Digitale Abstinenz

Vorbemerkung:
Dieser Beitrag hat ein paar Fußnoten. Wenn man auf die Zahl klickt (hier)–>1 kommt man wieder zurück. Oder man fährt einfach mit der Maus drüber, dann geht so eine kleine graue Box auf, in der der Text steht.
Als Jurist habe ich gelernt, dass ein guter Artikel zu mindestens einem Drittel aus Fußnoten zu bestehen hat2, außerdem stört es den Lesefluss nicht so sehr, wie die ganze Klammerei.

Ich hatte ja mal erwähnt, dass es ein paar Menschen gibt, deren Argumente in Bezug auf mein Leben und mein Handeln ich nicht gleich als völlig unsinnig und irrelevant verwerfe. Dafür hatten sie in der Vergangenheit zu oft recht3.

Zwei Gedanken, die ich in unterschiedlicher Form und sehr unterschiedlicher Offenheit in letzter Zeit mehrfach zu hören bekommen habe, waren, dass ich mich zu einem (eitlen) Selbstdarsteller entwickelt hätte und dass ich versuchen würde, meine Jugend nachzuholen.

Kämen diese Gedanken (die ich bei den betreffenden Personen wirklich nicht als Vorwurf empfunden habe, sondern als offenen Diskussionsbeitrag4 ) von anderen Menschen, könnte ich den ersten5 abtun mit der einfachen Erklärung, dass ich schon mein ganzes Leben lang ein eitler Selbstdarsteller bin und ich in letzter Zeit wenigstens etwas habe, was mehr Anerkennung bekommt als die profunde Kenntnis des Wahlrechts Irlands, des deutschen Steuer- und Abgabenrechts, der richtige Gebrauch des Komparativs6 oder die Tatsache, dass ich meine Blutalkoholkonzentration auch dann noch ausrechnen kann, wenn sie über 0,15% liegt.

Was (also die unterschiedliche Anerkennung) ich nebenbei bemerkt übrigens immer noch schade finde, denn ein Halbmarathon in 2:10h ist definitiv einfacher zu laufen7 als ein Single Transferable Vote System mit Droop-Quota zu verstehen8  oder die Steuerberechnung aufgrund einer sich ändernden Vorsorgepauschale unter Berücksichtigung steuerfreier aber unter Progressionsvorbehalt stehender Lohnersatzleistungen9. Die Ermittlung der BAK hingegen erfordert nur Grundrechenarten und die Kenntnis der Korrektur- und Abbaufaktoren. Das ist ein netter10 Partygag, mehr nicht.

Da der Gedanke (zweiter Absatz, wer wie ich noch mal nachlesen muss) aber von Menschen kommt, die mich kennen und die in der Vergangenheit schon viele berücksichtigungswürdige Gedanken hatten, kann ich ihn nicht so leicht abtun.

Wenn ich mir dann noch anschaue, was ich in letzter Zeit so auf facebook gepostet habe und was sich kurz zusammenfassen lässt mit

schaut mal, ich war segeln
schaut mal, ich war laufen
schaut mal, ich war schon wieder segeln
schaut mal, ich war schneller laufen
schaut mal, ich gehe 5 Tage auf ein Open-Air

dann könnte er zutreffend sein. „Könnte“, das ist ein Konjunktiv. Ich habe mir noch keine abschließende Meinung gebildet, weil ich mir immerhin das „Schaut mal, ich war Golfen“-Video verkniffen habe11.

Was mich zum zweiten Gedanken bringt.

Der Frage, ob ich versuche mit segeln, tanzen und laufen meine Jugend nachzuholen.

Das kann ich auch nach längerer Überlegung wirklich nicht beantworten, aber falls dem so sein sollte, sollte ich es auch richtig machen mit dem Nachholen. Und meine Jugend war halt von Mitte der 80er bis Anfang der 90er12.

Deshalb werde ich meinen Urlaub nutzen, um vom 15. August bis 1. September offline zu gehen, weil es dieses Internet in meiner Jugend schließlich auch nicht gab und ich sie irgendwie trotzdem überlebt habe13. Wenn schon retro, dann richtig retro. Außerdem kann ich dann prüfen, ob ich ein unbewusst vorhandenes geringes Selbstwertgefühl durch ein übertrieben positiv dargestelltes äußeres Erscheinungsbild zu kompensieren versuche. Das wäre dann die Sache mit der eitlen Selbstdarstellung. Wenn ich es jetzt so geschrieben da stehen sehe, klingt es irgendwie plausibel, außer das mit dem „unbewusst“.

Kein GoogleMaps, kein WhatsApp, kein Facebook. Kein Shazaam, kein WeatherPro, keine News-Seiten. Kein runtastic, kein digitaler Wien-City-Guide, kein „schaut mal, ein Selfie-Video mit Kraftklub im Backstage-Bereich

Damit das Ganze nicht zu langweilig wird, werde ich die zweieinhalb Wochen ausser Haus verbringen.

