Gedanken zum #JMStV

Über den Inhalt, über Sinn und Unsinn den JMStV wird an vielen Stellen diskutiert, wobei man alles zwischen heller Aufregung und dem Aufruf zur Gelassenheit findet. Zum Inhalt will ich mich gar nicht äussern, da bin ich weder kompetent noch halte ich mich dafür.

Zur Form des JMStV soll dieser Beitrag sein, zum Zustandekommen und zum Konstrukt des Staatsvertrages. Da bin ich zwar auch nicht kompetent, aber ich halte mich dafür 🙂

Wer handelt was aus und warum, wer stimmt eigentlich über was ab und wie?

Deutschland ist ein föderales Land.

Art 70 I GG
Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.

Wenn man in den anderen Artikeln des Grundgesetzes nichts findet, was dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis verleiht, haben also die Länder die Gesetzgebungskompetenz.

Wie man zum Beispiel an der deutschen voruniversitären Bildungslandschaft sieht, nehmen die Länder diese Kompetenz auch gerne wahr und es gibt je nach Bundesland 4 bis 6 Jahre Grundschule, 6 bis 9 Jahre Gymnasium, es gibt 3-gliedrige Schulsysteme und 2-gliedrige, manchmal hat man nach der 10. Klasse Gymnasium die mittlere Reife, manchmal nicht. Es gibt Hauptschulen, an denen man einen Realschulabschluss machen kann, …

Bei gewissen Sachverhalten ist eine rein landesrechtliche Lösung allerdings nicht möglich. Wenn man den Bereich Rundfunk nimmt und sich das Verbreitungsgebiet der Sender anschaut, dann sieht man einige länderübergreifende Rundfunkanstalten, die Länder müssen sich also irgendwie einigen.

Manchmal (wie zum Beispiel beim SWR) gibt es Staatsverträge zwischen 2 Bundesländern, manchmal machen alle 16 Länder mit. So auch beim [Regieanweisung: Tusch]

Staatsvertrag
über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz
in Rundfunk und Telemedien
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) vom 10.–27. September 2002, in Kraft getreten am 1. April 2003,
zuletzt geändert durch den Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 31. Juli bis 10. Oktober 2006,
in Kraft getreten am 1. März 2007

Rundfunk ist halt Ländersache. Schutz der Menschenwürde wäre prinzipiell ja auch eine Bundesangelegenheit, aber wie schon Art. 1 I GG so treffend bemerkt, ist der Schutz der Menschenwürde Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Die Länder also, aber wer dort und wie?

Am Ende muss ein Landesgesetz stehen, welches vom jeweiligen Landtag1 verabschiedet worden sein muss. Recht ineffektiv wäre es, wenn man alle 1’853 Landtagsabgeordnete zusammentrommeln würde, um etwas schönes zu beschliessen. Eine Mehrheit in diesem Gremium würde ja nicht automatisch eine Mehrheit in jedem der 16 Landesparlamente bedeuten.

Man trifft sich also im kleineren Kreis und jedes Bundesland schickt jemanden, dem man zutraut, im heimischen Parlament eine Mehrheit für ein Zustimmungsgesetz zu bekommen, den Regierungschef2. Damit nicht 16 Ministerpräsidenten mit 16 komplett unterschiedlichen Vorschlägen zur Konferenz anreisen, gibt es ein federführendes Land.

Im Fall des JMStV war das Rheinland-Pfalz mit Herrn Beck von der SPD an der Spitze. Solche Konferenzen sind zäh, man muss den grössten gemeinsamen Nenner finden (und weil das alles Primadonnen äh Primzahlen sind, ist das dann gleichzeitig auch der kleinste).

Es gibt in Deutschlands Landesparlamenten folgende Regierungskonstellationen:

  • CDU/FDP
  • CSU/FDP
  • SPD/Linke
  • SPD/Grüne
  • CDU/Grüne (mittlerweile eine CDU Minderheitsregierung)
  • SPD/CDU
  • SPD
  • CDU/FDP/Grüne
  • CDU/SPD

Also irgendwie alle.

Ministerpräsidenten stellen zwar nur CDU und SPD, aber der jeweilige (kleine) Koalitionspartner will ja auch mitreden.

Man macht sich ein paar Gedanken und am Ende unterschreiben 16 Ministerpräsidenten einen Staatsvertrag und nehmen in zum ratifizieren lassen mit nach Hause. Die jeweiligen Landtage waren entweder rudimentär oder gar nicht eingebunden und haben nur die Möglichkeit, ein Zustimmungsgesetz zu erlassen oder es sein zu lassen. Wenn die Tinte der Regierungschefs getrocknet ist gilt nur noch „alles oder nichts“.

