Lokalpolitik

Einen kleinen Ausflug in die Lokalpolitik kann ich mir nicht verkneifen, wenn ich die aktuelle Berichterstattung rund um das neue Ravensburger Museum und die Art und Weise der Finanzierung sehe.

Neu in das Konzert der Kritiker ist der Bund der Steuerzahler aufgerückt.

Trotz des Verständnisses dafür, dass man mit dem Museum in Ravensburg große Chancen für die Stadt sehe, sei das Projekt angesichts der Finanzlage der Stadt eine Nummer zu groß.

In den Kommentaren finden sich Sätze wie:

hält die absolute Mehrheit des Gemeinderates (mit einiger Sicherheit offenbar komplett gegen die Mehrheit der Bevölkerung!) für goldrichtig (es ist ja auch überwiegend nicht das eigene Geld).

Das [Ablehnung des Konzerthauses in Konstanz] hätten wir auch gern mit dem Museum gemacht, zumindest mit der Entscheidung, zu welchen Bedingungen es realisiert werden soll. Aber leider hat die Ravensburger Mauscheltruppe mitsamt Herrn Dr. Vogler alles vorher bereits abgehakt. Es wird höchste Zeit, daß wir mitreden dürfen.

Und so weiter …

Dabei wäre die Sache in Baden-Württemberg eigentlich relativ einfach. Die Gemeindeordnung stellt den Bürgerinnen und Bürgern ein Instrument zur Verfügung, aktiv in die Geschicke der Gemeinde einzugreifen und nicht nur alle 5 Jahre für ihr Kreuzchen aufs Spielfeld zu dürfen um den Rest grummelnd in der Kabine zu verbringen.

§ 21 III Gemeindeordnung

Über eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist, kann die Bürgerschaft einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren). Ein Bürgerbegehren darf nur Angelegenheiten zum Gegenstand haben, über die innerhalb der letzten drei Jahre nicht bereits ein Bürgerentscheid auf Grund eines Bürgerbegehrens durchgeführt worden ist. Das Bürgerbegehren muß schriftlich eingereicht werden; richtet es sich gegen einen Beschluß des Gemeinderats, muß es innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein.

Ravensburg hat noch eine relativ intakte Innenstadt, was jeder bestätigen wird, der mal Samstag morgens durchgelaufen ist. Das bietet die Möglichkeit, eine grosse Zahl von Bürgerinnen und Bürgern im direkten Gespräch zu erreichen. Durch die Möglichkeiten des Internets kann man sein Anliegen auch ohne großen Geldbeutel und zahlungskräftige Sponsoren verbreiten. Allein, man muss es tun. Man muss die Anonymität der Nörgler und der „ich-habs-ja-gleich-gesagt“-Mauler verlassen und sich für seine Vorstellungen einsetzen.

Dass die Gemeinderatsfraktionen hilfreich zur Seite springen ist vergebliches Hoffen. Die haben viel zu viel Angst, dass sich ein – seiner Macht bewusster – Souverän auch mal gegen die eigenen Beschlüsse richten könnte, die man so mühsam in den Hinterzimmern mit den anderen Fraktionen ausgekungelt hat.

Den Museumsneubau und die Finanzierung 9 Monate nach der Entscheidung in einem Oberbürgermeisterwahlkampf nochmal aufs Tapet zu bringen zeugt davon, dass das Wissen über die Gestaltungsmöglichkeiten eines Oberbürgermeisters und über die direktdemokratischen Elemente der baden-württembergischen Gemeindeverfassung nicht so verbreitet ist, wie erhofft.

Deshalb an dieser Stelle für all jene, die sich über eine existenzielle Entscheidung ihres Gemeinderats ärgern und der Meinung sind, damit würde klar den Interessen und Wünschen der Bürger zuwidergehandelt:

http://www.mitentscheiden.de/

Raus aus der Kabine, das Spiel wird auf dem Platz entschieden.

