In vielen Diskussionen wird immer wieder die Behauptung aufgeworfen, der Zivildienst und damit die allgemeine Wehrpflicht wären dringend nötig, da sonst die sozialen System zusammenbrechen, oder unbezahlbar würden (z.B. hier, hier und hier)
Man stelle sich vor, dass der Zivildienst tatsächlich nicht mehr existieren würde. Ein ganzes Sozialsystem würde zusammenbrechen. Unentbehrlich sind sie geworden, die Zivis.
Deutschland kann sich eine adäquate Berufsarmee schlicht und ergreifend nicht leisten – von den Kosten für das Gesundheitssystem, das ohne Wehrpflicht zusammenbrechen würde, ganz zu schweigen.
Ganz davon abgesehen kann unser Sozialsystem ohne Zivis so nicht weiter existieren.
Diese These wird eigentlich nie mit Fakten untermauert, weil das ja „eh jeder weiss“.
Deshalb an dieser Stelle mal der Versuch, die relevanten Fakten zusammenzutragen und mal nachzuschauen, was eigentlich dran ist, am möglichen Zusammenbruch.
Beginnen möchte ich mit der formellen Seite. Zivildienstleistende müssen arbeitsmarktneutral eingesetzt werden. So sieht das offiziell auch die Bundesregierung, wie man in der BT-Drs 16/8678 nachlesen kann
[..] die Bundesregierung [plant] keine gesetzlichen Regelungen [..], die auf die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht zielen oder in anderer Weise die Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes in Frage stellen [..]
Zivildienstleistende, die einen essentiellen Beitrag zum Sozialsystem leisten, dürfte es nach dieser Definition eigentlich gar nicht geben. Aber wir wissen ja alle, dass Papier geduldig und es mit der Arbeitsmarktneutralität von ZDL nicht so weit her ist (das scheint ein Kavaliersdelikt und sogar gewollt zu sein, wo doch „Arbeitsplatzvernichter“ sonst einen so schlechte Ruf haben).
Wenn Zivildienstleistende eine so grosse Stütze des Systems wären, dann würde auch eine Verkleinerung sichtbar werden. Im Jahr 1993 gab es 125’000 Zivildienststellen im Jahr 2005 verteilten sich die einberufenen 83’405 ZDL auf insgesamt 62’500 Stellen, also eine glatte Halbierung. Wer jetzt einwendet, dass das Gesundheitssystem in diesen Jahren ja auch erheblich teurer geworden ist, sollte sich die Kostenstruktur der Gesundheitsausgaben in Deutschland mal anschauen und wird dann feststellen, dass Zivildienstleistende nur äussert selten als verschreibungspflichtiges Medikament oder niedergelassener Facharzt eingesetzt werden.
Weiter geht’s mit der Frage, die viele zu bewegen scheint, was würde denn im allerschlimmsten Fall der Ersatz aller Zivildienstleistendenstellen durch reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze kosten?
Es geht um den Ersatz von 62’500 ZDL-Stellen. Wenn wirklich jede Stelle durch eine Fachkraft ersetzt werden würde und wenn jede Stelle Lohnkosten in Höhe von 40’000 EUR pro Jahr verursachte (das wäre dann ein durchschnittlicher Bruttolohn von ca. 2’750 EUR pro Monat), dann würden sich die Kosten auf 2,5 Milliarden EUR pro Jahr belaufen. Das sind 0,95% der Gesundheitsausgaben des Jahres 2006. Schon das ginge völlig im statistischen Rauschen unter. Allerdings wären die echten Kosten um ein erhebliches niedriger.
Abziehen von den 2,5 Milliarden EUR kann man
-
625 Millionen EUR, die für die ZD gezahlt werden (vom Bund und den jeweiligen Trägern)
-
320 Millionen EUR, die reguläre Arbeitskräfte als Sozialabgaben direkt wieder in die Krankenversicherungen einzahlen würden
-
70 Millionen EUR, die reguläre Arbeitskräfte als Sozialabgaben direkt wieder in die Arbeitslosenversicherung einzahlen würden
-
400 Millionen EUR, die reguläre Arbeitskräfte als Sozialabgaben direkt wieder in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen würden
-
250 Millionen EUR, die reguläre Arbeitskräfte an Steuern abzuführen hätten.
Das ganze käme am Ende auf weniger als 1 Milliarde EUR. Dafür hätten wir dann allerdings:
-
weniger Arbeitslose im Pflegebereich
-
motiviertes Personal, das sich den Beruf freiwillig ausgesucht hat
-
kontinuierlichere Betreuung, weil nicht alle 7-8 Monate der Pfleger wechselt
-
grössere Professionalität, weil eine Hilfskraft durch eine vollwertige Pflegekraft ersetzt wird
Wenn man sich anschaut, wie momentan 10 Milliarden EUR schwere Konjunkturpakete geschnürt werden, dann sollte ein wesentlich kleinerer Beitrag allemal vorhanden sein.
Aber das würde ja an der Wehrpflicht rütteln, über die jemand mal treffend schrieb:
Die Wehrpflicht vereint für einige Leute geradezu mythische
Eigenschaften, die unsere Gesellschaft nicht nur sicherer, sondern
„besser“ macht. Sie ist sowas wie die Bundeslade unserer Zeit.