III. Akt, 2. Szene

Wenn ich meinem Umfeld erzähle, was ich eigentlich so arbeite, bleibt meistens hängen „macht was mit Computern“ und „hat Jura studiert“. Demzufolge werde ich des Öfteren bei PC-Problemen angesprochen und bekomme Fragen der Art „dürfen die das überhaupt, das ist doch bestimmt verboten“.

Grundsätzlich bin ich bei Leuten die ich mag aufgrund meines unbehandelten Helfersyndroms immer bereit, mir mal was anzuschauen und meine unmaßgebliche Meinung kundzutun oder die Capslock-Taste zu drücken, damit man wieder Kleinbuchstaben schreiben kann. Manchmal nervt es aber auch, vor allem wenn man zum fünften Mal irgendwas erklärt und man am leeren Gesichtsausdruck des Gegenübers sieht, dass der Erklärungsversuch wieder vergeblich war. Kann natürlich auch an meiner Art zu Erklären liegen, aber warum fragt man mich dann trotzdem?

Aufgrund meiner Konfliktscheue habe ich mir vor längerem überlegt, dass ich einfach einen Beruf angebe, mit dem niemand was anfangen kann. Einige Leute, die mich nur ein- bis zweimal gesehen haben, glauben daran, dass ich Fliesendesigner bin. Ein absolut irrelevanter Beruf, weil ich sie nur designen kann, verlegen tun andere. In einer Subsistenzwirtschaft würde ich verhungern. Ein guter Beruf also, der einen davor bewahrt nachts um halb eins angerufen zu werden um die Bachelorarbeit zu retten. Was ich übrigens gerne gemacht habe.

Aber da, wer aufhört besser werden zu wollen, aufhört gut zu sein, muss ein anderer Beruf her. Irgendwas, was nicht nur komplett unnötig ist, sondern etwas, von dem eigentlich niemand will, dass der Bekanntenkreis erfährt, dass man so eine Dienstleistung in Anspruch genommen hat.

Nein, Callboy fällt aus, das glaubt mir keiner. Nicht einmal ich bin so vermessen zu glauben, Frauen würden für Sex mit mir bezahlen. Dieses Thema ist ausdiskutiert aber eine völlig andere Geschichte. Irgendjemand meinte zwar mal, es gäbe für alles einen Markt, aber dieser Markt wäre wohl mit Monopson nur unzureichend beschrieben. Also muss etwas anderes her.

Es sollte ein Beruf sein, denn ich in einem 10-minütigen Smalltalk-Gespräch glaubhaft darstellen kann, weil immer noch die bisher nicht widerlegte These im Raum steht, ich könnte das bei jedem Thema.

Im Gegensatz zum Ingenieur ist Paartherapeut keine gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung. Das kann prinzipiell jeder machen, der sich berufen fühlt oder wie in meinem Fall einen nicht nachgefragten Ausweichjob sucht.

Gerade bei Männern kommt vermutlich schnell ein entnervtes Augenrollen, weil es plötzlich nicht mehr reicht, nicht nur mit der eigenen Frau nicht über seine Gefühle sprechen zu wollen, sondern irgendein Weichei sie auch noch in dem irrigen Glauben darin unterstützt, dadurch würde irgendwas besser.

Und damit kommen wir dann auch zum eigentlichen Thema des heutigen Beitrags: Männer, Gefühle, Übersprungshandlungen, Cargo-Kult und midlife-crisis.

80% der Jungs in meiner Jugend die eine Freundin hatten, hätten sich eher eine Neue gesucht, als über ihre Gefühle zu sprechen, also Gefühle die über ein „ich hab Hunger“, „ich hab Durst“, „ich hab Bock auf Sex“ hinausgehen. Vermutlich hatten sie auch weitergehende Gefühle, aber irgendwas hat sie daran gehindert, sie zu artikulieren. Und das hat sich in ihrem weiteren Leben auch nicht geändert.

Und irgendwann in ihren 40ern wachen sie morgens auf und stellen fest, dass irgendwas anders geworden ist. Sei es, dass einem beim Blick in den Spiegel auffällt, dass das, worauf man einen großen Teil seines Selbsts gebaut hat, anfängt zu bröckeln, sei es, dass die Fremdbestätigungen seltener werden, die Gewissheit, dass andere sehen, dass man es noch draufhat. Was auch immer das im konkreten Einzelfall bedeutet.