Landtagswahlen in Baden-Württemberg: wie wird gewählt

Bei trockenen Themen gilt: Visualisieren, visualisieren, visualisieren. Nun denn, es folgt das Landtagswahlrecht in Baden-Württemberg in der Version von 2011 in bunt (ich nehme dafür die Zahlen und die Wahlkreiseinteilung von 2006).

Baden-Württemberger haben bei der Landtagswahl nur eine Stimme. Damit wird sowohl der Direktkandidat im Wahlkreis gewählt, als auch über die Sitzverteilung im Landtag abgestimmt.

Ein typischer Stimmzettel für die Wahl sieht so aus:

stimmzettel

Nachdem die Wahllokale geschlossen sind und die Stimmen ausgezählt, beginnt die Verteilung der Sitze. In einem ersten Schritt, werden jeweils die Stimmen zusammengezählt, die die Parteien landesweit errungen haben. Das ergab 2006 folgendes Bild:

CDU 1’748’766
SPD 996’207
Grüne 462’889
FDP 421’994
Sonstige 330’759

Da in Baden-Württemberg die 5%-Hürde gilt, verteilen sich die Sitze auf CDU, SPD, Grüne und FDP.

Die 120 Sitze werden nach dem Höchstzahl-Verfahren von Sainte-Laguë verteilt. Das klingt ein wenig kompliziert, ist aber ganz einfach. Man nimmt die Stimmen, die die Parteien erzielt haben und teilt diese durch alle ungeraden Zahlen (1,3,5,…). Daraus ergibt sich folgende Tabelle:

Platz Divisor CDU SPD Grüne FDP
1 1 1’748’766 996’207 462’889 421’994
2 3 582’922 332’069 154’296 140’665
3 5 349’753 199’241 92’578 84’399
14 27 64’769 36’897 17’144 15’629
15 29 60’302 34’352 15’962 14’552
16 31 56’412 32’136 14’932 13’613
33 65 26’904 15’326 7’121 6’492
34 67 26’101 14’869 6’909 6’298
58 115 15’207 8’663 4’025 3’670

Jetzt wird die hundertzwanzigst-grösste Zahl gesucht (im oberen Fall die 15’207). Jede Zahl, die grösser ist (gelb unterlegt), wird zu einem Sitz für die Partei, in deren Spalte sie steht. Es ergibt sich das erste (noch vorläufige) Sitzverhältnis:

sitzverteilung baden-württemberg 2006

CDU 58
SPD 33
Grüne 15
FDP 14


Diese Sitze werden für jede Partei auf die 4 Regierungspräsidien Karlsruhe, Freiburg, Stuttgart und Tübingen verteilt. Für die CDU sieht das dann folgendermaßen aus:

Platz Divisor Karlsruhe Freiburg Stuttgart Tübingen
1 1 424’236 343’679 651’530 329’321
2 3 141’412 114’560 217’177 109’774
11 21 20’202 16’366 31’025 15’682
12 23 18’445 14’943 28’327 14’318
13 25 16’969 13’747 26’061 13’173
14 27 15’712 12’729 24’131 12’197
15 29 14’629 11’851 22’467 11’356
22 43 9’866 7’993 15’152 7’659

Jetzt wird die achtundfünfzigst-grösste Zahl gesucht (weil es für die CDU insgesamt 58 Sitze aus der Verteilung auf Landesebene gab). Im oberen Fall ist das die 15’152. Jede Zahl, die grösser ist, wird zu einem CDU-Sitz für das Regierungspräsidium, in dessen Spalte sie steht. Es ergibt sich für die CDU folgende (noch vorläufige) Sitzverteilung auf die einzelnen Regierungspräsidien:

sitzverteilung cdu baden-württemberg

Wenn man das für alle Parteien macht, ergibt sich folgende Tabelle:

Karlsruhe Freiburg Stuttgart Tübingen
CDU 14 11 22 11
SPD 9 6 13 5
Grüne 3 3 6 3
FDP 3 3 2 6


