Neues Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg

Baden-Württemberg wechselt das Berechnungsverfahren zur Sitzverteilung in Gemeinderäten und Kreistagen von d’Hondt nach Sainte-Laguë.
Damit erhöht sich für kleinere Parteien die Chance auf einen Sitz.

Da ich festgestellt habe, dass die Berechnung viele Menschen vor Probleme stellt, habe ich eine kleine Excel-Datei erstellt, mit der man die Sitzverteilung anhand der Stimmenverteilung berechnen kann.

Zuerst trägt man in die orange unterlegten Felder die Stimmen (oder Prozentzahlen) sowie die Anzahl der Sitze im Gemeinderat ein.

stimmverteilung

anzahl-sitze

Dann wird das Ergebnis automatisch im unteren Teil angezeigt. Ich habe mal die Zahlen der letzten Wahl zum Ravensburger Gemeinderat genommen.

sitzverteilung-rv

 

Die Anzahl der grün markierten Zellen entspricht der Anzahl der erreichten Sitze im Gemeinderat. Im obigen Beispiel sind das 13 für die CDU, 7 für die Grünen, jeweils 5 für SPD, Freie Wähler und Bürger für Ravensburg und 3 für die FDP.

Im Vergleich zum bisherigen Sitzverteilungsverfahren nach d’Hondt verlieren CDU und Grüne jeweils einen Sitz und BfR und FDP gewinnen jeweils einen. Bei exakt gleichem Wahlergebnis wohlgemerkt. Die Sitzverscheibung ergibt sich ausschliesslich aus der Veränderung des Verteilungsverfahrens.

 

excel-klein
sitz.xls

Wer sich dafür interessiert, welches die kleinste Sitzzahl war, die noch zu einem Platz im Gremium geführt hat, findet das hier:

kleinste
Mit 6043 Stimmen hätte man einen Sitz im Gemeinderat bekommen. Da jeder Wähler 32 Stimmen hat, reichen schon knapp 200 Leute, um das zu schaffen.

Si tacuisses Herr Krings

Das Gesetz zum Leistungsschutzrecht wurde mit einem neuen Referentenentwurf überarbeitet und findet nicht das Gefallen des CDU-Fraktionsvizes Günter Krings.

Der CDU-Rechtspolitiker [Günter Krings] wundert sich, dass das Bundesjustizministerium trotz drei Jahren Vorarbeit den erst vor der Sommerpause vorgelegten ersten Anlauf „jetzt schon wieder überarbeitet“. Das sehe „mehr nach Getrieben-Sein als nach Gestalten-Wollen“ aus.1

Oh Herr Krings, vielleicht möchten ja nicht alle erst vom Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen werden, dass ihre Gesetze für die Tonne sind. Ihre Bilanz sieht da schon auf den ersten Blick recht „ernüchternd“ aus.

  • Bundestags-Wahlrecht: 3 Jahre Zeit, Änderungen komplett verfassungswidrig
  • Europa-Wahlrecht: verfassungswidrig
  • Begleitgesetz zum Vertrag von Lissabon: teilweise verfassungswidrig
  • Vorratsdatenspeicherung: verfassungswidrig

Der Bundestag hat eine schöne Statistik der für nichtig oder verfassungswidrig erklärten Bundesgesetze und zwar hier:

http://www.bundestag.de/dokumente/datenhandbuch/10/10_06/index.html

Haben Sie mal nachgezählt, an wie vielen verfassungswidrigen oder für nichtig erklärten Bundesgesetze Sie seit 2005 mitgewirkt haben?

Ich wäre in Anbetracht der vielen Verstöße für die Einführung einer three strikes Regel, die Sie ja in anderen Rechtsfeldern durchaus ebenfalls befürworten.

Wer an mindestens 3 als verfassungswidrig erklärten Gesetzen mitgewirkt hat, verliert für 4 Jahre das passive Wahlrecht.

  1. http://www.heise.de/newsticker/meldung/Leistungsschutzrecht-bleibt-Zankapfel-1655659.html []

Warum so viele Menschen von Politik(erInnen) so angewidert sind

Auszüge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum geänderten Wahlrecht:

§ 6 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2a des Bundeswahlgesetzes in der Fassung des Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 25. November 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 2313) sind mit Artikel 21 Absatz 1 und Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.

§ 6 Absatz 5 des Bundeswahlgesetzes in der Fassung des Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 25. November 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 2313) ist nach Maßgabe der Gründe mit Artikel 21 Absatz 1 und Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

Die unter Nummer II. Ziffer 1. und 2. bezeichneten Bestimmungen verletzen die Beschwerdeführer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens in dem genannten Umfang in ihren Rechten auf Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl nach Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes.

 

Und was machen die so Gescholtenen daraus?

Schmollen:

Beleidigt auf die Reaktionen reagieren:

Oder einfach ein wenig die Realität ausblenden

Sehr geehrte Frau Bär,

Sie hatten über 3 Jahre Zeit, ein verfassungskonformes Wahlrecht zu beschliessen. Anders als in der Presse oft dargestellt, braucht man dafür auch keine mathematischen Superkenntnisse. Mit den 4 Grundrechenarten plus, minus, mal und durch schafft man es, eine komplette Bundestagswahl zu rechnen.

