35 – Kryptonite

Mal wieder so ein Lied, bei dem ich hauptsächlich unverständige Blicke dafür ernte, Luftgitarre spielend und laut mitsingend durchs Wohnzimmer zu hüpfen.
Irgendwann werden Eltern nun mal peinlich.
Textsichere Eltern ein wenig später, weil nur „lalala“ singend auf der nach unten offenen Peinlichkeitsskala noch etwas tiefer rangiert, aber das rettet einen allerhöchstens 2 Minuten. Wahrscheinlich eher nur 1 Minute und auch nur dann, wenn die Sekunden sehr kurz sind.
Aber wenn ich mir aussuchen kann, ob ich wegen sowas peinlich bin, oder wegen des Mitschunkelns beim Musikantenstadl, entscheide ich mich für ersteres, das macht wenigstens Spaß.

Kommen wir zum Inhalt des Lieds und den Problemen die entstehen, wenn die Kinder den Text verstehen.
Da bekommt man schon mal zu hören, da wäre ein „if“ zuviel in der ersten Zeile des Refrains, die Zeit wäre zumindest in meinem Falle falsch, das müsse simple past sein und nein, er würde das nicht mehr tun, hätte er im übrigen auch noch nie. Dabei wird man dann angeschaut mit einem Blick, der irgendwo zwischen Missbilligung und müdem Lächeln schwankt, während er sich im Hinterkopf vermutlich schon überlegt, wieviel ihn später die Umschläge ans Pflegepersonal kosten werden, weil der Alte mal wieder völlig ausgetickt ist.
Grundsätzlich macht mich sowas ja stolz (also auf meine Kinder), aber vermutlich steige ich doch auf französische Chansons um.

Um noch mal kurz zum Text zurückzukehren. Nicht, dass ich Superkräfte hätte, aber Kryptonit gibt’s trotzdem für mich.

37 – Carry you home

Ich habe ziemlich lange gegrübelt, ob das Lied überhaupt in die Liste kommt. Aber es sollen ja 42 Lieder sein, die mir was bedeuten und irgendwie bin das, was jetzt kommt, auch ich.

Vor 10 Jahren kam mein Opa ins Krankenhaus wegen des Verdachts auf Lungenentzündung, die er sich vermutlich bei der Beerdigung seiner Frau zwei Tage zuvor zugezogen hatte. Ich bin dem Krankenwagen dann noch mit der obligatorischen Krankenhaustasche – die wahrscheinlich noch meine Oma gepackt hatte – nachgefahren, hab die Sachen im Schrank verstaut und mich bis zum nächsten Tag verabschiedet.

Als ich am nächsten Tag zu ihm wollte, wurde mir mitgeteilt, man hätte ihn auf die Intensivstation verlegt, weil in der Nacht Komplikationen aufgetreten seien. Dort wurde ich von zwei Ärzten in Empfang genommen, die mir erklärten, dass mein Opa in ein künstliches Koma versetzt worden war, dass sein Zustand zwar stabil sei, was aber ausschliesslich durch die Geräte und die ständige Medikation gewährleistet würde, die ihn im Moment auch am Leben erhielten. Und es gäbe da die Patientenverfügung, in der mein Opa lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt, wenn nicht mehr damit zu rechnen sei, dass sich sein Zustand später wieder verbessern könnte. Nach Ansicht des betreuenden Stations-Arztes und zweier Oberärzte sei nicht damit zu rechnen, dass er sich wieder erholen würde. Man würde in Übereinstimmung mit seiner Patientenverfügung die Geräte abschalten. Ob ich denn noch mal zu ihm wolle.

Ich wollte und ich glaube, ich stand einfach nur 5 Minuten stumm am Fußende seines Bettes, bis die Ärzte reinkamen und mir mitteilten, sie würden jetzt die Geräte abschalten. Ob ich lieber gehen wolle, oder bleiben.

Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass mein Opa da einsam und alleine in seinem Bett liegt und stirbt, während ich einfach weggehe. Ich habe dann einen Stuhl bekommen, während die Schwestern und die Ärzte die ganzen Spritzenpumpen und Monitore abgeschaltet haben. Da ich wusste, dass mein Opa immer Angst davor hatte, zu ersticken, habe ich irgendwie noch fragen können, ob man denn die Beatmung anlassen könne. Nach einem kurzen Augenrollen des Intensivmediziners hat man sie angelassen und sich für die nächsten 15 Minuten verabschiedet.

