Ich möchte jetzt nicht unbedingt sagen, dass die Büro-Küche der Stammtisch des kleinen Mannes ist, aber es ist manchmal nicht ganz so weit entfernt, wie man sich das vorstellt.
Es gab gerade einen Tarifabschluss in der Metallbranche, der für einige enttäuschend war, da die erreichten 2% Gehaltssteigerung ab April 2025 und die 3,1% ab April 2026 gefühlt viel niedriger sind, als die jährlich verkündeten Rentensteigerungen.
Aber gefühlt ist nicht gerechnet.
Zusätzlich werden die Rentenanpassungen immer auf Basis des Vorjahres berechnet, so dass längere Zeiträume betrachtet werden müssen, weil die Rente immer ein Jahr hinterherläuft und beispielsweise die Steigerung der Renten von 2024 mit der Steigerung der Löhne im Jahr 2023 verglichen werden muss.
Basis für die Anpassung der Renten sind die Daten des Statistischen Bundesamts zur Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer nach den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) [des Vorjahres].[1]
Das macht normalerweise wenig aus, aber gerade die starken Unterschiede in der Inflationsrate der letzten Jahre (z.B. 0,5% im Jahr 2020[2]bis 7,9% zwei Jahre später[3]führen zu Verzerrungen.
Lange Rede kurzer Sinn, ich wollte ja rechnen.
Die ältesten Tarifabschlüsse, die ich für mein Tarifgebiet (Südwürttemberg-Hohenzollern) gefunden habe, sind aus dem Jahr 2006.
Um das Ganze anschaulicher zu machen, erfinden wir zwei Menschen.
Das ist Stefan.
Stefan ist Ingenieur in der Entwicklungsabteilung eines großen Automobil-Zulieferers im Südosten Baden-Württembergs.
Aufgrund seiner Tätigkeit ist Stefan in die Gehaltsstufe EG15 eingruppiert.
Stefan bekommt ein durchschnittliches Leistungsentgelt von 15%.
Das ist Paul.
Paul war bis Ende 2005 ein Kollege von Stefan und ist danach mit 65 Jahren in die Regelaltersrente gegangen.
Stefan hat in seinen 40 Arbeitsjahren insgesamt 70 Rentenpunkte angesammelt.
Die bekommt er ab Januar 2006 abschlagsfrei ausbezahlt.
Stefans Jahresgehalt 2006
Das Monatsgehalt setzt sich zusammen aus
- dem Grundentgelt in EG15
- der ERA-Zulage in Höhe von 15%.
Zusätzlich erhält Stefan laut Tarifvertrag
- Urlaubsgeld in Höhe von 69% und
- eine Jahressonderzahlung (Weihnachtsgeld) in Höhe von 60%.
Monatsgehalt (x 12) | 52.412,40€ |
Urlaubsgeld (69%) | 3.012,21€ |
Weihnachtsgeld (60%) | 2.620,62€ |
Jahresgehalt | 58.045,23€ |
Pauls Jahresrente 2006
Die jährliche Rente setzt sich zusammen aus der Anzahl der erworbenen Rentenpunkt mal dem Rentenwert mal 12.
Rentenwert | 26,13€ |
Monatsrente | 1.829,10€ |
Jährliche Rente | 21.949,20€ |
Wir machen einen Sprung ins Jahr 2024. Zur Vereinfachung wird das ganze Jahr sowohl bei Paul als auch bei Stefan mit den Werten gerechnet, die streng genommen erst ab Mai (Stefan) bzw. Juli (Paul) gegolten haben.
Stefans Jahresgehalt 2024
Das Monatsgehalt setzt sich immer noch zusammen aus
- dem Grundentgelt in EG15 und
- der ERA-Zulage in Höhe von 15%.
Zusätzlich erhält Stefan laut Tarifvertrag - Urlaubsgeld in Höhe von 69% und
- eine Jahressonderzahlung (Weihnachtsgeld) in Höhe von 60%.
Neu hinzugekommen ist - das Trafo-Geld in Höhe von 18,4% eines Monatsgehalts,
- T-Zug A in Höhe von 27,5% eines Monatsgehalts und
- T-Zug B, der einen gehaltsunabhängigen Wert hat, der sich an der Entgeltgruppe 7 orientiert.
Monatsgehalt (x 12) | 80.426,40€ |
Urlaubsgeld (69%) | 4.622,21€ |
Weihnachtsgeld (60%) | 4.021,32€ |
Trafo-Geld (18,4%) | 1.233,20€ |
T-Zug A (27,5%) | 1.843,11€ |
T-Zug B (18,5% von EG7) | 651,50€ |
Jahresgehalt | 92.797,74€ |
Pauls Jahresrente 2024
Die jährliche Rente setzt sich immer noch zusammen aus der Anzahl der erworbenen Rentenpunkt mal dem Rentenwert mal 12.
Rentenwert | 39,32€ |
Monatsrente | 2.752,40€ |
Jährliche Rente | 33.028,80€ |
Steigerung des Gehalts, der Rente und der Inflation seit 2006
Name | 2006 | 2024 | Steigerung |
Stefan | 58.045,23€ | 92.797,74€ | 59,9% |
Paul | 21.949,20€ | 33.028,80€ | 50,5% |
Inflation (2020=100) | 82,8 | 119,3 | 44,1% |
Für den gesamten Betrachtungszeitraum liegt die Rentensteigerung unterhalb der Gehaltssteigerung in der Metallbranche und beide liegen über der offiziellen Inflationsrate.
Dazu kommen natürlich eine Menge anderer Faktoren, beispielsweise die Erhöhung von Beitragsbemessungsgrenzen, die ziemlich am Nettolohn von Stefan geknabbert haben, aber das würde für einen kleinen Beitrag wie diesen zu weit führen.
Weil ich auch noch andere Jahre gerechnet habe (ja, manchmal ist mir abends langweilig und ja, sprecht mich nicht auf Partys an), trifft das nicht auf alle Abschnitte zu.
Einfach nur der Vollständigkeit halber:
Steigerung des Gehalts, der Rente und der Inflation seit 2014
Name | Steigerung |
Stefan | 28% |
Paul | 37,5% |
Inflation | 27% |
Man kann mit der geeigneten Auswahl des Betrachtungszeitraums also relativ viel anstellen und man findet für viele Thesen auch die entsprechenden Nachweise.
Und nur als Denkanstoß für die bevorstehenden Bundestagswahlen:
Es kann zwar durchaus anstrengend sein, die Thesen von irgendwelchen Wahlplakaten oder -programmen nachzuprüfen, aber ich hoffe, dass es uns nicht so geht wie den Briten, die 2016 nach dem Referendum gegoogelt haben „What does Brexit mean“ oder den US-Amerikanern, die nach der gerade erfolgten Wahl nach „Project 2025“ gegoogelt haben.
Interessanter Vergleich! Jetzt frage ich mich nur, was Paul von den jüngsten Tarifabschlüssen in der Metallbranche hält. Ob ihm die 2% Gehaltserhöhung ab 2025 als Rentner wirklich weiterhelfen? Vielleicht hilft ein Blick auf aktuelle Preisentwicklungen, um das besser einzuschätzen. Auf https://welt-preise.de kann man sich dazu informieren, auch wenn ich nicht sicher bin, ob die Infos immer topaktuell sind. Trotzdem ganz spannende Gedanken!