den Neuzuschnitt der Wahlkreise geht (nein, eigentlich muß man nicht überlegen).
Angenommen, es hätte bei der Wahl nur 5 Wahlkreise mit jeweils 8 Sitzen gegeben, dann sähe das Endergebnis so aus:
CDU | FW | SPD | FDP | Grüne | ÖDP | Linke | |
Sitze | 20 | 6 | 5 | 5 | 4 | 3 | 2 |
%-Sitze | 44,44% | 13,33% | 11,11% | 11,11% | 8,89% | 6,67% | 4,44% |
%-Stimmen | 41,00% | 13,00% | 12,00% | 11,00% | 9,00% | 8,00% | 6,00% |
Erfolgswert | 4,88 | 4,62 | 4,10 | 4,55 | 4,44 | 3,75 | 3,33 |
Wohlgemerkt, hat da kein einziger Mensch anders gewählt, die Unterschiede liegen allein in der Zusammenfassung von jeweils 2 (alten) Wahlkreisen zu einem neuen. Zwischen den besten „Stimmenverwertern“ und den schlechtesten liegt nicht mehr Faktor 6,2 sondern nur noch 1,5 (immer noch relativ hoch, wenn man Bundestags- oder Landtagswahlen als Vergleich nimmt, aber zumindest bei den grössten 5 Parteien liegt der Faktor nur noch bei 1,2 statt 4,4).
Ein weiterer Effekt wäre, dass man die Ausgleichssitze nicht bis zum gesetzlichen Maximum von 20% ausschöpfen muss, sondern es statt 8 Ausgleichssitzen nur noch 5 gibt. Natürlich müsste die CDU dafür auf ein Drittel und die Freien Wähler auf 40% ihrer Sitze verzichten.
Im Landkreis Ravensburg, der obigem Musterlandkreis gar nicht so unähnlich ist, haben CDU und Freie Wähler bei den Kreistagswahlen 2004 in den 7 kleinen Wahlkreisen, in denen zusammen 35 Sitze zu vergeben waren, mit einem Stimmenanteil von 72% einen Sitzanteil von 97% errungen.
Sollte sich noch jemand gefragt haben, warum sich CDU und Freie Wähler im Kreistag von Ravensburg so vehement gegen eine Neuordnung der einzelnen Wahlkreise aussprechen und dafür die abenteuerlichsten Erklärungen suchen, hat sich diese Frage jetzt hoffentlich geklärt.
Ach so, ich bin natürlich nicht der erste, dem das auffällt, das Landratsamt und der Landtag haben sich schon mit dieser Problematik beschäftigt. Solange man allerdings die Aufteilung der Wahlkreise genau dem Gremium überlässt, in dem die Profiteure des bisherigen Zuschnitts sitzen, wird sich vermutlich nichts ändern. Es sei denn, man macht als Wähler seine Kreuze nicht bei einer der beiden Bürgermeister-Parteien, sondern bei den 5 anderen, die zur Auswahl stehen.
sehr guter Beitrag, aber keiner würdigt ihn !