Manchmal kommt dann etwas raus, was Prof. Dr. Thomas Hoeren mit folgenden Wortem kommentiert:

Was man in letzter Zeit als Gesetzgebungsentwürfe liest, schlägt einem auf den Magen. Sei es die Reform des Arbeitnehmerdatenschutzes oder das Buttongesetz gegen Internetabzocke – man wird den Verdacht nicht los, daß hier „Legastheniker“ am Werke waren, die erst nach mehrfachen Anläufen ihr Jurastudium an irgendeiner C-Universität zu Ende gebracht haben.

Doch alles bisherige wird überboten durch den Jugendmedienstaatsvertrag, der Anfang 2011 in Kraft treten soll.

Das grundsätzliche Problem ist meines Erachtens die Konstruktion des Staatsvertrages. Niemand fühlt sich wirklich dafür verantwortlich.

  • Die Landtagsabgeordneten fühlen sich genötigt ein Zustimmungsgesetz zu erlassen, weil sie nicht dafür verantwortlich sein wollen, dass ein Staatsvertrag platzt
  • Die Ministerpräsidenten verstecken sich jeweils hinter ihren 15 Amtskollegen
  • Die jeweils wirklich zuständigen Staatskanzleien stehen sowieso nicht im Rampenlicht

Eigentlich wäre der Bund viel besser dafür geeignet, den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien gesetzlich zu regeln. Aber das geht ja nicht, weil wir ja ein föderales System haben und überhaupt. Deshalb stimmen insgesamt 1’853 Abgeordnete über insgesamt 16 (fast) identische Landesgesetze ab, die nicht beraten, geändert und angepasst werden konnten.

Ja, das gibt es auch im Bundestag. Das verlangt schon Angela ‚Tina‘3 Merkel aus verschiedenen Gründen. Es gibt im Bundestag auch Kungelrunden aka Koalitionsausschuss, wo 6 Leute darüber beraten, wie Gesetze auszusehen haben. Aber man hat als Bürger wenigstens einen direkten Ansprechpartner, dem man seinen Widerwillen gegen gewisse Regelungen an den Kopf werfen kann4. Wer ist das bei einem Staatsvertrag?

  1. bzw. Abgeordnetenhaus in Berlin und Bürgerschaft in Bremen und Hamburg, ich verwende trotzdem ab jetzt Landtag []
  2. plus Delegation, aber die sieht keiner []
  3. There Is No Alternative []
  4. bildlich gesprochen, das ist kein Aufruf zur Gewalt, ich möchte mein Blog nicht labeln []

2 Gedanken zu „Gedanken zum #JMStV“

  1. @Markus:
    was wird durch den JMStV eigentlich besser? Für wen? Wird es einen …-Betreiber / Hoster … in XYZ (außerhalb der dt. Jurisdiktion) stören, dass Kinder und Jegendliche sich sein jugendgefährdendes (? was ist eigentlich mit dem Programm, das Privat-TV-Sender schon am Nachmittag ausstrahlen?) und/ oder kriminelles (z. B. „Anleitung zu Straftaten“ ~ 130 StGB) Angebot ansehen?
    Für mich klingt das nach krasser Überreglementierung, die dazu noch nicht mal einen wie auch immer darstellbaren verfassungskomplementären /-immanenten Sinn ergeben könnte. Es sei denn, es ginge darum, kleine und kleinste Websites zu marginalisieren (an den Rand zu drücken). Meines Erachtens ein eklatanter Verstoß ggn. Art. 5 GG. Die gedanklich Umkehrung des verfassungswidrigen Adenauer-Fernsehens (ihr dürft schon „senden“- aber nur so und so und so). Dass sich unsere Republik nach dem Einverleiben der DDR in manchem Bereich in ein anti-demokratisches Tollhaus verwandeln würde- wer hatte das 1989/ 90 geahnt?

  2. was wird durch den JMStV eigentlich besser?

    Kommt darauf an für wen. Die Anbieter von Waren und Dienstleistungen, die erst ab 18 betrachtet werden dürfen, können ihre Altersverifikationssysteme abschalten und ihre Seite „ab 18“ labeln. Wenn ich es richtig verstanden habe, reicht das.

    Für kleinere Seiten (wie diese) kommt die grosse Ungewissheit. Die gibt es zwar auch beim bisherigen JMStV schon, aber da interessiert es scheinbar keinen.

    Deutsche Anwälte sind erfinderisch, wenn es um Abmahnungen geht. Deutsche Gerichte sind manchmal etwas realitätsfern, wenn es um einstweilige Verfügungen im Bereich des unlauteren Wettbewerbs geht. Diese Kombination könnte gefährlich werden.

    Dieses Blog wird auf jeden Fall kein Label und keine eingeschränkte Sendezeiten bekommen. Ich kann keinen Beitrag finden, der die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hemmen oder stören könnte.

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