Sehr geehrter Herr Krings,
in der ersten Lesung des von Ihnen eingebrachten Gesetzesentwurfs, sagten Sie in der Plenardebatte am 30.06.2011 unter anderem folgendes1:
denn wir beseitigen das negative Stimmgewicht nach den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. In dem entsprechenden Urteil wurde festgestellt, akzeptabel sei ein negatives Stimmgewicht allenfalls in seltenen, unvermeidbaren Ausnahmefällen. In diesem Sinne beseitigen und verhindern wir das negative Stimmgewicht ausnahmslos im Regelfall. Nur bei nicht lebensnaher, unrealistischer Betrachtung kann dieser Effekt eintreten.
Diese Aussage überrascht mich ein wenig.
Wenn man die letzte Bundestagswahl unter der Prämisse des von Ihnen vorgeschlagenen Wahlrechts betrachtet, dann gäbe es unter anderem folgendes Paradoxon:
Wenn in Sachsen-Anhalt 6’890 SPD-Wähler zuhause geblieben wären, dann hätte Sachsen-Anhalt einen Sitz an ein anderes Bundesland verloren. Welche Partei diesen Sitz verliert, ist prinzipiell zufallsbedingt, ebenso wie das Bundesland, das den Sitz gewinnt und welche Partei diesen Sitz dort besetzen darf. In diesem Fall wäre es 2x die Linke und Nordrhein-Westfalen.
Das gleiche gilt für Bremen und 13’796 SPD-Wähler. In Bremen hätte dann die FDP ein Mandat verloren. Das zusätzliche Linke-Mandat in Nordrhein wäre gleich geblieben.
Sollte der Entwurf der Koalition Gesetz werden, dann weiss ich als Wähler zukünftig nicht, ob meine Stimme dafür sorgt, dass mein Bundesland einen Sitz mehr erhält und an welche Partei dieser Sitz gehen würde, ausserdem weiss ich nicht, welche Partei in welchem Bundesland dadurch einen Sitz verliert. Ich finde das nicht unrealistisch oder lebensfern.
Ein weiterer Punkt ist die völlige Veränderung von Auswirkungen von Zweitstimmen bei Überhangmandaten. Bisher war es möglich, dass eine Zweitstimme für die CDU in einem Bundesland mit Überhangmandaten für die CDU dafür gesorgt hat, dass die CDU in einem anderen Bundesland einen Sitz verliert. Zukünftig kann die CDU zwar direkt keinen Sitz mehr verlieren, allerdings kann es sein, dass durch eine Zweitstimme für die CDU eine andere Partei einen Sitz in meinem Bundesland gewinnt und deswegen die CDU (oder irgendeine andere Partei) in einem anderen Bundesland einen Sitz verliert. Der Effekt kann sich also verdoppeln.
Dieser Gesetzentwurf löst kein Problem, er weitet die Problematik des negativen Stimmgewichts vielmehr auf alle Parteien aus.
mit freundlichen Grüßen
Markus Ritter