Man könnte jetzt versuchen, sich mit diesen Änderungen auseinanderzusetzen aber dafür bräuchte man erstens jemand mit dem man das diskutieren kann und das ist ganz sicher nicht der Stammtisch bei dem fast jede Diskussion in virtuellem Weitpissen endet und man müsste zweitens fähig sein, seine Gefühle in Worte zu packen. Etwas das man in seinem bisherigen Leben zuerst ignoriert, dann abgelehnt und dann wieder jahrelang ignoriert hat. Das aufzubrechen gelingt nicht allen, weil man dafür vermeintlich zuerst einen weiteren Teil dessen aufgeben müsste, über den man sich definiert hat: seine Stärke. Was zumindest die mit der klugen Partnerwahl dabei übersehen ist, dass die Partnerin das eh schon weiß.

Man versucht stattdessen, die früheren äußeren Umstände wiederherzustellen weil man annimmt, dass dadurch auch der innere Zustand wieder wird wie damals. Man kauft ein schnelles Auto, geht in Discotheken, verlässt Frau und Familie und gründet mit einer 20-Jährigen eine Aussteigerkommune auf Goa. Unter Auslassung der zweiten Phase springt man gleich in die dritte Phase der Trauer. Das hilft zwar nicht auf Dauer, aber so kann man dann wenigstens die letzte Phase von ganz unten anfangen, wenn man nach 2 Jahren völlig abgebrannt und mit vielen interessanten Geschlechtskrankheiten nach Deutschland zurückkehrt.

Ich persönlich finde die andere Art damit umzugehen angenehmer, weil man erstens das Risiko minimiert, von indischen Strandräubern erschlagen zu werden oder an einer unbehandelten Syphilis zu verrecken und man zweitens eine langfristigere Lösung bekommt. Ich weiß, dass man an Syphilis normalerweise nicht so schnell stirbt, aber je nach Qualität des lokalen Gesundheitssystems kann man sich wohl recht schnell spannende Sekundärinfektionen zuziehen. Also spannend hauptsächlich für den Pathologen bei der Obduktion, nicht so sehr für einen selbst.

So, das sollte für 10 Minuten Smalltalk ausreichen. Ich kann es ja hier und da noch ausschmücken. Ab heute bin ich kein Fliesendesigner mehr.

Das Schöne an meinem Weltbild ist, dass es von innen gesehen ganz konsistent und vollständig ist, während die Leute, die das von außen betrachten öfter mal anmerken, ich solle die Tabletten absetzen, wenn ich welche nehme beziehungsweise wenn ich keine nehme, solle ich ganz dringend damit anfangen.

So müssen sich die Leute mit den Aluhüten fühlen. Nein, ich trage keinen. Mir fehlt dafür als notwendige aber nicht hinreichende Bedingung die Paranoia.

– Vorhang –

III. Akt, 1. Szene

Man hat mir gesagt, ich würde mich in manchen Blogbeiträgen umsonst schlecht machen. Das mag sein, aber ich finde ich komme im Gegensatz zu manch anderem noch relativ gut weg und ausserdem zeigt es, dass ich auch mich nicht schone, wenn die Chance besteht, dadurch einen billigen Witz anbringen zu können.

Aber um auch mal was positives über mich zu schreiben: Frauen haben mir ein Denkmal gesetzt. Also augenscheinlich nicht alle Frauen und auch nicht komplett, aber immerhin einige Frauen und das für sie in Bezug auf meine Person wichtigste Körperteil. Nein, nicht das vermeintlich Offensichtliche, wobei, wenn ich es recht bedenke lesen hier ja nur Menschen mit die mich kennen, natürlich das Offensichtliche: Meine Schulter in Gips.

Als ich nach dem Abitur in die große weite Welt zog, was in meinem Fall Bremen bedeutete, bekam ich sie überreicht, zwar nicht mit den Worten „On behalf of a grateful nation, please accept this as a symbol of our appreciation for your honorable and faithful service“, aber irgendwie kam es mir trotzdem vor wie ein Begräbnis. Zu Grabe getragen wurde allerdings meine Hoffnung, was nicht weiter schlimm war, denn damals zumindest war ich ganz bei Nietzsche, der in Bezug auf die Büchse der Pandora schon anmerkte, dass Hoffnung in Wahrheit das übelste der Übel sei, weil sie die Qual der Menschen verlängere.