Und da saß ich jetzt, am Bett meines Opas mit dem Wissen, dass der Mann, dessen Hand ich gerade hielt, in der nächsten Viertelstunde sterben würde. Ich weiß nicht, ob man kurz vor dem Tod sein eigenes Leben noch mal an sich vorüberziehen sieht, aber ich habe in dieser Viertelstunde mein Leben mit meinem Opa an mir vorüberziehen sehen. Von den ersten Erinnerungen, wie er seinem ziemlich bockigen und ungeduldigen Enkelsohn mit einer Engelsgeduld das Fahrradfahren beigebracht hat, wie wir zum ersten Mal zusammen auf seiner Kreidler Florett gefahren sind und er sich danach von meiner Oma eine Gardinenpredigt anhören musste, die sich gewaschen hatte, weil ich doch noch viel zu klein dafür sei, wie wir zusammen in ihrem alten Haus die Ölöfen aufgefüllt haben und es in den Zimmern, die ich aufgefüllt hatte, immer entsetzlich nach Heizöl stank, wie wir zusammen die alte Uhr repariert haben, die vor der Reparatur die Bigben-Melodie spielte und danach irgendetwas sehr dissonantes, wie wir uns oft und sehr intensiv darüber gestritten hatten, zu welchen Anlässen man denn rasiert auftaucht, und ganz am Ende, wie er sich drei Tage zuvor zu meinem Sohn und mir in’s Spielzimmer gesetzt und uns einfach zugeschaut hatte, bis Niklas plötzlich aufstand, zu ihm tapste und ihn umarmte. Und ich hab ihm das alles erzählt und wie froh und glücklich ich bin, so einen Opa zu haben. Und dann wollte mir partout nicht einfallen, wann ich es ihm das letzte Mal davor gesagt hatte.

Und dann war es auch schon vorbei. Der Herzmonitor zeigte nichts mehr an, die Ärzte kamen rein und ich ging.

Zwei Jahre später habe ich dann zum ersten Mal „carry you home“ gehört und als der Refrain kam, saß ich plötzlich wieder in diesem Krankenhausstuhl, hörte die Beatmungsmaschine und hätte beinahe angefangen zu heulen, was in dem Moment relativ unpassend gewesen wäre.

Mittlerweile geht’s, aber so völlig normal wird dieses Lied für mich vermutlich nie werden.

38 – 51st state

Vorbemerkung:
Ich würde ja jetzt etwas über einen weiteren krassen Stilwechsel schreiben, aber dann bekomme ich vermutlich wieder vorgehalten, ich würde Kommentare immer gleich in meinen Blogbeiträgen verarbeiten1.
Und das müsste ich ziemlich wahrscheinlich dann heute Abend ausbaden, wenn es in einem sehr motivierenden aber nichtsdestoweniger sehr bestimmenden Tonfall wieder heißt „ein paar Zentimeter tiefer geht schon noch„.

Und bevor jetzt irgendjemand auch nur im Ansatz irgendetwas denkt wofür er sich früher, hätte er das laut vor seiner Mutter geäussert, den Mund mit Seife hätte auswaschen müssen, möchte ich anfügen, dass es sich um in die Knie gehen handelt.
Halt, legt die Seife noch nicht weg. In die Knie nicht auf die Knie. Ich bin heute Abend nicht bei einer Laienschauspielgruppe, die sich an die Theater-Adaption von „fifty shades of grey“ wagt (wobei jetzt dummerweise mein Kopfkino anfängt, weil ich ein Laienschauspiel-Ensemble und die möglichen Hauptdarsteller des Stücks kenne. Moment.

Tote Ratte, tote Ratte, tote Ratte.

Jetzt. Geht wieder), ich gehe zum Sport. Das einzige, was dabei nackt ist, sind meine Füße und auch nur heute und auch nur ausnahmsweise. Jetzt könnt ihr die Seife weglegen, falls überhaupt noch was davon übrig ist (Ich könnte ein bisschen davon für meine Füße brauchen. Es hieß, ich solle sie vorher waschen). Ich mache Flexibar (das ist das, wo man mit seinen Händen einen Stab zum schwingen bringt) und da ist es ohne Schuhe viel schwieriger das Gleichgewicht zu halten als mit. Meine Trainerin weiß halt ganz genau, wie sie das Letzte aus meinem Körper herauskitzelt. Und es lohnt sich. Während ich früher schon nach fünf Minuten fertig, verschwitzt und nach Atem ringend auf der Matte lag, halte ich heute mindestens eine halbe Stunde durch.