So wie früher mit Strassenatlas fürs Auto14 und damit verbundener entnervter Beifahrerin15, einem Stadtplan, der zwar eine Patentfaltung16 hat, aber leider den eigenen Standort nicht kennzeichnet, einem Reiseführer in Buchform17, Postkarten aus dem Urlaub18, leierndem Walkman beim Joggen19 und völliger Ahnungslosigkeit, wo man denn den nächsten Geldautomat findet20, eine offene Tankstelle21 oder ein Restaurant in der Nähe mit leckerem Essen und akzeptablen Preisen22. Keine Kommunikation mit den zurückgebliebenen23 Freunden und Bekannten. Wenn man damals weg war, war man schließlich auch weg, ohne dass Mütter vor Gram und Sorge mit akutem Kreislaufversagen eingewiesen hätten werden müssen24 oder dass daran Freundschaften zerbrochen wären. Um mal wieder meinen französischen Lieblingsadligen zu zitieren:

L’absence diminue les médiocres passions et augmente les grandes, comme le vent éteint les bougies et allume le feu.

Trennung lässt matte Leidenschaften verkümmern und starke wachsen, wie der Wind die Kerze verlöscht und das Feuer entzündet.

Ich habe für Wien sogar noch ein paar Schilling25 ausgegraben und schaue in der Kärtnerstrasse nach, ob da jemand „blowin‘ in the wind“ spielt26.

Wer jetzt denkt, dass ihn diese Ankündigung auch irgendwie an eitle Selbstdarstellung erinnert „schaut mal, ich kann auch ohne Smartphone und Internet“ , denkt vermutlich richtig, aber das ist die Art Selbstdarstellung, die ich zur Not als ironisch gebrochene Anklage an moderne Zeiten irgendwie intellektuell verargumentieren kann. Nicht ganz das „J’accuse“ eines Émile Zola27, aber das muss es ja auch nicht sein.

Wenn es in den nächsten 17 Tagen also kein Lebenszeichen von mir gibt28, ist das der Tatsache geschuldet, dass ich schon an der Kontaktaufnahme scheitere29, bzw. die Kontaktaufnahmeversuche anderer nicht mitbekomme.

Ich weiß auch noch nicht, ob ich das zweieinhalb Wochen durchziehe. Vermutlich werde ich das Telefon spätestens dann einschalten, wenn ich mich in Wien komplett verlaufen habe, Nebel von der Donau hochsteigt und irgendwo ein Zitherspieler damit anfängt, das Harry-Lime-Theme zu spielen.

Und (fast) zum Schluss noch eine Anmerkung:

Sollte irgendjemand eine Postkarte aus Wien erwarten und keine bekommen, liegt das vermutlich daran, dass:

  1. ich den Zettel mit den Adressen vergessen habe,
  2. die österreichische Post keine mit Schilling-Briefmarken frankierten Karten mehr transportiert, oder
  3. ich wie früher dann doch gar keine Karten geschrieben habe.

Spiegel-Online hat mittlerweile unter den Artikeln30 immer eine Zusammenfassung für diejenigen, denen ganze Artikel zu lang31 sind, die aber trotzdem irgendwie mitreden wollen. Das finde ich eine nachahmenswerte Idee, weshalb ich das jetzt auch mache.