Mittlerweile hat sich meine Sicht auf die Dinge geändert und ich bin dankbar für die Zeit, in der ich zwar noch mit niemand geschlafen, aber mit zwanzig Frauen teilweise sehr emotionale Gespräche geführt hatte, ganz im Gegensatz zu anderen, bei denen das umgekehrt war. Nein, eigentlich immer noch nicht komplett, aber ich glaube fest daran, dass das irgendwann mal der Fall sein wird.

Es hat auf jeden Fall meine Sicht auf Frauen geprägt. Ich konnte mich zum Beispiel mit ihnen unterhalten, ohne mir gleich vorzustellen, wie sie nackt aussehen. Das scheint damals erstaunlich wenigen gelungen zu sein und wenn ich mir meine (Ex-)Kollegen und meinen weiteren Bekanntenkreis so anschaue, dann haben heute manche noch das Problem. Wobei sie das vermutlich nicht als Problem sehen, zumindest nicht bei den gutaussehenden Frauen.

Es war natürlich nicht so, dass alle Männer in meiner Umgebung ziemlich eindimensionale Wesen und alle Frauen hochkomplexe Persönlichkeiten mit ausgeprägtem Hang zur Selbstreflexion waren, aber manchmal hatte ich schon Emma-Lazarus-Momente dergestalt dass ich glaubte, sie hätte die Zeile „Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free“ für mich geschrieben und nicht für die Freiheitsstatue.

Es war schön zu sehen, wie manche ihr Joch aus fehlendem Selbstbewußtsein und -vertrauen abstreiften und ihr Licht unter dem Scheffel hervorholten. Nicht, dass ich so vermessen wäre, das auf mich zurückzuführen, aber bei vielen chaotisch-deterministischen Systemen reicht ja manchmal schon die minimale Änderung eines Eingangsparameters, um ein völlig anderes Ergebnis zu bekommen.

Interessanterweise wurde ich von den Männern nie als Beziehungsbedrohung angesehen. Erstens waren vermutlich viele froh nicht selbst mit ihren Freundinnen quatschen zu müssen, weil die gemeinsame Zeit ja begrenzt und für sinnvollere Sachen genutzt werden konnte und zweitens ging es ihnen wie ihren Freundinnen, in einem Beziehungsschaubild wäre ich nie unter A wie Alternative aufgetaucht. Ich habe mich damals oft gefragt, wie man zwar einerseits stundenlang darüber jammern kann, dass er nie mit ihr reden würde und oft nicht da sei und ihre Bedürfnisse gar nicht sähe und andererseits völlig ausblenden konnte, dass man das zu jemandem sagte, der da war, zuhörte und mit ihr einkaufen ging. Dann hat mir jemand mal Platons Symposium zum Lesen gegeben und ich habe es verstanden. Also, ich habe nicht komplett verstanden, was Platon seinen Lesern näherbringen wollte, aber obige Frage konnte ich endlich klären.

Zur näheren Erläuterung kann ich jetzt entweder Platon und Diotima nehmen, oder Klaus Lage. Eingedenk der Tatsache, dass das hier eigentlich Bildungs-Blogging ist sollte ich vermutlich erstere nehmen, aber mein Altgriechisch ist zu eingerostet und ausserdem verliert es stark in der Übersetzung. Ich gehe jetzt stillschweigend davon aus, dass jeder, der das hier liest weiß, dass ich keinen Fetzen altgriechisch kann. Falls nicht: Ich kann keinen Fetzen altgriechisch. Ich benutze übrigens auch keine Smilies in diesen Texten, weil ich nicht die Intelligenz meiner Leser dadurch beleidigen will, dass ich ankündige, wenn etwas lustig oder ironisch sein soll. Sollte das jemals als Kabarett-Programm von mir auf die Bühne gebracht werden, werde ich wahrscheinlich schon „Applaus“ und „Lacher“-Schilder verwenden, aber jetzt braucht es das noch nicht. Gegenteilige Meinungen sind in den Kommentaren willkommen.

