Sind Kriegsdienstverweigerer gesünder als Nichtverweigerer

oder werden sie einfach nur anders gemustert?

Im Jahr 2008 wurden insgesamt 456’000 junge Männer gemustert, wovon 243’000 bzw. 53,3% tauglich waren.

Im Jahr 2008 wurden insgesamt 156’000 Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt, wovon 107’000 in einer Anerkennung mündeten. Da die Anträge von untauglich Gemusterten nicht mehr weiter verfolgt werden, lag die Tauglichkeitsquote unter den Kriegsdienstverweigeren bei mindestens 68,5% (da sind zurückgezogenen oder sonstig erledigte Anträge noch gar nicht mitgerechnet).

Von den 300’000 gemusterten Männern, die keinen KDV-Antrag gestellt haben, waren nur 136’000 bzw. 45,3% tauglich.

Natürlich gibt es Überhänge aus einzelnen Jahren, natürlich muss man seinen KDV-Antrag nicht unbedingt im Jahr der Musterung stellen und natürlich gibt es Kriegsdienstverweigerer, die ihren Antrag erst dann stellen, wenn der Einberufungsbescheid verschickt wird, die Tendenz ist meines Erachtens allerdings so deutlich, dass das als Erklärung nicht ausreicht, zumal die Anzahl der KDV-Anträge bei „Ungedienten mit Einberufungsbescheid bzw. einer Vorbenachrichtigung als Ersatz
für Ausfälle“ im Jahr 2005 gerade mal bei 6’000 lag (neuere Zahlen habe ich nicht und bin für Mails diesbezüglich dankbar).

Das Bundesverteidigungsministerium ist sich natürlich keiner Schuld bewusst. Im Spiegel ist zu lesen:

Beim Verteidigungsministerium indes weist man die Vorwürfe zurück. „Die Musterungskriterien sind alle einheitlich“, sagte ein Sprecher auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Politische Kriterien seien nicht vorstellbar, die Bundeswehr sei ans Gesetz gebunden. „Es ist klar, dass wir einheitlich mustern“, sagte der Sprecher.

Dann bleibt wohl doch nur die Alternative, dass Kriegsdienstverweigerer durchschnittlich gesünder sind als jene, die nicht verweigern.

Nachdem schon länger bekannt ist, dass Kriegsdienstverweigerer durchschnittlich einen höheren Bildungsabschluss haben als einberufene Wehrpflichtige (über 80% der Kriegsdienstverweigerer haben mindestens einen Realschulabschluss, während das nur bei 66% der Grundwehrdienstleistenden der Fall ist), folgt die nächste Schlappe. Aber das kann man sicher auch irgendwie schönreden Herr Jung, mit der Wehrgerechtigkeit gelingt ihnen das ja auch.

Und wieder ein Wehrpflicht-Gewinnler

Von hier zitiert:

Im Frühjahr [2002] stieg die Familie Reichsfreiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg als Großaktionär der RHÖN-KLINIKUM AG durch die Veräußerung der bisher gehaltenen Stammaktien an die HVB (HypoVereinsbank-Gruppe) aus [..]

von hier zitiert:

[..] an das Bundesamt für den Zivildienst gewandt und darin auf die gängige Praxis hingewiesen, dass kostengünstige und teilweise steuerfinanzierte Zivildienstleistende in gewinnorientierten Unternehmen wie der Rhön-Klinikum AG beschäftigt werden.

von hier zitiert:

Für 2002 wies der Klinikbetreiber einen Überschuss von 67,3 Mil. Euro aus

und dann nochmal aus der FAZ, bzw meinem ersten Artikel zum neuen Wirtschaftsminister

Vieles, was der bisherige CSU-Generalsekretär als Befähigungsnachweis für das Staatsamt aufzuweisen hat, wurzelt in seiner Familie. Wer sich über Jahrhunderte halten und dann noch ein gewisses Vermögen vorweisen kann, versteht überdurchschnittlich viel von Wirtschaft.

So, jetzt folgt der erste nennenswerte eigene Beitrag zu diesem Eintrag:

Kunststück, sie wenden ja auch noch die gleichen Methoden an wie vor Jahrhunderten.

Die Mär von der Wehrgerechtigkeit

Der Verteidigungsminister wird nicht müde zu betonen, dass es um die Wehrgerechtigkeit gut bestellt sei, schliesslich liege der sogenannte Ausschöpfungsrest gerade mal bei 7,5%.

wehrgerechtigkeit

Verschwiegen wird dabei des öfteren, wie man denn auf diese Zahl gekommen ist, vermutlich, weil man nicht sagen will, dass man sie sich schöngerechnet hat.

