II. Akt, 4. Szene

Der zweite Akt nähert sich behände dem Ende und für so ein billiges Wortspiel hätte ich früher Leute mit lebenslanger Missachtung gestraft, wobei ich als Entschuldigung anführen kann, dass ich unter akutem Schlafmangel leide, weil ich gestern zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder eine Discothek von innen gesehen habe. Nur um festzustellen, dass sich manche Dinge nie ändern, zum Beispiel dass ich nicht tanzen kann, mir das aber nichts ausmacht. Mein Tanzstil wurde mal beschrieben irgendwo zwischen „wird von einem wütenden Bienenschwarm verfolgt“ für die Hand-Oberkörper-Kopf-Bewegungen und „ist gerade in einen Ameisenhaufen getreten“ für das Zucken der Füße.

Geändert hat sich hingegen in den Augen manch anderer der Grund, warum ich in der Disco bin. Früher war irgendwie klar, dass man mich mitgeschleppt hat, weil ich als einziger über die seltene Kombination Auto, Führerschein und am Ende des Abends noch nüchtern verfügte, mittlerweile bin ich der eigentlich bemitleidenswerte Nerd, der von seiner Schwester so alle Vierteljahr aus seinem Anderthalb-Zimmer Wohnklo im siebten Stock eines Betonklotzes in der Ravensburger Weststadt geholt wird, damit er nicht völlig versauert und mal unter die Leute kommt. Ich kann damit leben, auch wenn es zweieinhalb Zimmer mit getrennter Nasszelle und der fünfte Stock sind.

Das mal aussen vorlassend zeigt sich wieder einmal, wie wichtig Kontext und Abstand sind, wobei mir jetzt partout kein Kontext einfallen will, der impliziert, dass ich sie mitgenommen hätte.

Und nun zum eigentlichen Grund dieses Beitrags, dem Unterschied zwischen Eltern und Kindern. Während zumindest meine Eltern irgendwann mal aufgegeben haben, mich Sonntag morgens am Frühstückstisch zu sehen, beharren meine Kinder seltsamerweise darauf. Sie haben im Gegensatz zu meinen Eltern auch eine völlig andere Definition des „Früh“ im Wort Frühstück. Ich weiß, dass meine Zeit kommen wird und ich habe mir auch schon unterschreiben lassen, dass ich sie immer wecken darf, Sonntags um 7:30 Uhr und dieser Gedanke hält mich jetzt auch aufrecht, aber es ist halt noch so lange hin und ich bezweifle, dass ich die gleiche Nervigkeit wie sie an den Tag legen kann, wenn ich sie dereinst, von seniler Bettflucht geplagt, kurz nach Sonnenaufgang zum ersten Mahl des Tages rufen werde.

Wahrscheinlich werden die Klugscheisser das sowieso mit einem Hinweis auf ihre damalige beschränkte Geschäftsfähigkeit kalt lächelnd in der Luft zerreissen und weiter pennen. Eigentlich bin ich mir sicher, dass zumindest einer von beiden das machen wird, ich musste mir von einer seiner Kindergärtnerin schliesslich auch anhören, dass er den Vorwurf „das hast Du mit Absicht kaputt gemacht“ mit dem Satz „Nein, ich habe es höchstens billigend in Kauf genommen“ beantwortet hat. Man soll halt beim Abendessen nicht auf eine Strafrechtsklausur lernen. Solche Dinge stehen dummerweise nirgendwo im Eltern-Handbuch, gleich neben der Frage wann ein High-Five angebracht ist und wann eine strenge Rüge.

Aber es soll ja hier um meine vergangene Jugend gehen und nicht die kommende meiner Kinder, was mich direkt zur Beantwortung der Frage bringt, ob ich denn der irrigen Meinung sei, meine Jugend sei noch nicht vorüber. Da diesbezügliche Fragen mittlerweile auch von Personen der Kategorie D gestellt werden und ich das letzte Mal  irgendwie habe anklingen lassen, ich würde Einwürfe aus dieser Richtung ernst nehmen, muss ich mich vermutlich damit beschäftigen, auch wenn ich der Meinung bin, diese Frage zumindest für mich selbst mit einem Nein beantworten zu können. Wer jetzt oben schauen muss, was denn dieses Nein bedeutet, sieht sich in einer Reihe mit mir. Ich musste auch schauen und wollte eigentlich zuerst ja schreiben, was unter Umständen eine Freud’sche Fehlleistung oder meinem Schlafmangel geschuldet ist. Normalerweise kann ich mich am Ende eines Satzes an dessen Anfang erinnern, auch wenn ich völlig planlos Nebensätze einschiebe um eine Komplexität des Textes vorzutäuschen, den dieser nicht hat.

Ich will mich nicht vor der ernsthaften Beantwortung der Frage drücken, aber früher war vieles leichter. Alte Leute, also Leute über 30, waren alt, Eltern waren vernünftig, wenn man die Zwischenphase in der Pubertät mal nicht betrachtet in der sie sich völlig idiotisch verhalten haben und man selbst hat ohne große Verantwortung in den Tag gelebt. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich irgendwo in dieses Schema passe. Das mag von aussen manchmal so aussehen, als würde ich relativ inkonsequent durch die verschiedenen Gruppen hüpfen. Von innen fühlt es sich relativ durchgängig an.

Vor lauter Müdigkeit hätte ich fast den Vorhang vergessen, aber der fällt ja von alleine.

– Vorhang –

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