Zusammengefasst: Ich bin die nächsten zweieinhalb Wochen nicht erreichbar32

  1. kommt man zur Fußnote und wenn man auf das letzte Zeichen klickt, (hier)–> []
  2. Und der Ingenieur in mir weiß, dass es sich dabei zwar um eine notwendige, keinesfalls aber hinreichende Bedingung handelt []
  3. Ritter-Relevanz-Skala, Kategorie D []
  4. da kommen in aller Regel noch ganz andere Sachen []
  5. Ellipse, falls jemand wissen will, wie das Stilmittel heißt []
  6. in Baden wird er mit „wie“ gebildet, überall sonst mit „als“ []
  7. Been there, done that, got the T-Shirt []
  8. Been there, done that, got no T-Shirt []
  9. Dafür gibt es Programme, ich weiß. Es geht auch mehr um das Verständnis der dahinter stehenden Systematik []
  10. wenn ich betrunken bin, finde zumindest ich es witzig. Bei den anderen bekomme ich das mit 0,15% nicht mehr so richtig mit []
  11. Praeteritio. Ich kenne nur eine begrenzte Anzahl von rhetorischen Stilmitteln, muss sie also öfter verwenden. Soweit ich weiß, gibt es für „fishing for compliments“ keine griechische Entsprechung, was schade ist, da ich das sehr häufig benutze. Fußnoten sind der ideale Ort zur selbstkritischen Reflexion. []
  12. des letzten Jahrhunderts, liebe Kinder []
  13. inklusive 4 Wochen InterRail und 2 Wochen Wandern durch die norwegische Einöde []
  14. ich hoffe, die haben in den letzten Jahren nicht zu viel an den Trassenführungen geändert. Gibts eigentlich die Reichsautobahn 26 noch? []
  15. „ich weiß nicht, ob wir da links müssen, halt halt mal an [2 Sekunden Pause] Ja, wir hätten da links gemusst“ []
  16. Vermutlich ein Patent darauf, dass man ihn nach dem ersten Auseinanderfalten nie wieder so zusammenbekommt wie der Hersteller []
  17. Der schon bei Drucklegung hoffnungslos veraltet war und in dem nie die Dinge stehen, die mich interessieren []
  18. ich muss mir die Adressen vorher auf einen Zettel schreiben, ich kenne fast keine auswendig []
  19. Das weiß ich nicht aus eigener Erfahrung, ich war in dem Alter nicht joggen. Aber die Aufkleber auf den späten Walkman-Schachteln haben immer mit DiscDrive und den dadurch verschwundenen Gleichlaufschwankungen geworben []
  20. Wenigstens bleibe ich im gleichen Währungsraum. Ich nehme einfach genug Bargeld mit []
  21. auch wenn ich ziemlich sicher zielstrebig die teuerste in einem 50-Kilometer-Umkreis ansteuern werde []
  22. Die Prioritäten bezüglich lecker und preislich akzeptabel haben sich in den letzten Jahren allerdings verschoben. Das behalte ich bei []
  23. dieses Wortspiel stammt aus den frühen 90ern, ist also durchaus passend []
  24. auch wenn meine Mutter nach knapp 3 Wochen InterRail ohne Kontakt wohl kurz davor stand. Dafür heute nochmals Entschuldigung []
  25. für die jüngeren Leser: Früher(TM) hatte jedes Land seine eigene Währung. Die in Österreich hieß Schilling, genau wie der Peter, aber den kennt ihr vermutlich noch weniger []
  26. Deswegen. Was für Frisuren, was für Bärte, was für Brillen und warum kann ich den Text immer noch auswendig? (Inklusive der in dieser Version nicht gesungenen zweiten a-capella-Strophe) []
  27. nicht mal ansatzweise, aber wenn man die Lösung implizit als Teil des Problems darstellen kann und das dann auch noch explizit erwähnt, erzeugt das so eine wohlige Atmosphäre der dekonstruierten Selbstreferenzialität []
  28. außer einer Postkarte, die vermutlich erst dann eintreffen wird, wenn ich schon wieder längst zuhause bin []
  29. gibt es eigentlich noch Münztelefone? []
  30. vermutlich, damit man sich wenigstens durch den Text scrollen muss, wenn man ihn denn schon nicht lesen will oder kann []
  31. die mittlere Aufmerksamkeitsspanne nimmt immer weiter ab []
  32. Wahnsinn, wie leicht und vollumfänglich sich über 1400 Worte in nur 8 komprimieren lassen []

Weil halt

Eines Tages saß sie einfach da. In meinem Stammcafé, auf meinem Platz. Den Kopf halb in einem Buch versteckt, vor sich einen vermutlich schon längst kalten Kaffee.

Als ich näher kam hob sie ihren Kopf, strich sich gedankenverloren eine Haarsträhne aus der Stirn, sah mich etwas abwesend an und ich dachte, ich müsste in ihren großen braunen Augen ertrinken. Sie sah mich näher über den Rand ihrer Hipster-Brille an, verzog leicht spöttisch den Mund und meinte nur „Ja?“.

Mein Herz konnte sich nicht entscheiden, ob es endgültig stehenbleiben wollte, oder doch mit doppelter Geschwindigkeit schlagen, mein Kopf war völlig leer und unfähig irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Zu allem Überfluss stellte ich fest, dass ich immer noch in diese unfassbar braunen Augen starrte. Wahrscheinlich schon seit Stunden. Ich machte den Mund auf und hörte mich „Ähhhhhhhhhh“ sagen.

Warum nur tat der Boden einem nie den Gefallen, sich unter einem zu öffnen, wenn man ganz dringend darauf angewiesen war? Gleich mein erster Satz ein Beispiel formvollendeter Eloquenz gepaart mit sprühendem Wortwitz – und könntest Du mal bitte Deine Augen schließen, damit ich weggucken kann?

Ihr Mund verzog sich noch ein bisschen mehr und sie wiederholte ihr „Ja?“.

„Ähhh, Du sitzt auf meinem Platz“.

Toll, gleich noch virtuos nachgelegt. Nicht nur verbal inkontinent sondern auch noch zwangsgestört. Im perfekten Ersten Eindruck machen, macht mir so schnell keiner was vor.

Ihr Blick ging nach links auf 3 leere Tische, kam zurück, blieb kurz an mir hängen – was für Augen – ging nach rechts zu 2 leeren Tischen und mit kaum unterdrückter Heiterkeit in der Stimme meinte sie „Sorry, das wusste ich nicht. Ist natürlich auch ziemlich voll hier. Wenn Du magst, kannst Du Dich gerne dazu setzen.“ Sie schlug ihr Buch endgültig zu, steckte es in eine Tasche von den Ausmaßen eines Wetterballons, nahm sie vom zweiten Stuhl, hängte sie an ihren und sah mich erwartungsvoll an. Vermutlich wartete sie schon auf den nächsten Ausfall.

Den bescherte mir meine Tasse, die Tina an unseren Tisch brachte, gefüllt mit dem üblichen doppelten Milchkaffee. Sie hätte sie vielleicht nicht unbedingt mit dem Spruch nach vorne hinstellen müssen, die Situation war auch ohne das Kompetenz sieht nur von unten aus wie Arroganz, das fett auf der Tasse prangte, kompliziert genug.

„Ähhhhhhhh“. Könnte ich bitte damit aufhören jeden Satz mit Äh anzufangen oder nur aus Ähs zu bilden?

