Gute Vorsätze und kognitive Dissonanzen

Vorbemerkung:
Nur weil ich weiß, wie das Zeugs heißt und wie es funktioniert, bedeutet das nicht, dass ich – nicht mal ansatzweise – der Meinung bin, es auch nur einen Deut besser zu machen als der Rest. Einfacher wird es dadurch auch nicht wirklich, es ist eher so wie ein Mückenstich, der erst dann wirklich anfängt zu jucken, wenn man ihn bemerkt und das erste Mal gekratzt hat.

 
Menschen sind unterschiedlich. Wenn ich mir mein Umfeld so anschaue, dann ist das für manche schon die erste Überraschung, die gepaart mit etwas Sendungsbewusstsein und einem falsch verstandenen kategorischen Imperativ

[Ich] Handle nur nach [..] [meiner] Maxime, [..] die [..] zugleich [..] ein allgemeines Gesetz werde[n] [soll]

unter anderem dazu führt, dass man Anderen das Tanzen vor Allerheiligen verbietet oder verpflichtende Veggie-Days einführt.

Aber ich schweife ab.

Das ist übrigens einer meiner bereits nicht mehr vorhandenen Vorsätze. Ich wollte nicht mehr so abschweifen.

Zurück zum Thema.

Nicht nur Menschen sind unterschiedlich, auch jeder Mensch hat unterschiedliche Wünsche, Absichten und Einstellungen.

Das ist so lange kein Problem, wie sich diese Wünsche, Absichten und Einstellungen nicht gegenseitig widersprechen. Das tun sie sehr oft und für alle sicht- und viele erlebbar in der Zeit vom 31.12. eines Jahres bis Mitte/Ende Januar des folgenden Jahres (für manche auch nur bis Anfang Januar, genauer bis zum ersten Januar, kurz nach dem Aufstehen). Die wenigsten guten Vorsätze fürs neue Jahr überleben die ersten zwei bis vier Wochen.

Auch das ist prinzipiell noch kein Problem, hat man sich halt umentschieden. Geistige Flexibilität ist ja auch schon ein Wert an sich.

Aber neben dem sozialen Druck, sich vor seinem Umfeld rechtfertigen zu müssen, kommt sehr häufig auch noch das innere Gefühl der Unzufriedenheit und des schlechten Gewissens, weil man es wieder nicht geschafft hat. Und schon hat man eine kognitive Dissonanz. Vereinfachend formuliert hat man sich freiwillig für irgendetwas entschieden, dass sich im Nachhinein aus den unterschiedlichsten Gründen als doof herausstellt. Das ist also kein krankhafter Zustand, sondern trifft jeden. Zwar unterschiedlich häufig, aber trotzdem irgendwann mal jeden. Vielleicht mit der Ausnahme von Berufspolitikern, für die das Fehlen jeglicher kognitiver Dissonanzen zu den Grundvoraussetzungen zu gehören scheint.

Um diese Dissonanz aufzulösen (weil die wenigsten Menschen Unzufriedenheit als anzustrebendes Grundgefühl ansehen oder gern mit einem schlechten Gewissen rumlaufen), kann man entweder seine Einstellung ändern, oder sein Verhalten.

Um das aus der grauen Theorie in die Praxis zu holen, nehmen wir mal zwei populäre Vorsätze:

  • Ich treibe (mehr) Sport
  • Ich werde mich gesünder ernähren

Den 2-Jahres-Knebel-Vertrag mit dem Fitness-Studio bekommt man noch hin, sich selbst danach ins Studio aber kaum noch.
Den Kürbis und die Linsen kauft man noch ein, aber nachdem an der Hokkaido-Schale zwei Messer abgebrochen sind und man festgestellt hat, dass die Linsen eine Garzeit von 30 Minuten haben, wird’s dann doch die 9-Minuten-Pizza, die noch im Tiefkühler lag.

Um das aufkommende schlechte Gewissen zu bändigen gibt’s zwei Möglichkeiten:
Entweder ich ändere meine Einstellung um weiterhin ohne Reue den Abend auf der Couch mit Tiefkühlpizza verbringen zu können, oder ich ändere mein Verhalten, kaufe mir ein Schlachtermesser (für den Kürbis), plane für meine Mahlzeiten ausreichend Zeit ein und schwitze in einem Fitness-Studio oder in Laufschuhen auf der Strasse.

Die Änderung der Einstellung ist vermutlich die einfachere Variante, die ungefähr so funktioniert:

Winston Churchill ist mit seiner Devise1 „first of all, no sports“ auch über 90 geworden und man liest ja auch so häufig von Sportverletzungen, gerade im Fitness-Studio und die nehmen da doch auch alle Anabolika und ich will keine kleinen Hoden (Männer) bzw. einen Bart (Frauen). Und überhaupt ist das immer so ein Aufwand mit hinfahren, trainieren, duschen, heimfahren, das reicht mir unter der Woche einfach nicht und am Wochenende will ich mich einfach mal erholen. Außerdem war ich betrunken, als ich den Vorsatz gefasst habe, der zählt eigentlich gar nicht richtig, mit 3 Flaschen Sekt ist man sicher nicht mehr zurechnungsfähig. Und das mit dem laufen ist mit meinem Gewicht auch ganz schlecht für die Gelenke und Bänder und ich bekomm‘ da immer so einen roten Kopf und im Sommer hat’s zu viel Ozon und im Winter ist es dunkel und rutschig.
Bye bye Sport.

In der Nahrungsmittelindustrie sitzen so viele schlaue Köpfe, die werden schon wissen, wie sie alles wichtige in die Lebensmittel bekommen, außerdem steht da gesund & bekömmlich auf dem Etikett, dass dürften die ja gar nicht schreiben, wenn’s nicht stimmen würde. Und überhaupt ist das immer so ein Aufwand mit dem Kochen. Töpfe kaufen, Kochbuch kaufen, im Lexikon nachschlagen, wie so eine Pastinake überhaupt aussieht, Pastinaken kaufen, putzen schälen, kochen, danach aufräumen und so weiter. Da macht das Essen gar keinen Spaß mehr. Und schau mal, was ich gefunden2 habe:

So deckt eine Pizza „Vier Jahreszeiten“ einen Großteil des Tagesbedarfs an wichtigen Vitaminen, wie eine Untersuchung ergeben hat: B-Vitamine im Teig, Käse und Thunfisch liefern Vitamin D und A, das Olivenöl Vitamin E und die Tomaten, Pilze und der Spinat enthalten Folsäure und Vitamin C.

Da lohnt sich der ganze Bohei um gesundes Essen gar nicht. Und ich kauf mir jetzt smoothies. Okay, keine grünen weil die eklig aussehen und auch so schmecken, aber die bunten mit Frucht. Das zählt, da steht auch smoothie drauf. Salat ist einfach nicht dafür gemacht, im Mixer zu enden.
Bye bye gesunde Ernährung (wobei, das mit der Pizza hat mich echt überrascht. Was man nicht alles so findet, wenn man googelt).

Und so löst sich die kognitive Dissonanz auf, die Vorsätze sterben still und heimlich, beziehungsweise schlafen sanft bis zum nächsten 31. Dezember, bis sie von einem angetrunkenen Über-Ich geweckt werden, um mal kurz wieder das Tageslicht zu sehen.

  1. die zwar nicht von ihm ist, aber wenn man es oft genug wiederholt, stimmt es irgendwann []
  2. http://www.mdr.de/hauptsache-gesund/vitamine114-download.pdf []

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