Zurück zu Klaus Lage, Platon und Diotima. Die drei in einem Satz unterzubringen muss man auch erst einmal hinbekommen. Momentan fehlt noch etwas Sinnhaftigkeit, aber ich komme gleich zum Punkt. Das bekannteste Lied Klaus Lages behandelt unter anderem die beim Tanzen berührte silberne Spange. Klaus Lage postuliert etwas, was die alten Griechen wohl als Transformation von philia zu eros beschrieben hätten, wenn es damals „tausendmal berührt“ schon gegeben hätte. Sie hätten es abgelehnt, weil ihrer Meinung nach der Weg genau andersherum ist. Aus körperlichem Begehren kann sich eine tiefe Freundschaft entwickeln, umgekehrt ist das selten bis nie der Fall.

Man kann sich trotzdem jahrelang kennen und dann erst ein Paar werden, aber soweit ich das mitbekommen habe, waren das nie sehr tiefgehende Freundschaften, die sich dann irgendwann einmal in hemmungslosem Sex auf dem Küchentisch entladen haben. Wenn ich meine Freundschaften zu Frauen revue passieren lasse, dann gab es da sehr viele, bei denen Sex nie ein Thema war. Also Sex war schon manchmal ein Thema, aber nie Sex zwischen uns. Zumindest von meiner Seite aus nicht. Sollte ich damals irgendwelche Zeichen übersehen oder falsch interpretiert haben, bitte ich um kurze Nachricht, dann können wir das nachholen. Und aus einem gesinnungsethischen Ansatz verbunden mit dem juristischen Grundsatz „nullum crime sine lege“ wäre das nicht mal Untreue, da ich zum damaligen Zeitpunkt ziemlich sicher weder verheiratet noch liiert war. Man kann dabei zu den Themenkreisen „zum Tatbestand gehörender Erfolg“, „sukzessive Tatbegehung“ und „fortgesetzte Tat“ durchaus geteilter Meinung sein, aber das bekomme ich dann schon verargumentiert. Man muss die Regeln kennen, um sie umgehen zu können.

 

Es ist schon spät und hier kommt der

– Vorhang –

 

 

 

II. Akt, 4. Szene

Der zweite Akt nähert sich behände dem Ende und für so ein billiges Wortspiel hätte ich früher Leute mit lebenslanger Missachtung gestraft, wobei ich als Entschuldigung anführen kann, dass ich unter akutem Schlafmangel leide, weil ich gestern zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder eine Discothek von innen gesehen habe. Nur um festzustellen, dass sich manche Dinge nie ändern, zum Beispiel dass ich nicht tanzen kann, mir das aber nichts ausmacht. Mein Tanzstil wurde mal beschrieben irgendwo zwischen „wird von einem wütenden Bienenschwarm verfolgt“ für die Hand-Oberkörper-Kopf-Bewegungen und „ist gerade in einen Ameisenhaufen getreten“ für das Zucken der Füße.

Geändert hat sich hingegen in den Augen manch anderer der Grund, warum ich in der Disco bin. Früher war irgendwie klar, dass man mich mitgeschleppt hat, weil ich als einziger über die seltene Kombination Auto, Führerschein und am Ende des Abends noch nüchtern verfügte, mittlerweile bin ich der eigentlich bemitleidenswerte Nerd, der von seiner Schwester so alle Vierteljahr aus seinem Anderthalb-Zimmer Wohnklo im siebten Stock eines Betonklotzes in der Ravensburger Weststadt geholt wird, damit er nicht völlig versauert und mal unter die Leute kommt. Ich kann damit leben, auch wenn es zweieinhalb Zimmer mit getrennter Nasszelle und der fünfte Stock sind.

Das mal aussen vorlassend zeigt sich wieder einmal, wie wichtig Kontext und Abstand sind, wobei mir jetzt partout kein Kontext einfallen will, der impliziert, dass ich sie mitgenommen hätte.

Und nun zum eigentlichen Grund dieses Beitrags, dem Unterschied zwischen Eltern und Kindern. Während zumindest meine Eltern irgendwann mal aufgegeben haben, mich Sonntag morgens am Frühstückstisch zu sehen, beharren meine Kinder seltsamerweise darauf. Sie haben im Gegensatz zu meinen Eltern auch eine völlig andere Definition des „Früh“ im Wort Frühstück. Ich weiß, dass meine Zeit kommen wird und ich habe mir auch schon unterschreiben lassen, dass ich sie immer wecken darf, Sonntags um 7:30 Uhr und dieser Gedanke hält mich jetzt auch aufrecht, aber es ist halt noch so lange hin und ich bezweifle, dass ich die gleiche Nervigkeit wie sie an den Tag legen kann, wenn ich sie dereinst, von seniler Bettflucht geplagt, kurz nach Sonnenaufgang zum ersten Mahl des Tages rufen werde.