Sie deutete auf die Tasse: „Du kennst Dich also damit aus?“ und dann fing sie an zu lachen und ich musste einfach mitlachen.

Da saß ich nun. Mit einer fremden Frau mit unfassbar braunen Augen über einen dämlichen Spruch auf einer Kaffeetasse lachend, wissend, dass sie gleich aufstehen, aus meinem Leben verschwinden und mein Herz mitnehmen würde.

Ein großer Vorteil meines Stammcafés war, dass ich meine eigene Musik mitbringen durfte, weil ich das Gedudel mit den Hits der 80er und 90er und dem besten von heute am frühen Morgen nicht ertrug. Den Nachteil daran erkannte ich in dem Moment, in dem Tina meine ich-bin-ein-Intellektueller-und-das-hört-man-auch-meiner-Musikauswahl-an-Sammlung einlegte und auf play drückte.

Super, vielen Dank auch Tina, heute mal kein Trinkgeld.

„Oh, Pavlov’s dog. Das hört man auch eher selten“ kam kurz darauf von meiner Tischnachbarin.

„Und noch seltener findet man jemand, der weiß, wie die Band heißt“ entgegnete ich und freute mich innerlich tierisch über meinen ersten Satz ohne Äh. So langsam wurde das was. Endlich bekanntes Terrain. Musik war meins.

„Mit dem Vornamen ist das quasi Pflichtprogramm“ meinte sie, „Julia“ und streckte mir ihre Hand hin.

Das war der Moment, in dem ich befürchtete, gestorben und kurz darauf in einem Inga-Lindström-Film wiedererwacht zu sein.

„Florian“ antwortete ich und die Tatsache, dass es nicht blitzte, als ich ihre Hand schüttelte, belehrte mich zumindest bezüglich des Lindström-Films eines Besseren.

wird (wenn Bedarf besteht) fortgesetzt (aber vermutlich auch sonst).

Zwischenspiel

Die ersten Bücher sind verschenkt und man hat mir vorgeschlagen, ich solle aus dem ausgefallenen Kapitel doch ein Sachbuch zum Thema Verliebtheit machen. Das funktioniert allerdings aus zwei Gründen nicht.

Ich weiß zwar bezüglich des ganzen Hormongedöns und der Neurochemie vermutlich mehr als 97% der Restbevölkerung, allerdings weiß ich auch nur 2% von dem, was die wissen, die sich wirklich damit auskennen.

Und selbst wenn ich ein Buch schreiben würde, weil humoresk aufbereitete, populärwissenschaftliche Sachbücher momentan einen Lauf haben, ist das Thema keins, welches einen großen Leserkreis vermuten lässt.

Diejenigen, die nicht verliebt sind, interessiert das Thema nicht. Es steht ja keiner morgens auf, denkt sich, dass sein bisheriges Leben bisher zu ereignislos war und er sich zur Abwechslung mal verlieben könnte. Und weil er nicht mehr so genau weiß, wie das eigentlich geht, schaut er erstmal im Buchladen nach, ob‘s da Fachliteratur zu gibt. Nicht, dass er noch was falsch macht.

Dann haben wir die zweite Gruppe, die der glücklich Verliebten. Die haben allerdings anderes zu tun als nachzuschauen, warum es ihnen gerade so gut geht. Zumindest hoffe ich, dass sie mit ihrer Zeit etwas Besseres anzustellen wissen, denn es ist oft schneller rum als man denkt.

Und zum Schluss die letzte Gruppe, die der unglücklich Verliebten. Die würden so ein Buch schon gar nicht kaufen, die haben ihr Geld schon für Jupiter Jones und Philipp Poisel ausgegeben. Die Menschen dieser Gruppe bekommen so ein Buch allenfalls geschenkt, aber dann lesen sie es nicht und falls doch, glauben sie es nicht und falls doch, hilft es nichts. Das ist ganz ähnlich wie bei Phantomschmerzen. Wem aufgrund eines Motorradunfalls der linke Unterschenkel amputiert werden musste, weiß in aller Regel, dass da kein großer Zeh mehr ist, der jucken kann. Man kann hinschauen, man kann es ertasten. Da ist definitiv nichts mehr, was jucken kann. Hilft nichts, juckt trotzdem. Dummerweise kann man sich nicht mal mehr kratzen.

Rational hat man die Situation in beiden Fällen erfasst und oft auch schon verarbeitet, aber man schafft es irgendwie nicht, dass auch seinem Körper beizubringen.

So, dann wäre das mit dem aufgrund fehlenden Fachwissens und fehlendem Zielpublikum nicht zu schreibenden Buch auch geklärt.

Für einen längeren Beitrag im blog reicht es dann aber doch. Irgendwas muss ich ja tun, wenn die Geschenke ausgepackt sind und die Gitarre in Reparatur.

Und wenn ich schon mal dabei bin, kann ich auch ziemlich weit vorne anfangen.

Ganz am Anfang war das Leben auf diesem Planeten zwar ziemlich unwirtlich, aber zumindest in Bezug auf die Vermehrung relativ einfach. Wenn genügend Nahrung da war, hat man sich geteilt. Nichts mit Partnersuche, nichts mit langen ausgedehnten Strandspaziergängen im Sonnenuntergang oder Ausritten durch die vom Tau noch nassen Wiesen. Einfache pure Mitose. Hat ziemlich lange ziemlich gut geklappt. Zum Genaustausch hatte man Plasmidringe und mehr wollte man mit den anderen eigentlich auch nicht zu tun haben.

