Wenn man sich die aktuelle Diskussion um die Verkürzung der Wehrpflicht und damit einhergehend auch die Kürzung des Zivildienstes durchliest, könnte man meinen, wir stünden vor dem Ende der sozialen Dienste in Deutschland.
Blind herausgegriffen:
Mit der drohenden Kürzung der Zivildienstzeit stünden dem Gesundheitswesen nach Einschätzung des Roten Kreuzes dramatische Einbrüche bevor.
„Das ist eine dramatische Entwicklung“, sagt auch Pflegeexperte Werner Schell. Der Journalist und Buchautor aus Neuss war jahrelang Dozent im Fachbereich Gesundheitswesen und leitet heute den Selbsthilfeverband „Pro Pflege“. „Die Qualität der Betreuung wird massiv darunter leiden.“
„Für Hilfe- und Pflegebedürftige ist das eine Katastrophe“, sagt Gabriele Thivissen vom Landesverband Nordrhein des Deutschen Roten Kreuz (DRK).
Keiner, wirklich keiner geht davon aus, dass man wegfallende Zivildienststellen durch reguläre Arbeitsverhältnisse ersetzt, weil „dafür kein Geld da ist“.
Solange wir unsere Kranken, Behinderten und Pflegebedürftigen also durch (scheinbar) billige Zwangsverpflichtete versorgen können (wobei ZDL-Stellen nur 1,8% der Stellen im Gesundheitswesen in Deutschland ausmachen), solange ist alles in Ordnung.
Aber wehe, wir müssten den Menschen, die diese Arbeit verrichten, einen adäquaten Lohn zahlen. Dann schrauben wir lieber den Leistungsumfang nach unten, weil plötzlich kein Geld da ist. Ich will jetzt gar nicht darauf hinweisen, wieviel Geld für Banken zur Verfügung stand und steht oder wieviel Geld wir jährlich in unsere Landwirtschaft pumpen.
Ich will auch nichts darüber schreiben, dass sich ZDL als Arbeitnehmer anbieten, weil man da auch gleich immer mit dem Disziplinar- und Strafrecht winken kann, wenn mal der ein oder andere aufmucken will.
Völlig unerwähnt möchte ich lassen, dass Zivildienstleistende natürlich auch in gewinnorientierten Unternehmen eingesetzt werden, die sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil bzw. höhere Dividenden für die Aktionäre verschaffen.
Eigentlich möchte ich nur sagen, dass ich nicht in einem Land leben möchte, in dem die Pflege von Menschen zu einer blossen Dienstleistung verkommt, die auf die Zwangszufuhr von jährlich 65’000 männlichen 18 bis 23-Jährigen angewiesen zu sein scheint und für die jeder Euro Mehraufwand ein zum Fenster herausgeschmissener Euro ist.
Was das ganze wirklich kosten würde, habe ich mal hier aufgeschlüsselt.
@Markus:
es ist richtig, in vielen Bereichen müssen Profis ran, diese Lückenbüßer-Funktion der Zwangsdienste ist mehr als fragwürdig. Auch das Argument, in den jeweiligen Diensten könnte in den späteren möglichen Beruf hereinschnuppern ist Quark, denn ein Hausmeister-Zivi, der eigentlich Geschichte studieren will, sollte eher einen P-Schein machen 😉
Die Zwangsdienste waren (und sind?), zumindest was den Zivildienst anbelangt, auch nicht so attraktiv, dass MANN sich quasi darum gerissen hat- die in einem anderen Beitrag aufgeworfene Gerechtigkeits-Frage bzgl. Musterung, Einberufung und tatsächlichem Einsatz(-ort bzw. -bereich) ist an sich nicht neu- mittlerweile stellt sie sich jedoch stärker. Darauf haben weder CDU noch SPD eine Antwort. Ich unterstelle, sie wollen keine friedlichen Konflikt-Lösungen, sondern „robuste Einsätze“ (aka Kriege)- dafür wird eine Angriffsarmee gebraucht- (auch) um diesem Vorhaben ein demokratisches Mäntelchen („Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ als dümmstes Politikerzitat sollte unvergessen bleiben) umzuhängen, diskutieren die o. a. Parteien so ungern über die Wehrpflicht.
Der früher geforderte „Bürger in Uniform“ ist auch keine Diskussion mehr wert, denn dieser Bürger sollte Massaker verhindern, nicht anzetteln (vgl. Kunduz-Bomben auf Zivilisten).
Ich könnte eher mit einem modifizierten Schweizer System leben- obwohl es auch nicht unproblematisch ist, dass dort jeder ein Gewehr im Schrank hat- das SIPRI hatte schon in den 80ern Thesen und Modelle entwickelt, wie alternativ zu einem stehenden Heer Landesverteidigung (soziale Verteidgung durch zivilen Ungehorsam; Guerilla; örtliche Kleinst-Sabotage-Gruppen; Organisation am Arbeitsplatz usw.) organisiert werden kann, sodass einerseits Verteidigung bezahlbar bleibt und andererseits auch so effektiv wird, dass sie potenzielle Gegner abschreckt, ohne dass hinterher nur ein Berg von Leichen und Schutt übrig bleibt. Alle diese Modelle haben einen schwerwiegenden Nachteil- sie würden zuerst eine offene Diskussion voraussetzen und dann den Willen, etwas Neues auszuprobieren und mit dem Altgewohnten zu brechen.
Mit der Umgestaltung der NATO zu einem Angriffsarmeen-Verbund ist diese Diskussion innerhalb der NATO jedoch obsolet geworden. Das ist einer der Gründe für mich, die NATO abzulehnen (ok, leicht off-topic, sorry).