Eines Tages saß sie einfach da. In meinem Stammcafé, auf meinem Platz. Den Kopf halb in einem Buch versteckt, vor sich einen vermutlich schon längst kalten Kaffee.
Als ich näher kam hob sie ihren Kopf, strich sich gedankenverloren eine Haarsträhne aus der Stirn, sah mich etwas abwesend an und ich dachte, ich müsste in ihren großen braunen Augen ertrinken. Sie sah mich näher über den Rand ihrer Hipster-Brille an, verzog leicht spöttisch den Mund und meinte nur „Ja?“.
Mein Herz konnte sich nicht entscheiden, ob es endgültig stehenbleiben wollte, oder doch mit doppelter Geschwindigkeit schlagen, mein Kopf war völlig leer und unfähig irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Zu allem Überfluss stellte ich fest, dass ich immer noch in diese unfassbar braunen Augen starrte. Wahrscheinlich schon seit Stunden. Ich machte den Mund auf und hörte mich „Ähhhhhhhhhh“ sagen.
Warum nur tat der Boden einem nie den Gefallen, sich unter einem zu öffnen, wenn man ganz dringend darauf angewiesen war? Gleich mein erster Satz ein Beispiel formvollendeter Eloquenz gepaart mit sprühendem Wortwitz – und könntest Du mal bitte Deine Augen schließen, damit ich weggucken kann?
Ihr Mund verzog sich noch ein bisschen mehr und sie wiederholte ihr „Ja?“.
„Ähhh, Du sitzt auf meinem Platz“.
Toll, gleich noch virtuos nachgelegt. Nicht nur verbal inkontinent sondern auch noch zwangsgestört. Im perfekten Ersten Eindruck machen, macht mir so schnell keiner was vor.
Ihr Blick ging nach links auf 3 leere Tische, kam zurück, blieb kurz an mir hängen – was für Augen – ging nach rechts zu 2 leeren Tischen und mit kaum unterdrückter Heiterkeit in der Stimme meinte sie „Sorry, das wusste ich nicht. Ist natürlich auch ziemlich voll hier. Wenn Du magst, kannst Du Dich gerne dazu setzen.“ Sie schlug ihr Buch endgültig zu, steckte es in eine Tasche von den Ausmaßen eines Wetterballons, nahm sie vom zweiten Stuhl, hängte sie an ihren und sah mich erwartungsvoll an. Vermutlich wartete sie schon auf den nächsten Ausfall.
Den bescherte mir meine Tasse, die Tina an unseren Tisch brachte, gefüllt mit dem üblichen doppelten Milchkaffee. Sie hätte sie vielleicht nicht unbedingt mit dem Spruch nach vorne hinstellen müssen, die Situation war auch ohne das Kompetenz sieht nur von unten aus wie Arroganz, das fett auf der Tasse prangte, kompliziert genug.
„Ähhhhhhhh“. Könnte ich bitte damit aufhören jeden Satz mit Äh anzufangen oder nur aus Ähs zu bilden?
Sie deutete auf die Tasse: „Du kennst Dich also damit aus?“ und dann fing sie an zu lachen und ich musste einfach mitlachen.
Da saß ich nun. Mit einer fremden Frau mit unfassbar braunen Augen über einen dämlichen Spruch auf einer Kaffeetasse lachend, wissend, dass sie gleich aufstehen, aus meinem Leben verschwinden und mein Herz mitnehmen würde.
Ein großer Vorteil meines Stammcafés war, dass ich meine eigene Musik mitbringen durfte, weil ich das Gedudel mit den Hits der 80er und 90er und dem besten von heute am frühen Morgen nicht ertrug. Den Nachteil daran erkannte ich in dem Moment, in dem Tina meine ich-bin-ein-Intellektueller-und-das-hört-man-auch-meiner-Musikauswahl-an-Sammlung einlegte und auf play drückte.
Super, vielen Dank auch Tina, heute mal kein Trinkgeld.
„Oh, Pavlov’s dog. Das hört man auch eher selten“ kam kurz darauf von meiner Tischnachbarin.
„Und noch seltener findet man jemand, der weiß, wie die Band heißt“ entgegnete ich und freute mich innerlich tierisch über meinen ersten Satz ohne Äh. So langsam wurde das was. Endlich bekanntes Terrain. Musik war meins.
„Mit dem Vornamen ist das quasi Pflichtprogramm“ meinte sie, „Julia“ und streckte mir ihre Hand hin.
Das war der Moment, in dem ich befürchtete, gestorben und kurz darauf in einem Inga-Lindström-Film wiedererwacht zu sein.
„Florian“ antwortete ich und die Tatsache, dass es nicht blitzte, als ich ihre Hand schüttelte, belehrte mich zumindest bezüglich des Lindström-Films eines Besseren.
wird (wenn Bedarf besteht) fortgesetzt (aber vermutlich auch sonst).