Dann hatte die Evolution eine revolutionäre Idee und wollte es mal mit geschlechtlicher Vermehrung probieren. Das war einerseits eine geniale Neuerung was die Durchmischung des Genpools anging, andererseits auch ziemlich risikoreich, weil man für die Vermehrung plötzlich immer zwei Individuen einer Biospezies brauchte, die zusätzlich auch noch unterschiedliche Geschlechter haben und in aller Regel auch zur gleichen Zeit am gleichen Platz sein mussten. Ziemlich viele Unbekannte also. Zum Glück waren zu der Zeit die Kopfschmerzen noch nicht erfunden, wir würden uns vermutlich heute noch einfach teilen, falls doch.

Aber auch ohne Migräne war es noch ziemlich kompliziert. Wie Heinz Erhard rund 800 Millionen Jahre später dichtete „das Meer ist weit, das Meer ist blau, im Wasser schwimmt ein Kabeljau“.

Wie findet der jetzt eine Kabeljau-Frau? Oder sie ihn? Und was macht man, wenn man sich gefunden hat? Alles Fragen, die schon ganz zu Beginn geklärt werden mussten, damit sich die geschlechtliche Vermehrung zum Erfolgsmodell entwickeln konnte.

Der Evolution kamen drei Dinge zu Gute. Viel Zeit, ein ziemlich großer Testpool und schließlich war auch noch niemand da, der darauf aufmerksam gemacht hätte, dass man auf Spezies mit Meiose-Hintergrund gefälligst Rücksicht zu nehmen hätte oder der gefordert hätte, dass 30% der Spitze der Nahrungskette für sich geschlechtlich Vermehrende reserviert werden müssten. Und einen Druck der Straße in Form der Pangäischen Eukaryoten Gegen die Infiltrierung Durch Archaeen (PEGIDA) gab es auch noch nicht.

Evolution ist weder fair noch gerecht, sie hat kein Ziel und verläuft ungesteuert. Das macht es eigentlich noch erstaunlicher, dass es funktioniert hat.

Geschlechtliche Vermehrung wurde von und für Spezies entwickelt, die über sehr wenig oder gar kein Gehirn verfügten. Wer seinen letzten Discobesuch Revue passieren lässt, wird vielleicht auf die Idee kommen, dass sich da in den letzten 800 Millionen Jahren auch nichts dran geändert hat. Es hat sich schon, wenn auch vielleicht nicht immer und bei Allen.

Der Sinn dieses Ausflugs in die Anfänge des Sex war, zu verdeutlichen, dass das Ganze auf ziemlicher beschränkter Hardware laufen musste und eigentlich nur funktioniert hat, weil es festverdrahtet in den Genen abgelegt wurde. Und weil etwas, das sich als erfolgreich herausgestellt hat, ganz selten aus der Programmierung getilgt wird, tragen wir noch heute einen Teil davon mit uns herum. Nein, Jungs in der Pubertät stellen nicht das Ablaichen älterer Lachse in den Oberläufen der Flüsse nach weil sie durch ihre Gene dazu gezwungen werden, aber es käme auf einen Versuch an, das mal als Entschuldigung anzuführen.

Bevor wir uns wieder dem eigentlichen Thema zuwenden noch ein kurzer Ausflug in die zwei grundlegenden Fortpflanzungsstrategien, der r-Strategie und der K-Strategie. Prüfungsrelevant ist eigentlich nur die K-Strategie, weshalb ich die r-Strategie in einem Halbsatz dahingehend abfrühstücke, dass sie beinhaltet, rauszuhauen was geht und sich danach nicht mehr um die Nachkommen zu kümmern. So ein Laubfrosch kann in seinem Leben an die 5000 Nachkommen zeugen, wobei die Tatsache, dass die Erde nicht mit einer 12 Meter hohen Laubfroschschicht bedeckt ist, einen richtigerweise vermuten lässt, dass es von den 5000 befruchteten Eiern ziemlich wenig schaffen, zu überleben und sich selbst fortzupflanzen.

Die K-Strategie ist die interessantere, weil da insgesamt weniger Nachkommen gezeugt werden, dafür aber Brutpflege betrieben wird, die vom einfachen verscheuchen irgendwelcher Fressfeinde vom Gelege bei Krokodilen hin zum Mammismo italienischer Männer reicht, von denen im Alter von 30-34 Jahren immerhin noch über die Hälfte bei ihren Eltern wohnen.

Wenn man jetzt noch den lateinischen Rechtssatz „Mater semper constat et vulgo concipit“ nimmt – Die Mutter steht immer fest, von wie vielen sie auch empfangen hat – hat man eigentlich schon alles zusammen, um Verliebtheit auf einer sehr hardwarenahen Basis zu beschreiben.