Sehr geehrter Herr Grosse-Brömer,

natürlich haben auch die Oppositionsparteien geklagt, und 3’000 Bürger sind ja, wenn Wahlen in weiter Ferne liegen auch nicht wirklich wichtig. Trotzdem fände ich es schön, wenn Sie da auch ein paar Worte zu finden würden. Es haben nicht nur Berufspolitiker geklagt, sondern auch ganz normale Menschen, die nicht begreifen konnten, dass sie anscheinend nicht begriffen haben, was sie da beschliessen.

Liebe Oppositionsparteien,

niemand nimmt Euch ab, dass ihr es ganz anders gemacht hättet, wenn die Vorzeichen umgekehrt gewesen wären.

Denkfehler

Alt-Bundespräsident Roman Herzog hat sich zu Wort gemeldet:

Die Fünf-Prozent-Hürde sei nicht mehr zeitgemäß, sagte der 78-Jährige dem “Focus”. Sie müsse erhöht werden, da angesichts immer mehr kleinerer Parteien der Bundeskanzler “nicht mehr von einer großen Mehrheit der Bevölkerung getragen” werde. Diese Entwicklung gefährde die parlamentarische Demokratie, warnte Herzog.

Irgendwie muss ein wichtiger Teil der Aussage fehlen, denn allein dadurch, dass man die parlamentarische Eintrittshürde erhöht, erhöhen sich ja nicht zwangsläufig die Zustimmungswerte für den jeweiligen Bundeskanzler. Er hat eine grössere parlamentarische Mehrheit, aber reicht das wirklich?

Der jetzige Bundestag sähe übrigens bei einer 10%-Hürde ähnlich aus, einzig die CSU wäre draussen. Da die CSU aber mehr Direktmandate errungen hat, als ihr Listenplätze zugestanden hätten, wäre das auch egal.

Anhörung im Innenausschuss zur Wahlrechtsreform

Heute war im Innenausschuß eine Anhörung zur Wahlrechtsreform. Als Sachverständige eingeladen waren (in Klammern der Beruf):

1. Prof. Dr. Bernd Grzeszick Universität Heidelberg (Jurist)

2. Prof. Dr. Heinrich Lang Universität Greifswald (Jurist)

3. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Meyer Humboldt-Universität zu Berlin (Jurist)

4. Prof. Dr. Friedrich Pukelsheim Universität Augsburg (Mathematiker)

5. Prof. Dr. Ute Sacksofsky Goethe-Universität Frankfurt am Main (Juristin)

6. Prof. Dr. Frank Schorkopf Georg-August-Universität Göttingen (Jurist)

7. Prof. Dr. Gerd Strohmeier Technische Universität Chemnitz (Politikwissenschaftler)

8. Tim Weber Mehr Demokratie e. V., Bremen (Politikwissenschaftler)

Also gerade mal einen, der rechnen kann. Schade. Dementsprechend fallen dann auch die Stellungnahmen aus.

Die in meinen Augen wichtigste Problematik

ich weiss nicht, wem meine Stimme zu Gute kommt

kommt leider nur am Rande zur Sprache.

Dabei kann man das ganze an einem recht einfachen – auch für Politiker und Juristen verständlichen – Beispiel verdeutlichen.

Bisher wird zuerst auf Bundesebene an die Parteien verteilt und dann innerhalb jeder Partei auf die Bundesländer.

Laut Koalitionsentwurf soll zuerst auf die Länder anhand der Wahlbeteiligung und danach auf die Parteien verteilt werden.

 

Nehmen wir mal an, es gäbe nur 2 Bundesländer (Blauland und Gelbland) und 2 Parteien (Die Blockflöten und die Geiger).

Der Bundestag hat 200 Mandate zu vergeben, in Blauland haben 1000 Leute gewählt und in Gelbland 1758.

Das ergibt dann 127 Mandate für Gelbland und 73 für Blauland.

In Blauland haben 600 Menschen die Blockflöten gewählt und 400 Menschen die Geiger.

Das ergibt dann 44 Sitze für die Blockflöten und 29 Sitze für die Geiger.

In Gelbland haben 800 Menschen die Blockflöten und 958 die Geiger gewählt.

Das ergibt dann 58 Sitze für die Blockflöten und 69 Sitze für die Geiger.

Jetzt schauen wir mal, was passiert wäre, wenn ein wahlmüder Blockflötenwähler in Gelbland doch wählen gegangen wäre, also die Zahl der Wähler in Gelbland auf 1759 erhöht hätte und dort die Stimmen für die Blockflöten auf 801.

Das ergibt dann 128 Mandate für Gelbland und 72 für Blauland.

Das ergibt in Gelbland 43 Sitze für die Blockflöten und 29 Sitze für die Geiger (Die Blockflöten verlieren einen Sitz).

Das ergibt in Blauland 58 Sitze für die Blockflöten und 70 Sitze für die Geiger (Die Geiger gewinnen einen Sitz).

Durch die Wahl der Blockflöten verliert die Partei einen Sitz und die Partei der Geiger gewinnt einen. Das ist so bestimmt nicht gedacht.

Durch die Erhöhung auf 16 Bundesländer und 5 Parteien wird das ganze ein wenig komplexer, das Grundproblem bleibt.

Durch meine Stimme kann es sein, dass mein Bundesland einen Sitz mehr bekommt. Welche Partei den allerdings bekommt, ist Zufall. Gleichzeitig verliert ein Bundesland einen Sitz. Welche Partei ihn dort verliert, ist allerdings Zufall.

Die Sitzung kann man sich übrigens hier anschauen:

http://dbtg.tv/cvid/1306498