Obige Tabelle stammt von der Webseite des Bundesverteidigungsministeriums. Davon abgesehen, dass man mittlerweile auch die Jahrgänge bis 1985 anzeigen könnte, weil:

Die tatsächliche Ausschöpfung einzelner Geburtsjahrgänge kann erst beurteilt werden, wenn diese Jahrgänge die für den Grundwehrdienst festgesetzte allgemeine Heranziehungsgrenze mit Vollendung des 23. Lebensjahres überschritten haben.

sieht man hier schön, wie die Zahlen zustandekommen.

Der Jahrgang 1976 hatte noch 174’072 verfügbare Wehrpflichtige (also ohne alle Untauglichen, KDV, 3. Brüder etc.). Davon haben 15’427 keinen Wehrdienst geleistet.

Man sollte annehmen, dass der Aussschöpfungsrest auf die verfügbaren Wehrpflichtigen gerechnet wird, doch dann würden die Zahlen zu gross. Also nimmt man die erfassten Wehrpflichtigen als Basis und kommt auf gerade mal 3,9%. Würde man die Zahl derer nehmen, die hätten können, aber nicht mussten, wäre man schon für den Jahrgang 1976 auf 8,9% gekommen.

Der Jahrgang 1982 zeichnet sich durch eine geringere Zahl von verfügbaren Wehrpflichtigen aus, weil seit 2003 die T3-gemusterten nicht mehr verfügbar sind. Die KDV-Zahlen lagen ähnlich hoch, die sind nicht schuld.

140’295 Wehrpflichtige hätten ihren Wehrdienst ableisten können, es mussten aber nur 107’047. Ich komme dann auf einen Ausschöpfungsrest von 23,7%. Der Bundesverteidigungsminister kommt stattdessen auf 7,5% weil das besser aussieht.

Wenn man (mit gewissen Unsicherheiten) mal einen Ausblick wagt, dann wird sich das ganze noch erheblich verschlechtern, bzw. hat es schon.

Das Personalstrukturmodell PSM 2010 der Bundeswehr sieht insgesamt 55’000 Stellen für GWDL/FWDL vor. Die Bundeswehrplanung geht von 35’000 GWDL-Stellen und 25’000 FWDL-Stellen aus. Das sind bestenfalls 47’000 einzuziehende GWDL und 18’000 FWDL, also insgesamt 65’000.

Aber wer weiss, vermutlich werden einfach die Tauglichkeitskriterien angepasst, dann kommt man schon soweit, dass die Zahl von 140’000 auf 100’000 sinkt. Oder man zieht einfach auch GWDL zu Auslandseinsätzen (was momentan übrigens schon möglich ist), dann steigt die Zahl der KDV.

Die Mär vom Zivildienst

In vielen Diskussionen wird immer wieder die Behauptung aufgeworfen, der Zivildienst und damit die allgemeine Wehrpflicht wären dringend nötig, da sonst die sozialen System zusammenbrechen, oder unbezahlbar würden (z.B. hier, hier und hier)

Man stelle sich vor, dass der Zivildienst tatsächlich nicht mehr existieren würde. Ein ganzes Sozialsystem würde zusammenbrechen. Unentbehrlich sind sie geworden, die Zivis.

Deutschland kann sich eine adäquate Berufsarmee schlicht und ergreifend nicht leisten – von den Kosten für das Gesundheitssystem, das ohne Wehrpflicht zusammenbrechen würde, ganz zu schweigen.

Ganz davon abgesehen kann unser Sozialsystem ohne Zivis so nicht weiter existieren.

Diese These wird eigentlich nie mit Fakten untermauert, weil das ja „eh jeder weiss“.

Deshalb an dieser Stelle mal der Versuch, die relevanten Fakten zusammenzutragen und mal nachzuschauen, was eigentlich dran ist, am möglichen Zusammenbruch.

Beginnen möchte ich mit der formellen Seite. Zivildienstleistende müssen arbeitsmarktneutral eingesetzt werden. So sieht das offiziell auch die Bundesregierung, wie man in der BT-Drs 16/8678 nachlesen kann

[..] die Bundesregierung [plant] keine gesetzlichen Regelungen [..], die auf die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht zielen oder in anderer Weise die Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes in Frage stellen [..]