Wahrscheinlich werden die Klugscheisser das sowieso mit einem Hinweis auf ihre damalige beschränkte Geschäftsfähigkeit kalt lächelnd in der Luft zerreissen und weiter pennen. Eigentlich bin ich mir sicher, dass zumindest einer von beiden das machen wird, ich musste mir von einer seiner Kindergärtnerin schliesslich auch anhören, dass er den Vorwurf „das hast Du mit Absicht kaputt gemacht“ mit dem Satz „Nein, ich habe es höchstens billigend in Kauf genommen“ beantwortet hat. Man soll halt beim Abendessen nicht auf eine Strafrechtsklausur lernen. Solche Dinge stehen dummerweise nirgendwo im Eltern-Handbuch, gleich neben der Frage wann ein High-Five angebracht ist und wann eine strenge Rüge.

Aber es soll ja hier um meine vergangene Jugend gehen und nicht die kommende meiner Kinder, was mich direkt zur Beantwortung der Frage bringt, ob ich denn der irrigen Meinung sei, meine Jugend sei noch nicht vorüber. Da diesbezügliche Fragen mittlerweile auch von Personen der Kategorie D gestellt werden und ich das letzte Mal  irgendwie habe anklingen lassen, ich würde Einwürfe aus dieser Richtung ernst nehmen, muss ich mich vermutlich damit beschäftigen, auch wenn ich der Meinung bin, diese Frage zumindest für mich selbst mit einem Nein beantworten zu können. Wer jetzt oben schauen muss, was denn dieses Nein bedeutet, sieht sich in einer Reihe mit mir. Ich musste auch schauen und wollte eigentlich zuerst ja schreiben, was unter Umständen eine Freud’sche Fehlleistung oder meinem Schlafmangel geschuldet ist. Normalerweise kann ich mich am Ende eines Satzes an dessen Anfang erinnern, auch wenn ich völlig planlos Nebensätze einschiebe um eine Komplexität des Textes vorzutäuschen, den dieser nicht hat.

Ich will mich nicht vor der ernsthaften Beantwortung der Frage drücken, aber früher war vieles leichter. Alte Leute, also Leute über 30, waren alt, Eltern waren vernünftig, wenn man die Zwischenphase in der Pubertät mal nicht betrachtet in der sie sich völlig idiotisch verhalten haben und man selbst hat ohne große Verantwortung in den Tag gelebt. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich irgendwo in dieses Schema passe. Das mag von aussen manchmal so aussehen, als würde ich relativ inkonsequent durch die verschiedenen Gruppen hüpfen. Von innen fühlt es sich relativ durchgängig an.

Vor lauter Müdigkeit hätte ich fast den Vorhang vergessen, aber der fällt ja von alleine.

– Vorhang –

II. Akt, 3. Szene

Gestern hat mir ein Kollege seinen Latein-Kalender mit dem Tagesmotto „abi atque abstine manum“ gezeigt und mein erster Gedanke war „scheisse, was heißt das?“.

Glücklicherweise stand es drunter und er glaubt immer noch ich könnte Latein. Es ist ein Zitat von Plautus und bedeutet „Geh und nimm Deine Hand weg“.

Hat die olle Plautze vor 2200 Jahren also die gleichen Probleme gehabt wie ich vor 20, oder wie der Lateiner sagen würde „tempus fugit, amor manet und die Probleme damit auch“.

Der Lateiner würde natürlich auch die Ergänzung des Zitats „Die Zeit vergeht, die Liebe bleibt“ auf Latein können, aber hier im Haus hat sich keiner in der Lage gesehen, das zu übersetzen. Wozu lasse ich meinen Kindern überhaupt eine humanistische Bildung zukommen?

And now for something completely different

Ich wurde ein paar Mal darauf angesprochen, dass das was hier steht schon ziemlich schräg und oft ein wenig verstörend ist und ob das denn wirklich sein müsse. Auf meine Antwort, dass ich ja keinen zwinge es zu lesen, kam ein „trotzdem“.