Betrachten wir uns die Sitzverteilung im Regierungspräsidium Freiburg ein wenig näher.

rp-freiburg-ltw06

Wer bekommt jetzt die Sitze, die die einzelnen Parteien errungen haben. Zunächst einmal bekommt jeder Wahlkreisgewinner einen Sitz. Im Falle des Regierungspräsidiums Freiburg haben in allen 14 Wahlkreisen die Kandidaten der CDU gewonnen. Damit jeder Wahlkreis im Landtag vertreten ist, hat man sich in Baden-Württemberg für eine Überhangsregelung mit Ausgleichsmandaten entschieden. Es kommt das bereits bekannte Divisor-Verfahren zum Einsatz.

Platz Divisor CDU SPD Grüne FDP
1 1 343’679 187’333 101’613 85’835
2 3 114’560 62’444 33’871 28’612
3 5 68’736 37’467 20’323 17’167
4 7 49’097 26’762 14’516 12’262
5 9 38’187 20’815 11’290 9’537
6 11 31’244 17’030 9’238 7’803
7 13 26’437 14’410 7’816 6’603
8 15 22’912 12’489 6’774 5’722
9 17 20’216 11’020 5’977 5’049
10 19 18’088 9’860 5’348 4’518
11 21 16’366 8’921 4’839 4’087
12 23 14’943 8’145 4’418 3’732
13 25 13’747 7’493 4’065 3’433
14 27 12’729 6’938 3’763 3’179
15 29 11’851 6’460 3’504 2’960

Die Stimmenzahlen, die die Parteien im Regierungspräsidium erreicht haben, werden durch 1,3,5 … dividiert. Ursprünglich wäre die Verteilung bei 16’366 beendet gewesen, weil alle Parteien die Sitzanzahl erreicht haben, die ihrem Ergebnis entspricht. Da die CDU aber zusätzlich 3 Direkt-Mandate errungen hat (blau unterlegt) werden solange Sitze verteilt, bis die CDU 14 erreicht hat. Dadurch erhalten sowohl die SPD als auch die Grünen einen zusätzlichen Sitz (orange markiert).

Man kann sich das ganze auch so vergegenwärtigen, dass die Zahl 12’729 einen Sitz repräsentiert (weil die CDU 14 Direkt-Mandate errungen hat). Deshalb müssen alle Zahlen, die grösser als 12’729 sind, ebenfalls einen Sitz repräsentieren.

Die CDU-Sitze sind schnell verteilt, jeder Wahlkreisgewinner erhält einen. Wer innerhalb der anderen Parteien die Sitze erhält, ergibt sich aus dem Wahlergebnis der einzelnen Bewerber innerhalb ihres Wahlkreises. Bis 2006 zählte die absolute Stimmenzahl, ab 2011 zählt die relative Stimmenzahl, um auch Bewerbern in kleinen Wahlkreisen die Möglichkeit zu geben, einen Sitz zu erringen.

Für die SPD ergeben sich folgende Prozentzahlen:

Wahlkreis gültige Stimmen SPD-Stimmen %-Anteil SPD
58 62756 19833 31.6%
49 59248 17039 28.8%
47 48150 13584 28.2%
48 67321 17533 26.0%
50 49596 12651 25.5%
59 61232 14781 24.1%
51 46924 10901 23.2%
57 46811 10717 22.9%
46 62386 13881 22.3%
54 58921 12685 21.5%
56 48236 10269 21.3%
55 65547 13351 20.4%
53 54877 10717 19.5%
52 48099 9391 19.5%

Damit ziehen in den Landtag die SPD-Bewerber aus den Wahlkreisen 58, 49, 47, 48, 50, 59 und 51 in den Landtag ein. Zum Vergleich habe ich die Wahlkreisgewinner nach dem bisherigen Verfahren hellgelb unterlegt.

Das macht man in allen 4 Regierungspräsidien und das war dann auch schon alles.