Als ich im Gemeindeblatt las, dass die Flüchtlingskrise jetzt auch unseren beschaulichen Weiler1 erreicht hat und in 300 Meter Entfernung von meinem Haus ein Container für 40 Flüchtlinge errichtet werden soll, war mein erster Gedanke „Scheisse, jetzt musst Du die Fahrräder abends abschliessen“.
Für den Gedanken schäme ich mich nicht, der ist das Ergebnis von vielen Jahren2 Evolution. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht.
Eine Möglichkeit, die man vor allem im Osten des Landes relativ häufig sieht, wäre, sich mit Dreschflegel und Fackel zu bewaffnen um den status quo aufrecht zu erhalten.
Man kann natürlich auch einfach die Hände vor die Augen halten, ganz leise „mimimi“ sagen und hoffen, dass es vorüber geht. Diese Reaktion trifft man relativ häufig bei kleinen Kindern3 und den derzeit Regierenden an.
Passt beides nicht so zu mir. Wenn ich die Ausgangslage nicht verändern kann, kann ich aber doch wenigstens versuchen, die Veränderung aktiv mitzugestalten. In der ganzen Situation fehlen nämlich eindeutig ein paar Menschen mit realistischen Vorstellungen.
In die Container werden weder 10 syrische Arztfamilien einziehen, die bereits ab nächstem Januar die lange verwaisten Landarztpraxen wiederbesetzen werden, noch 40 IS-Kämpfer, die schon in der zweiten Nacht ihres Hierseins die Bevölkerung niedermetzeln werden, um die schwarze Fahne des Islamischen Staates über Sattelbach wehen zu lassen.
Eine meiner Prämissen, dass der Idiotenanteil quer über alle Bevölkerungsschichten und Regionen ziemlich konstant ist, wird vermutlich weiterhin Bestand haben.
Unter den 40 Menschen werden ein paar Idioten sein. Die hab‘ ich aber jetzt schon im Dorf. Die halten sich nur aufgrund des von ihrem sozialen Umfeld ausgeübten Konformitätsdrucks4 zurück. Was passiert, wenn der mal fehlt, kann man jedes Jahr an den Stränden Mallorcas sehen. Zumindest hoffe ich, dass die Leute, die dort pöbelnd anderen Leuten vor die Füsse kotzen und mit allem schlafen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, das daheim nicht machen.
Wer sich jetzt denkt „Halt, das mache ich nie5. Ich will nicht mit diesen Idioten in einen Topf geworfen werden.“, hat schon den ersten Schritt in einer herausfordernd langen Reihe von Gedanken getan.
Das was wir mit unseren Klamotten machen, ordentlich gruppieren und in Schubladen packen, machen wir auch mit Menschen. Das hat sich in der Vergangenheit als hilfreich und überlebenswichtig erwiesen.
Wenn ich drei Mal von bärtigen Leuten, die mit Drachenbooten übers Meer gekommen sind, was auf die Mütze bekommen habe, ist es sinnvoll, beim nächsten Auftauchen von Segeln am Horizont entweder das Schwert zu suchen, oder die Füsse in die Hand zu nehmen um sich im Wald zu verstecken. Die, die freundlich und arglos dem Schiff entgegengelaufen sind, hatten keine Chance ihr Naivitäts-Gen an kommende Generationen weiterzugeben. Zumindest die Männer nicht.
Auch heute ist das in vielen Situationen durchaus nützlich. Die Vorstandsmitglieder meines Arbeitgebers sind in einer ganz anderen Schublade als die Freunde meiner Freunde. Wenn ich zum ersten Mal eine Präsentation vor dem oberen Management halten muss, werde ich mich im Smalltalk davor ganz anders verhalten, als wenn mich ein alter Freund auf seine Einweihungsfete einlädt, bei der ich die Hälfte der Leute nicht kenne.
Man sollte allerdings die Flexibilität nicht verlieren, ab und an mal zu überprüfen, ob die Schublade wirklich passt. Man kann genau so mit Technik-Vorständen von DAX-Unternehmen befreundet sein, wie es möglich ist, dass sich unter den Freunden der Freunde Idioten befinden6.
Kinder können das übrigens noch super, sowohl mit Menschen, als auch mit Klamotten. Bei den Erwachsenen haperts manchmal etwas.
Eine gute Möglichkeit, das mit dem Schubladen umsortieren mal anzugehen, ist ein Helferkreis, die derzeit wie Pilze aus dem Boden schiessen.
Vor lauter Augen zuhalten hat die Exekutive auf allen Ebenen – vom Bund bis runter zur Gemeinde – leider nicht mitbekommen, dass es mit Formularen und Containern nicht getan ist. 8 Quadratmeter und absolute Untätigkeit sind ganz nett, wenn man wegen Burnout behandelt wird, oder die ersten 2 bis 3 Tage im Urlaub. Aber ich glaube nach ein paar Wochen wird dabei selbst der friedlichste Mensch aggressiv.
Wer das nicht glaubt, kann ja mal nach sensorischer bzw. perzeptiver Deprivation googlen oder es am Wochende einfach mal selbst ausprobieren. Beim Selbstversuch dann auch nicht vergessen, dass die Menschen, die sich in dieser Situation befinden in vielen Fällen einen Bürgerkrieg und eine Flucht über tausende Kilometer hinter sich haben und den Verlust von Freunden oder Familienmitgliedern betrauern müssen.
Und was hat das alles jetzt mit der Homepage des Helferkreises zu tun?
Da kann man einfach mal schauen, ob es irgendwas gibt, was man tun kann und will, um in die 8 Quadratmeter Nichts-Tun etwas Sinn und Farbe zu bringen.
Um jetzt noch mal zu den Idioten zurückzukommen: Natürlich werden da auch Idioten dabei sein, die das Anspruchsdenken eines durchschnittlichen deutschen Touristen im Billig-all-inclusive-Urlaub an den Tag legen, aber erstens kommt es darauf an, wie man mit ihnen umgeht (da kann man viel von griechischen Servicekräften lernen) und zweitens stellt sich die Frage, ob man von dem lauten Idioten unbedingt auf alle schliessen muss.
http://www.helferkreis-horgenzell.de
- so um die 250 Einwohner [↩]
- ziemlich, ziemlich vielen Jahren. So ein paar hunderttausend [↩]
- wenn ich es nicht sehen kann, kann es mich auch nicht sehen [↩]
- so, jetzt hab‘ ich die letzten Fackelhalter als Leser verloren [↩]
- wer das jetzt denkt, weil er immer bis vier zählt, hat den Grundgedanken schon nicht verstanden und kann mit dem Lesen aufhören [↩]
- bei meinen Freunden natürlich nicht, die sind alle cool und super. Ich meine die Freunde anderer Freunde [↩]
„Eine Möglichkeit, die man vor allem im Osten des Landes relativ häufig sieht, wäre, sich mit Dreschflegel und Fackel zu bewaffnen um den status quo aufrecht zu erhalten.“
So so. Wie oft haben sie so etwas „im Osten“ denn schon gesehen? Da scheinen doch wohl keine Vorurteile durch, oder?
Natürlich scheinen da Vorurteile durch. Ich habe hoffentlich nirgends den Eindruck erweckt, vorurteilsfrei zu sein. Das bin ich nämlich ganz und gar nicht.
Dreschflegel und Fackel sind allerdings auch bewusste Überzeichnungen. Es ist mir schon klar, dass heute keiner mehr Dreschflegel zu Hause hängen hat.
Ich finde es allerdings bezeichnend, dass gerade in Bundesländern mit niedrigem Ausländeranteil die Vorbehalte gegen Ausländer am größten sind.