Zivildienstleistende, die einen essentiellen Beitrag zum Sozialsystem leisten, dürfte es nach dieser Definition eigentlich gar nicht geben. Aber wir wissen ja alle, dass Papier geduldig und es mit der Arbeitsmarktneutralität von ZDL nicht so weit her ist (das scheint ein Kavaliersdelikt und sogar gewollt zu sein, wo doch „Arbeitsplatzvernichter“ sonst einen so schlechte Ruf haben).

Wenn Zivildienstleistende eine so grosse Stütze des Systems wären, dann würde auch eine Verkleinerung sichtbar werden. Im Jahr 1993 gab es 125’000 Zivildienststellen im Jahr 2005 verteilten sich die einberufenen 83’405 ZDL auf insgesamt 62’500 Stellen, also eine glatte Halbierung. Wer jetzt einwendet, dass das Gesundheitssystem in diesen Jahren ja auch erheblich teurer geworden ist, sollte sich die Kostenstruktur der Gesundheitsausgaben in Deutschland mal anschauen und wird dann feststellen, dass Zivildienstleistende nur äussert selten als verschreibungspflichtiges Medikament oder niedergelassener Facharzt eingesetzt werden.

Weiter geht’s mit der Frage, die viele zu bewegen scheint, was würde denn im allerschlimmsten Fall der Ersatz aller Zivildienstleistendenstellen durch reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze kosten?

Es geht um den Ersatz von 62’500 ZDL-Stellen. Wenn wirklich jede Stelle durch eine Fachkraft ersetzt werden würde und wenn jede Stelle Lohnkosten in Höhe von 40’000 EUR pro Jahr verursachte (das wäre dann ein durchschnittlicher Bruttolohn von ca. 2’750 EUR pro Monat), dann würden sich die Kosten auf 2,5 Milliarden EUR pro Jahr belaufen. Das sind 0,95% der Gesundheitsausgaben des Jahres 2006. Schon das ginge völlig im statistischen Rauschen unter. Allerdings wären die echten Kosten um ein erhebliches niedriger.

Abziehen von den 2,5 Milliarden EUR kann man

  • 625 Millionen EUR, die für die ZD gezahlt werden (vom Bund und den jeweiligen Trägern)
  • 320 Millionen EUR, die reguläre Arbeitskräfte als Sozialabgaben direkt wieder in die Krankenversicherungen einzahlen würden
  • 70 Millionen EUR, die reguläre Arbeitskräfte als Sozialabgaben direkt wieder in die Arbeitslosenversicherung einzahlen würden
  • 400 Millionen EUR, die reguläre Arbeitskräfte als Sozialabgaben direkt wieder in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen würden
  • 250 Millionen EUR, die reguläre Arbeitskräfte an Steuern abzuführen hätten.
Das ganze käme am Ende auf weniger als 1 Milliarde EUR. Dafür hätten wir dann allerdings:
  • weniger Arbeitslose im Pflegebereich
  • motiviertes Personal, das sich den Beruf freiwillig ausgesucht hat
  • kontinuierlichere Betreuung, weil nicht alle 7-8 Monate der Pfleger wechselt
  • grössere Professionalität, weil eine Hilfskraft durch eine vollwertige Pflegekraft ersetzt wird

Wenn man sich anschaut, wie momentan 10 Milliarden EUR schwere Konjunkturpakete geschnürt werden, dann sollte ein wesentlich kleinerer Beitrag allemal vorhanden sein.

Aber das würde ja an der Wehrpflicht rütteln, über die jemand mal treffend schrieb:

Die Wehrpflicht vereint für einige Leute geradezu mythische
Eigenschaften, die unsere Gesellschaft nicht nur sicherer, sondern
„besser“ macht. Sie ist sowas wie die Bundeslade unserer Zeit.

Zahl des Tages: 66’517

66’517 junge Männer mit vollendetem 18. Lebensjahr haben im Jahr 2007 Zivildienst geleistet. Das sind 82% mehr ZDL als GWDL.

Die Stellen für die GWDL waren komplett besetzt. Man stelle sich nur mal vor, nächstes Jahr würde nur noch die Hälfte verweigern, Herr Jung käme vermutlich stark ins Schwitzen.

Wobei, der Herr Jung vermutlich nicht. Man passt einfach nur die Tauglichkeitskriterien ein wenig an, schon ist man wieder bei einer Ausschöpfungsquote von annähernd 100%.