Vorläufiges amtliches Endergebnis der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein 2012

Gestern hat Herr Schönenborn zum ersten Mal eine Anzeige verwendet, die hier im Blog seit 5 Jahren verwendet wird: Die Ergebnisse der Parteien unter Berücksichtigung der Nicht- und Ungültigwähler.

Über 40% der Wahlberechtigten Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner ist zu Hause geblieben oder hat einen ungültigen Stimmzettel abgegeben. Das ist nicht wirklich ein ermutigendes Zeichen.

Wie sähe denn ein Landtag aus, wenn nur die Plätze besetzt würden, für die auch Stimmen abgegeben worden sind?

So:

Von den 69 Sitzen blieben 29 leer. Die „große“ Koalition von CDU und SPD hätte gerade mal 38% der Sitze, die „Dänen-Ampel“1 käme auf 30% der Sitze.

Gewinne und Verluste sehen bezogen auf die Wählerstimmen so aus:

Gewonnen haben die Nichtwähler und die Piraten, alle anderen Parteien haben trotz einer größeren Zahl an Wahlberechtigten Stimmen verloren. Wahlgewinner definieren sich also mittlerweile danach, dass weniger weniger Wählerinnen und Wähler der eigenen Partei zuhause geblieben sind, als bei den anderen Parteien.

  1. auch in Dänemark sind die Ampeln übrigens rot-gelb-grün []

Wählerbeschimpfung

Der kleine Nils1 findet, wenn ich einem Beitrag der schwäbischen Zeitung trauen darf:

Der momentane Frauenanteil von gerade einmal 20 Prozent in den Kommunalparlamenten ist schlicht und ergreifend beschämend.

Irgendwie kann ich nicht ganz nachvollziehen, was Herr Schmid damit meint.

Da die Wählerinnen und Wähler bei Kommunalwahlen nicht auf feststehende Listen, die von den jeweiligen Parteien ausgekungelt worden sind, zurückgreifen müssen, sondern ganz nach eigenem Geschmack die Personen wählen können, die sie möchten, kann Herr Schmid eigentlich nur meinen, dass die Wahlentscheidung der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger beschämend ist.

Bei den allermeisten Kreistagswahlen hatten die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, nur Frauen zu wählen. Sie hatten sogar sehr oft die Möglichkeit, dabei gleichzeitig noch ihre bevorzugte Partei zu wählen. Da man in Baden-Württemberg bei Kommunalwahlen kumulieren darf2, und bei Kreistagswahlen 1,5-mal mehr Kandidatinnen und Kandidaten auf einem Wahlvorschlag stehen dürfen, als Sitze zu vergeben sind, reichte3 ein Frauenanteil von ca. 25% um 100% Frauen wählen zu können. Allein die Wählenden möchten es nicht.

Weil die Politik ja besser als der Souverän4 weiss, was gut für den Souverän ist, muss das natürlich geändert werden.

Der Landesvorstand der Partei unterstütze entsprechende Forderungen des Landesfrauenrats, erklärte SPD-Chef Nils Schmid am Samstag in Stuttgart. Frauen sollten künftig 50 Prozent der Listenplätze bei Kommunalwahlen garantiert bekommen. Das Kommunalwahlrecht im Land müsse entsprechend geändert werden.

Am Anfang – nach den ersten zwei Sätzen – dachte ich noch, die SPD wolle das nur für sich einführen, was ja als Partei ihr gutes Recht ist. Aber nein, Herr Schmid möchte das natürlich für alle Parteien einführen.

Allerdings wird das vermutlich nicht viel nützen, wenn die Wählerinnen und Wähler weiterhin die Möglichkeit haben, frei aus den Listen auszuwählen. Dann wählt nämlich ein Grossteil den Bürgermeister oder Menschen, die er kennt.

Man wird also den Wählenden auch die Möglichkeit der eigenen Wahl nehmen müssen, die bevorzugte Partei wird schon wissen, was das Beste für einen ist.

Ganz spannend wird es bei CDU und freien Wählern, wo bisher die jeweiligen Bürgermeister die Zugpferde waren.

