Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit

Das Leben für Wehrpflichtbefürworter in dern 80ern war so einfach. Der kalte Krieg mit dem bösen Russen, eine 500’000 Mann Armee und keinerlei Schwierigkeiten, die Jahrgänge unterzubringen.

Doch das einzig stetige ist der Wandel.

Die 90er mit dem Ende der Bedrohung aus dem Osten und einem 2-plus-4-Vertrag, der viel niedrigere Obergrenzen für die Bundeswehr vorsah, führte zu einem ersten Überhang an Wehrpflichtigen, die man nicht unterbrachte.

Die erste Idee, den Zivilidenst aus der Schmuddelecke herauszuholen und den KDVlern das Drückeberger-Image wegzunehmen war nicht erfolgreich genug, schliesslich ging der Zivildienst länger (15/20, 12/15, 10/12 Monate) und man musste sich noch richtig darum kümmern, eine geeignete Vorlage für die Verweigerung zum abschreiben zu finden. Beide Probleme löste man geschickt: Die Zivildienstzeit wurde sukzessive auf die Grundwehrdienstzeit angepasst und die unentschlossenen versuchte man mit dem unausgesprochenen Motto „Wir spielen nicht nur Krieg, wir machen welche“ in die geeignete Richtung zu schubsen. Der Erfolg trat ein, die Verweigererzahlen stiegen, und für einige Jahre herrschte Ruhe an der Wehrgerechtigkeitsfront.

Dummerweise nicht lange genug. Erstens hatte man vergessen, dass man für eine weltweit einsetzbare Interventionsarmee verhältnismäßig gar nicht so viele Wehrpflichtige braucht, zweitens wurde die Bundeswehrgröße immer mal wieder reduziert, um bei heute 50% der Größe aus den 80ern zu landen und drittens schauten immer mehr Menschen auf die echten Zahlen, weil die Wehrpflicht immer schwerer vermittelbar wurde. Dann fingen auch noch die Gerichte mit Sperrfeuer Richtervorlagen an das Bundesverfassungsgericht an. Die wurden dort zwar abgeschmettert, allerdings mit dem Wörtchen noch.

Es musste etwas geschehen. Ein vierstufiger Plan wurde entwickelt:

  1. Um den aufgelaufenen Überhang an ungedienten Tauglichen wegzubekommen, wurde das Höchstalter für Einberufungen gesenkt
  2. die formalen Kriterien, die zu einer Zurückstellung führen, wurden ausgeweitet. Nicht nur 3. Brüder und Priesterlehrlinge müssen nicht mehr gehen, auch Verheiratete, Unterhaltspflichtige, Lebenspartnergemeinschaftspartner und diverse andere dürfen grundsätzlich zu Hause bleiben.
  3. Die physischen Voraussetzungen wurden erhöht angepasst. Während man Mitte der 90er noch mit T7 experimentierte (das waren jene, die in den Schützengraben gefahren werden mussten und denen eine zweite Person das Gewehr gehalten hat, weil’s zu schwer für die Arme(n) war), wurde aus T3 flugs wehruntauglich. Da man ziemlich schnell T3 werden kann, entsprach das auch der von der SPD geforderten freiwilligen Wehrpflicht. Mittlerweile sind wir bei 41,9% Wehruntauglichen.
  4. Um den schönen Plan nicht auffliegen zu lassen, ließ man das Bundesverteidigungsministerium bis zum Bundesverwaltungsgericht klagen, um einen jungen Mann einziehen zu können, der bereits eine duale Ausbildung an einer baden-württembergischen Berufsakademie begonnen hatte. Seht her, lautete die Botschaft, wir bemühen uns doch, alle zu bekommen, selbst die, bei denen der Grundwehrdienst unweigerlich zu einem Abbruch der Berufsausbildung und jahrelangen Verzögerungen führt. Wir scheuen nicht davor zurück den Betrieben die Leute zu klauen, völlig egal ob das deren Ausbildungspläne über den Haufen wirft.

Sollte das auch nicht reichen, bastelt der Minister für Staatssicherheit Bundesinnenminister schon an Plänen, die Bundeswehr im großen Maßstab auch im Innern einsetzen zu können. Dafür müsste man zwar das Grundgesetz ändern, aber das ist eh nur eine Schönwetterverfassung aus dem letzten Jahrhundert, die man an die heutigen Zeiten anpassen muß.

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