Für die High-Level-Erklärungen verweise ich einfach mal auf Goethes Werther, obwohl sich heute ja keiner mehr umbringt, nur weil er in eine verheiratete Frau verliebt ist. Ja, ich habe Werther gelesen, wenn auch nicht in dem Moment, in dem er auf dem Lehrplan stand. Alternativ hätte ich für diejenigen, die von Sturm-und-Drang-Literatur vor allem eins halten – nämlich Abstand – noch „this ain’t a lovesong“ von „scouting for girls“ im Angebot.

Dies ist der letzte Zeitpunkt, um sich dafür entscheiden zu können, einfach nicht wissen zu wollen, warum und wie man sich verliebt. Manchmal lebt es sich mit Illusionen ja einfacher.

Untenstehendes basiert hauptsächlich auf dem Aufsatz „Sexual Strategies Theory: An evolutionary perspective on human mating“ von David Buss und David Schmitt sowie den Untersuchungen des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie zum MHC-Peptidpräsentationssystem.

Um das Ganze ein wenig kurzweiliger zu gestalten, habe ich mir die ein oder andere Ungenauigkeit und dichterische Freiheit rausgenommen. Wer das Ganze im Original lesen will, kann mich gerne anschreiben.

Nur für diejenigen, die es noch nicht wussten: ich bin generell nicht zitierfähig. Manche sprechen mir sogar ab, satisfaktionsfähig zu sein, aber damit kann ich leben, wer duelliert sich heute schon noch.

In Liebesromanen klingt das am Anfang immer irgendwie so (ich möchte mich schon im Vorhinein für meine Unfähigkeit entschuldigen. Es hat schon einen Grund, warum ich keine baccara oder julia Romane schreibe):

Eines Tages saß sie einfach da. In meinem Stammcafé, auf meinem Platz. Den Kopf halb in einem Buch versteckt, vor sich einen vermutlich schon längst kalten Kaffee.
Als ich näher kam hob sie ihren Kopf, strich sich gedankenverloren eine Haarsträhne aus der Stirn, sah mich etwas abwesend an und ich dachte, ich müsste in ihren großen braunen Augen ertrinken. Sie sah mich näher über den Rand ihrer Hipster-Brille an, verzog leicht spöttisch den Mund und meinte nur „Ja?“.

Mein Herz konnte sich nicht entscheiden, ob es endgültig stehenbleiben wollte, oder doch mit doppelter Geschwindigkeit schlagen, mein Kopf war völlig leer und unfähig irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Zu allem Überfluss stellte ich fest, dass ich immer noch in diese unfassbar braunen Augen starrte. Wahrscheinlich schon seit Stunden. Ich machte den Mund auf und hörte mich „Ähhhhhhhhhh“ sagen.

Warum nur tat der Boden einem nie den Gefallen, sich unter einem zu öffnen, wenn man ganz dringend darauf angewiesen war?

Ja, ja, ich hör ja schon auf. Aber es klingt, zumindest wenn es von Leuten geschrieben wird die sich damit auskennen, einfach besser als wenn man die dahinter liegenden Mechanismen beschreibt (bei gleichem Anfang):

[..] sah mich etwas abwesend an und die Ankerreste ihrer MHC-Peptidliganden trafen auf mein vomeronasales Organ, wo sie meine sensorischen Neuronen im olfaktorischen System sequenz-spezifisch erregten, weil eine interchromosomale Rekombination unserer für die Immunstruktur zuständigen Gene besonders überlebensfähige Nachkommen vermuten ließ. Damit war schon geklärt, dass eine Paarung mit ihr hochwertig wäre, jetzt ging es nur noch darum ihre sexuelle Verfügbarkeit und Fruchtbarkeit herauszufinden (im Original „reproductively valuable“ beziehungsweise „sexually accessible and fertile“).

Dann vermutlich doch lieber in unfassbar braunen Augen ertrinken. Wobei ich ehrlich gesagt noch keinen Krimi gesehen habe, in dem der Gerichtsmediziner in ein Café zu einer Wasserleiche gerufen wurde, die in den Augen einer Frau ertrunken ist.

Eine Möglichkeit des Wieso wäre damit geklärt. Die evolutionäre Grundvoraussetzung „muss prinzipiell auch ohne Gehirn funktionieren“ ist erfüllt. Man hat einen potenziellen Partner mit dem die Vermehrung eine Verbesserung des verfügbaren Genpools darstellen würde.

Es gibt noch ein paar andere Möglichkeiten, aber das hier ist ja kein Buch, sondern nur ein Blogbeitrag.

Kommen wir zum Wie. Wieder der gleiche Anfang:

[..]und meinte nur „Ja?“. Mein Mittelhirn begann Dopamin auszuschütten, mein Nebennierenmark produzierte Adrenalin, als gäbe es kein Morgen mehr. Der Neurotrophinspiegel in meinem Blut stieg, die Serotoninsynthese wurde fast vollständig eingestellt und ich war verliebt.

Gut, dieses Mal braucht man ein wenig Hirn, aber die Paarung bei Menschen ist halt auch ein bisschen komplizierter als bei laichenden Lachsen. Die komplette Hormon- und Neuromodulatoren-Ausschüttung geschieht allerdings weiterhin ohne einen einzigen bewussten Gedanken und sie ist auch rational nicht in irgendeiner Art und Weise steuerbar.