  1. © by SWR 3 []
  2. max. 3 Stimmen pro Person []
  3. Konjunktiv []
  4. Gerüchten zufolge das Volk []

Warum sind die Piraten momentan so erfolgreich?

Wenn mich das nächste Mal jemand fragt, warum die Piraten momentan so erfolgreich sind, gebe ich ihm einfach diesen link zum anschauen (schon an die meines Erachtens wichtige Stelle gespult)
http://www.youtube.com/watch?v=6U82ig37TaE&t=4m40s
Es mag vielleicht naiv sein, davon auszugehen, dass die gewählten Repräsentanten im Parlament um die beste Lösung ringen und die Parteizugehörigkeit erst die zweite Rolle spielt, aber es trifft bei vielen Menschen meines Umfelds einen wunden Punkt. Das Gefühl, dass wir kein Parlament mehr haben mit Abgeordneten, sondern ein Kasperltheater mit Abgeordneten-Darstellern, die das beschliessen, was ein Koalitionsausschuss oder die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsparteien im stillen Kämmerlein vorher angeordnet haben.

  • Da geht es in erster Linie nicht um Parteiprogramme, die nebenbei bemerkt von vielleicht 0,1% der Wähler überhaupt gelesen werden.
  • Da geht es nicht darum, dass die Piraten das Urheberrecht abschaffen möchten, was sie nebenbei bemerkt ja auch gar nicht tun wollen.
  • Da geht es nicht darum, dass noch nicht zu jedem Punkt ein ausgearbeiteter Lösungsvorschlag vorliegt, den nebenbei bemerkt andere Parteien auch nicht haben, sich aber nicht trauen, das zuzugeben.
  • Da geht es überhaupt nicht darum, dass die Leute plötzlich picklige Nerds 1337 finden und Anhänger von etablierten Parteien zu langweiligen n00bs mutieren.

Da geht es meines Erachtens bei vielen nur darum, dass man diesen Menschen abnimmt, dass sie sich im Zweifel für die bessere Lösung entscheiden und nicht für das, was der Fraktions- oder Parteivorsitzende verkündet hat.

Es kann sein, dass das nicht funktioniert und es kann sein, dass man ein Land nur dann regieren kann, wenn die Abgeordneten das befolgen, was z.B. im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD 2005 beschlossen wurde (Seite 141, Zeile 6925-7)

Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.

Kann sein, dass Piraten völlig blauäugig und naiv an das Thema Politik herangehen, aber gem. Art. 21 I S. 1 wirken Parteien bei der politischen Willensbildung nur mit, sie übernehmen sie nicht und ganz sicher haben sie kein Anrecht darauf, dass ihre Sicht der Dinge von denen geteilt wird, von denen gem. Art 20 II S.1 alle Staatsgewalt ausgeht, dem Volk.

In Griechenland regiert eine „Expertenregierung“ in Italien ebenfalls, in Deutschland werden Gesetzesvorlagen mit unvorhersehbaren Auswirkungen in Nacht-und-Nebel-Aktionen vorbereitet und in einer Geschwindigkeit durchs Parlament durchgepeitscht, die eine echte Befassung der MdB mit ihnen verunmöglicht. Gruppen von 6 Personen entscheiden, was in den letzten 16 Monaten der jetzigen Legislaturperiode noch als Gesetz durchs Parlament muss. Gesetze werden von Kanzleien geschrieben1 die oft auch diejenigen vertreten, die von diesen Gesetzen betroffen sind …

Das alles hinterlässt bei zumindest einem Teil der Bürger einen sehr ungutes Gefühl, was den Zustand der Demokratie im Allgemeinen und ihre momentane Umsetzung im Besonderen angeht.

  1. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/121/1612182.pdf S. 18 []

Und dafür wollt ihr ein Leistungsschutzrecht – Teil 2

Es geht um diesen Artikel in der Süddeutschen Zeitung: Eine höhere Pendlerpauschale ist sozial ungerecht.

