Die Beantwortung der Frage hängt nur scheinbar davon ab, in welche Position der Nahrungskette man sich einordnet.
Vor kurzem hatte ich eine abend- und nachtfüllende Unterhaltung mit Ex-DDR-Bürgern. Menschen meiner Generation, die die DDR noch bewusst mitbekommen haben, den Wehrunterricht, den Pionierscheiss[sic], die FDJ, die Tatsache, dass nichtangepasste Eltern die Bildungschancen versauen können, die Schlangen wenn es mal wieder etwas aussergewöhnliches zu kaufen gab, aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn es daran ging, die Datsche des Nachbarn zu reparieren.
Menschen, die die Wiedervereinigung mitbekommen haben, die erste Welle der Crème de la Crème Westdeutschlands: Autoverkäufer und Versicherungsvertreter, importierte Di-Do-Beamte, die Montags anreisten, von Dienstag bis Donnerstag den verstörten Zoobewohnern die Savanne erklärten und am Freitag wieder zurückfuhren ins Wochenende ihrer westdeutschen Vorstadt-Idylle.
Menschen, die die Abwicklung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhand in Gestalt von Frau Breuel (die danach noch die Expo in Hannover ruinieren durfte) am eigenen Leib spürten, die nichts von blühenden Landschaften zu sehen bekommen haben, stattdessen 3x den Ausbildungsplatz wechseln mussten, weil der Lehrbetrieb mal wieder pleite ging und die von Umschulungsmassnahme zu Umschulungsmassnahme geschoben wurden, weil man die Arbeitslosenstatistik ein bisschen aufhübschen wollte.
Menschen, die sich von Westimporten regieren liessen, weil die eigene politische Klasse schon bewiesen hatte, dass sie unfähig war einen Staat zu leiten und man den anderen zwar eine friedliche Revolution und die Aktivierung der Massen zutraute, nicht aber die Verwaltung und die politischen Ränke.
Eben solche Menschen. Ganz normale Ossis[sic].
Und auf der anderen Seite südwestdeutsche Provinzler (unter anderem ich), die die DDR nur aus dem Fernsehen, den Care-Paketen für die Verwandten in der Ostzone (meine Oma ist bis zum Schluss bei diesem Wort geblieben) und den ganz seltenen (falls überhaupt) Besuchen „drüben“ kannten.
Sozialisiert in den 80ern, Papa schaffte „beim Daimler“ (genaugenommen hatte keiner unserer Väter bei Daimler gearbeitet, das ist nur ein Synonym für eine sichere und gut bezahlte Arbeitsstelle), Mama war zuhause oder arbeitete halbtags, (existenzbedrohende) Arbeitslosigkeit war höchstens ein Randthema, das anderen, ganz weit weg passierte.
Menschen, denen der Fall der Mauer mitten ins Erwachsen werden platzte, die ein billiges Auto wollten, als die ganzen Verkäufer im Osten waren um dort ihren überteuerten Schrott loszuwerden (deswegen war zum Beispiel mein erstes Auto ein 16 Jahre alter himmelblauer C-Kadett Automatik mit gurtloser Rückbank),
Menschen die Ende der Neunziger, als es mit dem Studium zu Ende ging oder man als Meister in der Fertigung arbeitete, feststellen mussten, dass die Zeiten mit den sicheren Jobs vorbei waren.
Eben solche Menschen. Die ekelhaft erschreckend genaue Gußform der Generation Golf.
Vorurteil trifft Vorurteil. Jammer-Ossi meets Besser-Wessi. Dass das 21 Jahre nach dem Fall der Mauer noch geht, hätten damals vermutlich auch nur die Wenigsten gedacht.
Ich kann so einen Abend jedem nur empfehlen. Es ist am Anfang vielleicht ein wenig mühsam, aber es lohnt sich.
Auf besonderen Wunsch:
np: city – am Fenster