Obwohl das auf einer ziemlich tiefen Ebene abläuft, ist es nichtsdestotrotz ziemlich komplex. Um mal ein paar Standardsituationen rauszugreifen:

Die Tatsache, dass mir mein Lieblingshobby keinen Spaß mehr macht, wenn Sie nicht dabei ist, hat nichts damit zu tun, dass ich plötzlich festgestellt hätte, wie unglaublich öde Briefmarken sammeln ist, sondern damit, dass der unbewusste Teil meines nervigen Gehirns die Serotoninproduktion gedrosselt hat, damit ich mich ganz auf die wirklich wichtige Aufgabe „Fortpflanzung mit ihr“ konzentrieren kann. Man musste als Mann die Frau schließlich überzeugen, dass man als Vater ihrer Kinder in Frage kommt. Im Gegensatz zu Männern konnte man als Frau nicht so schnell den Partner wechseln, zumindest nicht, wenn man schon schwanger war (im Original „identifying men who are able and willing to invest“).

So eine Fixierung war in der Vergangenheit aber auch in anderen Bereichen durchaus überlebenswichtig. Wenn man auf Mammutjagd war, war es vorteilhaft, wenn man sich nicht von einer blauen Blume auf dem Weg davon abhalten ließ, die Herde zu verfolgen und ein Tier zu erlegen.

Eine blaue Blume, ach wie schön. Mit ganz vielen kleinen blauen Blütenblättern und so lustigen gelben Stempeln. Die pflück ich und steck sie mir ins Haar. Danach tanze ich meinen Namen.

Vermutlich gab es auch solche Steinzeitmenschen. Die hat die Evolution aber ziemlich radikal aussortiert, weshalb sich diese Genvariation nicht durchgesetzt hat sondern die mit dem niedrigen Serotoninspiegel und der Zielfixierung.

Die Tatsache, dass ich, obwohl ich Pferde bisher nur als Salami und aus der Lasagne kenne, plötzlich Spaß an gemeinsamen Ausritten durch die vom Tau noch nassen Wiesen habe, hat nichts damit zu tun, dass ich den Indianer in mir entdeckt habe sondern damit, dass sie dabei ist und mein Mittelhirn zur Belohnung Dopamin produziert. Jetzt kommt die K-Strategie zum Tragen. Ich hab da oben nichts umsonst geschrieben.

Brutpflege. Die Überlebenswahrscheinlichkeit unserer Kinder steigt, wenn ich lange bei ihr bleibe. Zumindest war das früher so und hormonell ist heute immer noch früher.

Irgendwas muss mir mein Körper anbieten, damit ich bei ihr bleibe. Da bietet sich Dopamin an. Leicht herzustellen, macht glücklich und zufrieden und beeinträchtigt die anderen Körperfunktionen nicht nachhaltig. Es gab auch Menschen, bei denen das Dopamin völlig normal weiterproduziert wurde. Da sind die Männer aber vermutlich nicht bei den Frauen geblieben was wiederum zu einer geringeren Überlebenswahrscheinlichkeit der gemeinsamen Kinder geführt hat, was zur Folge hatte, dass sich diese Genvariante gegenüber der ich-bin-verliebt-und-bleibe-bei-ihr-Variante nicht durchsetzen konnte.

Kommen wir zum letzten. Neurotrophin. Ein Neuromodulator der für die Verbindung zwischen Nervenzellen zuständig ist. Irgendwann ist nämlich Schluss mit der Verliebtheit, je nach Person dauert das zwischen 6 und 36 Monaten. In dieser Zeit sollte das Neurotrophin dafür gesorgt haben, dass aus Verliebtheit Liebe entsteht: Gewöhnung, Vertrautheit.

Dann vermutlich doch lieber in unfassbar braunen Augen ertrinken. So langsam beginnt mir der Gedanke Spaß zu machen. Gewöhnung halt. Auch nur eine andere Form von posttraumatischer Belastungsstörung.

Ich muss mir jetzt nur noch ein Stammcafé, einen Stammplatz, eine Frau mit braunen Augen und einem Buch die auf meinem Stammplatz sitzt, suchen, damit ich weiß, wie die Geschichte weitergeht. Gut, bei mir vermutlich wie alle Geschichten:

Nach dem „Ja?“ kommt erst mal lange nichts und dann ein „Du weißt schon, dass Du sabberst?“.

Und plötzlich ergibt die Sache mit dem Ertrinken doch Sinn.

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Outtakes

Doch noch ein Blogbeitrag, aber mit nur wenig Text.

Was ich noch loswerden wollte

Im Laufe der letzten sieben Wochen habe ich mich ziemlich intensiv mir mit auseinandergesetzt. Manche finden das eklig, andere nennen die Beschäftigung mit sich selbst Reflexion.

Ich habe für mich ganz interessante Erkenntnisse gewonnen und damit ich sie nicht jedem verständnislos blickenden Menschen in Gänze erklären muss, schreib ich es ins blog und drucke mir Karten mit einem darauf verlinkenden 2D-Barcode.

Die wichtigste Erkenntnis, die ich jetzt wirklich verinnerlicht habe: Ich bin nicht massenkompatibel. Da ich meine Jugend als Klassenclown verbracht habe, in der Hoffnung jedem zu gefallen, trifft mich diese Erkenntnis ein wenig, aber besser spät als nie.