Angesichts der hohen Kraftstoffpreise setzt sich die FDP für eine erhöhte Pendlerpauschale ein. Wem würde eine Erhöhung nützen? Steuerprofessor Frank Hechtner hat im Auftrag der „Süddeutschen Zeitung“ errechnet: Vor allem Gutverdiener und Alleinstehende würden von der Anhebung um zehn Cent profitieren – geringere Einkommen könnten leer ausgehen.

Mir wären ja 4 Dinge peinlich, wenn ich Redakteur der Süddeutschen Zeitung wäre:

  1. Dass jemand in der Redaktion auf die Idee kommt, dass man für die Beantwortung einer solchen Frage einen Steuerrechtsprofessor braucht
  2. Dass es in der Redaktion niemanden zu geben scheint, der auch nur im Ansatz minimales Basiswissen des deutschen Steuerrechts zu haben scheint und das Ganze schnell selbst ausgerechnet hat
  3. Dass irgendwer auf die Idee kommt, es könne sich dabei überhaupt um eine Nachricht handeln (gut, das sagt auch einiges darüber aus, wie die Süddeutsche Zeitung ihre Leser einschätzt)
  4. Dass so ein Artikel ein Leistungsschutzrecht zugestanden bekommt. Wobei, vielleicht geht es ja den Verlagen gar nicht darum, Gelder einzunehmen sondern nur darum, dass niemand mehr ihren teilweise hanebüchenen Unsinn zerpflückt.

Liebe Redakteure der Süddeutschen Zeitung, ich habe da eine vielleicht unangenehme Überraschung für Euch:

Von höheren Werbungskosten profitiert ein Mensch mit höherem Grenzsteuersatz immer mehr, als ein Mensch mit niedrigerem Grenzsteuersatz. Jemand der gar keine Steuern zahlt, profitiert von Werbungskosten gar nicht. Behaltet das im Gedächtnis, wenn demnächst ein Redakteur auf die Idee kommt, dass ja reiche Menschen viel mehr als arme davon profitieren, dass sie ein Buch, welches sie für berufliche Zwecke gekauft haben, von der Steuer absetzen können.

Werbungskosten wirken immer mit dem Grenzsteuersatz. Das kann man gerecht finden oder nicht, aber es ist so. Dafür zahlt der mit dem höheren Gehalt auch viel mehr Steuern als einer mit niedrigem Gehalt.

Durchschnittslöhne, Durchschnittspresse

Hat eigentlich irgendjemand den Redakteuren das eigenständige Denken verboten, oder sitzen da nur noch Klickaffen, die dpa-Meldungen und andere Zeitungen zitieren?

Die Schwäbische „Zeitung“ schreibt heute in einem Bericht:

Im Vorjahr sind die Abzüge durch Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge so stark gestiegen wie seit 17 Jahren nicht mehr. Das berichtet die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf neue Zahlen des Bundesarbeitsministeriums.

Dann werden noch Zahlen in den Raum geschmissen, die alle stimmen, allerdings fehlt die redaktionelle Aufbereitung. Das müssen vermutlich die „Klowände des Internets“ übernehmen.

Fangen wir mal vorne mit Fakten an:

  • Die Steuersätze haben sich von 2010 auf 2011 nicht verändert.
  • DerAltersvorsorgebetrag, der steuerfrei ist, hat sich von 2010 auf 2011 um 2% erhöht.
  • Der Arbeitnehmer-Anteil an der gesetzlichen Krankenversicherung ist von 2010 auf 2011 um 0,3% gestiegen.
  • Der Arbeitnehmer-Anteil an der gesetzlichen Pflegeversicherung ist von 2010 auf 2011 unverändert geblieben.
  • Die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der Abgaben an die GKV und GPV bezahlt werden müssen, ist von 2010 auf 2011 um 1% gesunken.
  • Die Zusatzbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung haben sich in den Jahren 2010 und 2011 nicht sonderlich unterschieden.
  • Der Arbeitnehmer-Anteil an der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung ist von 2010 auf 2011 um 0,1% gestiegen.
  • Der Arbeitnehmer-Anteil an der gesetzlichen Rentenversicherung ist von 2010 auf 2011 unverändert geblieben.
  • Die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu der Abgaben an die ALV und GRV bezahlt werden müssen, ist von 2010 auf 2011 nicht gestiegen.
  • Die Gesamtsozialbeiträge sind für Arbeitnehmer unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze vom Jahr 2010 auf 2011 von 19,9045% auf 20,198% gestiegen.