Wer jetzt ganz spontan wieder das Bedürfnis nach einem Stück Seife in sich verspürt, hier liegt noch etwas rum.

Musik, es soll hier doch angeblich um Musik gehen.

Gleich kommt Musik, aber ich muss vorher für die jüngeren Leser (so ab Jahrgang 1990 … Halt, sind die jetzt echt schon 24/25 Jahre alt? Aaaahh) noch was erklären.

Früher (zu der Zeit, als untenstehendes Lied entstand) gab es Musik aus dem Radio, oder man hat sie sich im Laden gekauft, oder man hatte Freunde, die einem Kassetten aufgenommen haben.
Bei den Liedern im Radio gab es das große Problem, dass die ganz oft nicht gesagt haben, wie das Lied heißt. Wer jetzt einwendet, „kein Problem, die haben doch die Playlisten im Internet“ sollte sich kurz vergegenwärtigen, dass es das Internet, so wie wir es heute kennen, Mitte der 80er noch nicht gab. „Ach Gottchen, dann nimm halt Shazam„. Gleiches Thema. Telefone hatten ein Kabel, eine BZT-Zulassung und ein Häkeldeckchen (zumindest das meiner Oma. Ich habe lange gebraucht um festzustellen, dass das da drauf war, damit es „schöner?“ aussieht). Beim Wählen hat es nicht tüdeldü sondern klack-klack-klack gemacht, weswegen findige Kinder auch mit angebrachter Tastensperre (die damals noch physisch mit Schlüssel ans Gerät gehängt wurde) über die Telefongabel wählen konnten, vorausgesetzt der Kumpel hatte eine Telefonnummer mit möglichst niedrigen Ziffern2.

Musik und die Geschichte dazu, Markus. Ja doch, gleich. Ich mach das hier nur noch schnell fertig. Auch so was, was die junge Generation einfach nicht mehr mitbringt. Zeit für eine gute Geschichte. „Für gute Geschichten schon, aber für das hier?„.

Verstanden. Zurück zur Musik.

Es war damals sehr schwer, den Titel eines Lieds herauszubekommen, wenn es nicht die ganze Zeit im Radio gespielt wurde. Und so war es bei mir und „51st state“ auch. Ich glaube, ich habe ein halbes Jahr gesucht, bis ich es ganz am Ende der CD-Verkäuferin meines Vertrauens (damals gab es noch Geschäfte, die Tonträger verkauft haben) vorgesungen habe (also mehr gesummt, von einmal hören kann ich den Text noch nicht). Die kannte es auch nicht, aber da in dem Laden immer mehrere Leute rumgelungert haben (Kleinstadt Mitte/Ende der 80er, wir hatten nichts wirklich anderes spannenderes zu tun) hatte ich Glück und irgendjemand kam mit der Platte um die Ecke. Und bevor ich jetzt auch noch anfange zu erklären, was Schallplatten sind und was es mit 33 und 45 Umdrehungen auf sich hat (nein, erst mal nichts mit dem Alkoholgehalt), werd ich jetzt die Bühne räumen für new model army:

  1. völlig zurecht übrigens []
  2. und für die Klugscheisser unter uns: für die Null musste man 10x klackern []

39 – fade into you

Es gibt Lieder, die nur sehr selten im Radio oder im Fernsehen kommen und bei manchen ist das auch gut so.
Und dann gibt es Lieder, die völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten, wie das folgende.

Vor kurzem bin ich beim rumzappen auf ZDFKultur hängengeblieben, wo gerade ein Konzert von Mazzy Star lief.
Und plötzlich war ich wieder 21, mit der Welt und dem Schicksal im Allgemeinen und der (wie könnte es anders sein) unerwiderten Liebe zu einer Frau im Besonderen haderte. Ich glaube, meine Autobiographie von Ende der 80er bis Mitte der 90er wäre relativ langweilig:

unglücklich verliebt (da capo al fine)

Zurück zum Lied, das andere Thema hatte ich ja schon. Du darfst Du mich jetzt zum Weinen bringen, Hope:

Nein, ich weine nicht wirklich, aber es ist schon seltsam, wie präsent eine Erinnerung werden kann, die ich 20 Jahre irgendwo versteckt hatte und die bei den Zeilen „fade into you, strange you never knew“ hochkommt und im Gegensatz zu mir kein bisschen gealtert zu sein scheint.