Ich war vor über 20 Jahren mal auf einem Geburtstag, auf dem ich mich mit wirklich jedem gerne unterhalten habe. Schon damals habe ich mich gefragt, wie so eine Geburtstagsfeier bei mir aussähe, wenn ich – aus welchen Gründen auch immer – mal für eine Viertelstunde verschwinden würde. Amüsieren sich alle prächtig, oder schweigen sie sich an? Würden sich meine Freunde auch ohne mich treffen, oder bekomme ich nach der Feier Bemerkungen wie „der ist aber schon seltsam“?

Ich tendiere zur 2. Alternative und mittlerweile glaube ich auch zu wissen warum. Das Geburtstagskind auf der erwähnten Feier hat sich nicht verstellt. Sie war immer sie. Und entweder man mochte sie, oder eben halt nicht. Sie hatte ein Umfeld, das sie mochte wie sie war. Bei mir habe ich relativ häufig das Gefühl, dass die Leute eher die Rolle mögen, die ich in der jeweiligen Situation spiele, weil ich halt irgendwie immer noch der vergeblichen Auffassung bin beziehungsweise war, irgendwie jedem gefallen zu müssen. Also nicht wirklich jedem, aber vielen.

Ich war auf Produktpräsentationsveranstaltungen zu Kochgeräten, auf denen ich mich zu Tode gelangweilt habe, ich war auf Weihnachtsmärkten, auf denen ich die bedauernswerten Ehefrauen von Kollegen zu Tode gelangweilt habe, weil die ursprünglichen Menschen, mit denen ich da war, weg waren. Ich war bei Abteilungsfeiern, bei denen ich mir nichts sehnlicher gewünscht habe, als dass der Satz „Scotty, beam mich hoch“ funktionieren würde. Ich war auf Parteitagen, bei denen sich außer mir irgendwie fast alle wahnsinnig intensiv zu unterhalten schienen. Vor kurzem wurde ich zur Weihnachtsfeier der örtlichen Aerobic-Gruppe eingeladen, mehrfach und mit dem Hinweis, mit mir wäre es besser. Alleine schon der Gedanke, dass irgendjemand auf die Idee kommt, ich könnte da auch nur einen Hauch Gefallen daran finden zeigt mir, dass mich die betreffende Person so gar nicht kennt. Die Frage ist, wen sie stattdessen glaubt zu kennen. Mich auf jeden Fall nicht.

Was fang ich jetzt mit der Erkenntnis an?

Ich werde versuchen, mich weniger zu langweilen, auch wenn das heißt, dass mich noch mehr Menschen seltsam oder abgehoben oder arrogant finden werden. Einladungen, bei denen ich ziemlich stark vermute, dass sie so gar nicht meiner Vorstellung von einem gelungenen Nachmittag oder Abend entsprechen, werde ich ablehnen. Ich werde nur noch in Beziehungen investieren bei denen ich glaube, dass mein Gegenüber mich mag und nicht den Clown mit der roten Nase, oder was auch immer ich ihm gegenüber bisher gespielt habe. Ich werde im Rahmen meiner Möglichkeiten weiter hilfsbereit und nett sein, aber wenn mich jemand nicht mag so wie ich bin, dann ist das halt so. Es entgeht glaube ich keinem von uns irgendwas, wenn das so ist. Um mit einem bekannten schwedischen Zahnmediziner zu sprechen „it’s my life take it or leave it“.

Vermutlich wäre ich in einer Großstadt besser aufgehoben, mein dörfliches Umfeld ist so weit von meiner Lebenswirklichkeit weg, wie ich von seiner. Aber da könnte ich mir vermutlich nur eine kleine Wohnung leisten, in der ich nicht so laut Musik hören könnte, außerdem ist es mir zu voll. Ich bin übrigens nicht der Meinung, irgendwie besser zu sein, als die anderen. Es ist halt einfach nicht meine Welt, aber das ist die Welt der Hochfinanz auch nicht.

Es gibt eine Handvoll Menschen die mich wirklich kennen und von denen ich im Schiller’schen Sinne behaupten kann „eines Freundes Freund zu seyn“. Menschen, mit denen ich ohne Schere im Kopf sprechen kann, weil ich mir keine Gedanken machen muss, wie irgendwas klingt oder wie irgendwas ankommt. Menschen, die nachts um zwei klingeln können und wissen, die Tür geht auf. Und nach dem ersten verständnislosen Blick dürfen sie auch rein.

Und das ist die zweite Erkenntnis: ich sollte meine Freundschaften besser pflegen. Ich bin in der Beziehung ein ziemlich unsensibler Stoffel. Ich könnte das natürlich darauf schieben, dass sie alle ziemlich weit weg wohnen, aber anderen gelingt das mit mir schliesslich auch.

Was bleibt noch?

Am Anfang waren diese Blogbeiträge nur ein weiterer Hirnfurz meinerseits, aber mittlerweile bin ich froh damit angefangen zu haben. Im Gegensatz zur Politik, wo ja immer auch ein wenig Sendungsbewusstsein mitschwang, reicht es mir hier, dass es einfach da steht.

Muss keinen interessieren.

Schön wenn doch, aber wenn nicht, dann nicht.