Wieso ist dann die durchschnittliche Abgabenlast um 553 € gestiegen, obwohl der durchschnittliche Netto-Realverdienst sogar geschrumpft ist?

Aus (mindestens) 6 Gründen:

  1. Wir haben eine Steuerprogression
  2. Es findet keine Angleichung der Steuertarife mit der Inflation statt. Die letzte Partei die das versucht hat, war die FDP. Dafür hat sie dann von den restlichen Parteien und der Qualitätspresse auch ordentlich eins auf den Deckel bekommen. Weil das ja nicht geht, Steuersenkungen. Dass es sich gar nicht um eine echte Senkung, sondern nur um eine Inflationsangleichung gehandelt hätte, ging im Blätterwald verloren. Vermutlich weil wirklich nur noch Klickaffen die Meldungen verarbeiten und wenn dann einer irgendwas schreibt, dann wird das übernommen. Für eigene Recherche ist keine Zeit da.
  3. Die Zahl der Erwerbstätigen ist im Erhebungszeitraum um 1,5 Millionen Menschen gestiegen. Die Zahl der versicherungspflichtig Tätigen hat sich um über 700’000 erhöht. Das ändert ziemlich viel.
  4. Menschen heiraten und lassen sich scheiden, oder ein Ehepartner stirbt. Ehepaare werden anders besteuert als Alleinstehende.
  5. Die Zahl der Menschen mit Kinderfreibetrag hat sich reduziert. Wenn man der Einfachheit halber davon ausgeht, dass der Jahrgang 1990 komplett rausgeflogen ist (976’000) und der Jahrgang 2010 dazukam (660’000 Kinder) dann verschiebt das ebenfalls einiges.
  6. Wenn man einmal nominal und einmal real vergleicht, bringt das gar nichts.

Durchschnitte zu berechnen bringt aus diesen Gründen gar nichts. Mediane wären interessant, aber die kann ich nirgends lesen.

Zwei kleine praktische Beispiel:

Die Metaller1  haben im Jahr 2011 eine Gehaltserhöhung von 2,7% bekommen. Im Jahr 2010/11 sah der Gehaltszettel eines Mitarbeiters in LstKl. 1 so aus:

Jahr 2010 2011
Jahresbruttolohn 30’372 € 31’200 €
Lohnsteuer 4’494 € 4’627 €
Sozialabgaben 6’218 € 6’513 €
Nettolohn 19’659 € 20’060 €

Bei einer Inflationsrate von 2,3% ergibt sich eine reale Nettolohnkürzung von 19’659 € auf  19’608 €. (0,25%)

Beim Kollegen in der Konstruktion sah das Ganze so aus:

Jahr 2010 2011
Jahresbruttolohn 42’072 € 43’212 €
Lohnsteuer 7’918 € 8’141 €
Sozialabgaben 8’614 € 9’021 €
Nettolohn 25’540 € 26’050 €

Bei einer Inflationsrate von 2,3% ergibt sich eine reale Nettolohnkürzung von 25’540 € auf  25’464 €. (0,30%)

Zusammenfassend: Menschen, die 2011″nur“ eine Gehaltserhöhung von bis zu 3% bekommen haben, haben eine reale Nettolohnkürzung hinnehmen müssen. Die nominellen Beiträge für die Sozialversicherungen und die Steuern sind gestiegen. Da wir eine inflationsunabhängige Steuerprogression haben, sind auch die realen Steuerzahlungen durch diese Personen gestiegen.

So, und jetzt überlegen wir uns noch mal ganz kurz, was die FDP vorgeschlagen hatte.

  1. genaugenommen die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie []