Das klingt erst einmal so richtig, dass man automatisch in die Defensive geht, wenn man Widerworte gibt. Ich will es trotzdem versuchen.
Für Tätigkeiten, die momentan unter einem (wie auch immer gearteten) Mindestlohn liegen, gibt es nach Einführung des selben 3 Möglichkeiten:
- Die Arbeitgeber zahlen die höheren Löhne aus ihrer Gewinnmarge, die Preise bleiben gleich
- Die Preise für verschiedene Tätigkeiten steigen
- Die Tätigkeiten werden regulär nicht mehr angeboten und verschwinden in die Schattenwirtschaft
Artikelrecycling vom Februar 2010:
Mindestlohn von der anderen Seite
Nehmen wir mal an, ich wollte mich mit einer Agentur für haushaltsnahe Dienstleistungen selbständig machen. In einer alternden Gesellschaft scheint das ein Boom-Markt zu sein. Den Bedarf schätze ich auf mindestens 10 Vollzeitkräfte ein.
Meinen Mitarbeitern zahle ich den (geforderten) gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 EUR/h.
Was muss ich jetzt den Auftraggebern verrechnen, also der Oma, die für 2 Stunden pro Woche eine Haushaltshilfe braucht, oder dem Ehepaar, das für einen Kinobesuch einen Babysitter benötigt?
Ein Stundenlohn von 7,50 EUR ergibt einen Monatslohn von 1’260 EUR und einen Jahresarbeitslohn von 15’120 EUR. Dazu kommen noch die Arbeitgeberanteile in den Sozialversicherungen und der Berufsgenossenschaft, und ich bin bei 18’200 EUR.
Für Planung, Telefondienst, Aquise, Abrechnungen etc. rechne ich einen 11. Mitarbeiter ein, der ebenfalls den Mindestlohn bekommt. Da ich diesen Mitarbeiter nirgendwo abrechnen kann, schlage ich ihn anteilsmässig auf die übrigen Mitarbeiter drauf (ich will ja nachher wissen, zum welchem Preis ich die Dienstleistung anbieten kann). Dann bin ich bei 20’020 EUR.
Ein Büro für den Mitarbeiter, der sich um die Administration kümmert, wäre nicht schlecht. Ich kann ja weder verlangen, dass er das von zuhause aus macht, noch möchte ich die betreffende Person auf Dauer in meinem Wohnzimmer sitzen haben. Niedrig geschätzt sind das ca. 700 EUR pro Monat inkl. Strom und Telefon. Sonstige Verbrauchskosten (Papier, Toner, Ordner etc.) rechne ich mit 100 EUR ein. Die Büroausstattung lease ich (der Einfachheit halbe, damit ich jetzt nicht auch noch mit Abschreibungen, Zinsen etc. rechnen muss) für 200 EUR pro Monat. Die müssen auch erwirtschaftet werden. Pro Person, die ich einem Kunden verrechnen kann, sind wir dann bei 1’200 EUR pro Jahr.
Werbung sollte ich vielleicht auch machen, damit die Leute auch wissen, was ich anbiete. Amtsblättle (ja, die werden bei uns in Oberschwaben noch gelesen), Visitenkarten für den Stand im Einkaufszentrum, Flyer. Vorsichtig geschätzt bin ich dann bei ca. 6’000 EUR pro Jahr (500 EUR pro Monat hat man schneller weg, als man denkt). Das macht dann pro verrechenbarem Mitarbeiter 600 EUR.
Jetzt bin ich bei 21’820 EUR, die ein Mitarbeiter erwirtschaften muss. Da habe ich selbst noch keinen Cent verdient, habe keine Rücklagen gebildet, und noch keine grossen Anschaffungen getätigt (zum Beispiel Firmenwagen, damit die Haushaltshilfe nicht mit dem Privat-PKW von Auftraggeber zu Auftraggeber fahren muss).
Fast hätte ich noch Herrn Schäuble vergessen, ich biete ja für nicht vorsteuerabzugsberechtigten Endkunden an. Herr Schäuble will 4’146 EUR von mir haben.
Das bedeutet, dass ich dem Kunden pro Haushaltshilfe und Jahr 26’000 EUR in Rechnung stellen muss.
Bei geschätzten 1’700 Arbeitsstunden (365 Tage minus 104 Tage Wochenende minus 25 Tage Urlaub minus 7 Feiertage, die nicht auf ein Wochenende fallen minus 10 Krankheitstage) bin ich dann bei 15,30 EUR/h.
Wie begehrt ich bei Eltern bin, die dem Babysitter für ihren Kinobesuch 70 EUR bezahlen müssen, oder bei der rüstigen Rentnerin, die beim Fensterputzen etc. ein bisschen Hilfe braucht und die für die 2 Stunden pro Woche am Ende des Monats inkl. Fahrzeit (laut BAG sind Fahrzeiten im Pflegedienst Arbeitszeit) 180 EUR von ihrer spärlichen Rente überweisen soll, weiss ich auch noch nicht. Aber angeblich sind ja alle für den Mindestlohn, dann sollten sie auch bereit sein, ihn selbst zu bezahlen.
In dieser Aufstellung fehlen viele Dinge, die typischerweise auch noch anfallen. Alles eingenommene Geld wird entweder an die Angestellten, das Finanzamt, die Sozialversicherungen oder für notwendige Sachausstattung ausgegeben. Kein fetter, fauler Kapitalist stopft sich die Taschen voll.
Seitenwechsel
Wir schauen, was beim Angestellten übrig bleibt. Aus 1’260 EUR Bruttolohn werden 947 EUR Nettolohn. Von den 26’000 EUR, die ich dem Kunden in Rechnung stellen muss, bleiben dem, der die eigentliche Arbeit erledigt gerade mal 11’364 EUR, ca. 43,7%.
Ich habe gelernt, man soll Lösungen anbieten
Meines Erachtens kommt in der Diskussion um den Mindestlohn ein Punkt viel zu kurz: Was wird von dem Geld, das ein Arbeitnehmer erwirtschaftet hat, alles abgezogen, bevor es als Nettolohn in seiner Tasche landet.
Dieser Batzen ist meines Erachtens zu hoch. Gerade im personalintensiven Bereich wird zu viel weggesteuert, ohne das ein konkreter Nutzen für den Arbeitnehmer bleibt (was dann eine Rolle spielt, wenn es sich überlegt, künftig auf Rechnungen zu verzichten.)
- Mit den 3’009 EUR jährliche Zahlung in die gesetzliche Rentenversicherung, erreicht der Arbeitnehmer nicht einmal Grundsicherungsniveau.
- Mit den 420 EUR jährliche Zahlung an die gesetzliche Arbeitslosenversicherung kommt der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitslosigkeit nicht über ALG-II-Niveau.
- Zu den 2’256 EUR jährliche Zahlung an die gesetzliche Krankenversicherung kommen noch Praxisgebühr, Medikamentenzuzahlungen und bis zu 151 EUR Zusatzbeitrag.