heute hat die Regierungskoalition einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes eingebracht (BT 17/6290) weil vor knapp drei Jahren das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass
§ 7 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 4 und 5 des Bundeswahlgesetzes (BWG) [..] die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes [verletzt], soweit hierdurch ermöglicht wird, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen kann.
Lassen wir mal komplett aussen vor, dass das Bundesverfassungsgericht den 30. Juni 2011 nicht als Beginn einer Gesetzesinitiative zur Anpassung des Wahlrechts angegeben hat, sondern als spätesten Zeitpunkt, zu dem der verfassungswidrige Zustand beseitigt sein muss. Übersehen wir mal grosszügig, dass das Bundesverfassungsgericht diese lange Frist gegeben hat, weil
Dem Gesetzgeber [..] damit auch die Möglichkeit genommen [wäre], das für den Wähler kaum noch nachzuvollziehende Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzzuteilung im Deutschen Bundestag auf eine neue, normenklare und verständliche Grundlage zu stellen.
Betrachten wir nur ganz kurz, ob der vorliegende Gesetzentwurf die Mindestanforderungen des Bundesverfassungserichts erfüllt
Ein Wahlsystem, auf dem die Mandatsverteilung beruht, muss grundsätzlich frei von willkürlichen und widersinnigen Effekten sein
Und das tut er nicht, wie man durch einfaches Nachdenken und ein wenig Rechnen herausbekommen könnte, wenn man denn wollte und nicht auf den grossen Koalitionspartner hören müsste, der Angst um seine Überhangmandate hat.
Die Regierungskoalition dreht Ober- und Unterverteilung einfach um.
Bisher war es so, dass zuerst geschaut wurde, wieviele Sitze bekommen die einzelnen Parteien und dann hat man die Sitze einer Partei auf die einzelnen Bundesländer verteilt. Jetzt sollen die Sitze zuerst auf die Bundesländer verteilt werden und dann diese Sitze im Bundesland auf die einzelnen Parteien.
Wie man ganz einfach feststellen kann, erhöht eine abgegebene Stimme, dass das eigene Bundesland evtl. mehr Abgeordnete in den Bundestag schicken darf. Das bedeutet aber nicht, dass das auch ein Abgeordneter der gewählten Partei ist. Im Gegenzug verliert ein Bundesland einen Sitz, wobei ebenfalls völlig unklar ist, welche Partei diesen Sitz zugewiesen bekommen hätte. Ein negatives Stimmengewicht ist mit dem Gesetzentwurf auch dann möglich, wenn es zu gar keinen Überhangmandaten kommt.
Ein weiterer, bisher meines Erachtens noch nicht wirklich betrachteter Aspekt ist der, dass bei klaren Koalitionsaussagen vor einer Wahl die Wähler einer Überhangverdächtigen Partei den potenziellen Koalitionspartner wählen können, ohne dass das der eigentlich präferierten Partei schadet. Bei der letzten Wahl hätten in Baden-Württemberg alle, die mit der Erststimme CDU gewählt haben mit der Zweitstimme die FDP wählen können, ohne dass die CDU dadurch auch nur einen einzigen Sitz verloren hätte, die FDP hätte aber in Ba-Wü 50 Sitze mehr bekommen.
Trotzdem stehen sie alle da vorne, die Redner der Regierungskoalition und erzählen Lügen. Oder sie sind dumm. Oder uniformiert.
Alles keine Eigenschaften, die ich mir von Abgeordneten wünsche, die unter anderem mittlere 3-stellige Milliardenbeträge für die nächsten Jahrzehnte in irgendwelche Rettungsschirme parken und darüber entscheiden müssen, wie die Zukunft des Euro aussieht. Wenn diese Menschen schon an einem einfachen Dreisatz scheitern, wie kompetent sind sie dann bei komplexeren Sachverhalten?
(Titel des Blogbeitrags in Anlehnung an die australische Jugendserie „meine peinlichen Eltern“)