Damit ich es nicht so oft erklären muss, möchte ich hier kurz die Ritter-Relevanz-Skala erläutern. Dann reicht als Antwort künftig „B und wenn Du Dich weiter so anstrengst A“ mit Verweis auf diesen Beitrag.

Vorausschicken möchte ich noch, dass nicht ich mein Umfeld einteile, sondern dass das mein Umfeld selbst erledigt. So wie ein Seismograph bei einem Erdbeben nur feststellt wie stark es gewackelt hat und das Erdbeben die eigentliche Arbeit macht, ist es auch mit der Ritter-Relevanz-Skala.

A – Die Kontraindikatoren

Eine kleine überschaubare Gruppe, deren Ratschlag etwas anders zu machen ich als Bestätigung dafür nehme, es richtig gemacht zu haben. Und mehr gibt’s zu dieser Gruppe eigentlich nicht zu sagen.

B – Die Leslie-Clio-Gruppe

„I couldn’t care less, that’s all I care about“.

In dieser Gruppe finden sich zum Beispiel Menschen, die mir ungefragt mitteilen, dass sie es ungewöhnlich (ja, die können kursiv sprechen) finden, dass ich Teilzeit arbeite, um mich mehr um die Erziehung meiner Kinder zu kümmern, schliesslich hätte ich ja auch noch eine Frau. Oder dass man mit 41 nicht mehr in eine Discothek geht, weil man dafür zu alt sei und die Jugend nun mal vorbei. Ich könnte sie auch die „Sack-Reis-Gruppe“ nennen, sie haben einen ähnlichen Einfluß auf mein Leben und meine Entscheidungen.

Manchmal höre ich mir gerne an, was andere anders machen würden, wenn sie ich wären. Allein, sie sind es nicht. Aber ist ja durchaus interessant zu erfahren wie mein Leben verlaufen wäre, hätte es ein anderer zu führen versucht.

C – Father and son

„If they were right, I’d agree. But it’s them they know, not me“. Mit diesen Menschen geht’s mir wie dem Sohn in obigem Lied mit seinem Vater. Vermutlich hat er ja recht und irgendwie wäre es ja sinnvoll es anders zu machen, aber Scheiss drauf, man lernt manchmal nur aus den Fehlern, die man selbst macht.

Hinterher holt man sich ein „ich hab’s Dir ja gleich gesagt“ ab und macht weiter.

D – Friends

„But at least I got my friends, Share a raincoat in the wind, They got my back until the end“

E – Die Borg

Hier gilt das Borg-Motto „Widerstand ist zwecklos“. Vorschläge setze ich immer ohne schuldhaftes Verzögern und komplett um. In dieser Gruppe residiert und zwar qua Amt nur eine Person: Meine Ehefrau.

 

 

 

 

II. Akt, Zwischenspiel

Weil so ein bisschen Bildung ja gleich den ganzen Menschen ziert, gibt es heute etwas davon. Es wird also eher komisch seltsam als komisch lustig.
Wer sich jetzt fragt, wo denn dann der Unterschied zu den bisherigen Beiträgen ist, ist hier vermutlich falsch, dessen ungeachtet aber natürlich trotzdem willkommen.

Bin ich treu oder ist es einfach nur ein Mangel an Möglichkeiten; und ist diese Unterscheidung eigentlich relevant? Lohnt es sich überhaupt diese Frage zu stellen oder scheinen Menschen, die alles vögeln was nicht bei drei auf den Bäumen ist, nicht oft die glücklicheren Menschen zu sein?

Ethik ist nicht nur ein Schulfach für Ungläubige, sondern auch eine Geisteswissenschaft. Als Ingenieur stehe ich Geisteswissenschaften ja eher kritisch gegenüber, weil oft statt Antworten nur noch mehr Fragen rauskommen. Der Ingenieur mag einfache Antworten der Art dass eine Maschine entweder funktioniert wenn man sie einschaltet oder dass sie explodiert, wobei es gilt, letzteres zu vermeiden wenn man nicht sein Bild in der Zeitung sehen will, gleich neben der Schlagzeile „Tote Fische von Basel bis Amsterdam – er ist schuld am internationalen Rhein-Alarm“.

Trotzdem finde ich Ethik und Philosophie und ihren Bezug zu aktuellen Physikfragen spannend. Die Multiversen-Theorie ist über 2500 Jahre alt und hat durch die Viele-Welten-Interpretation Einzug in die Quantenmechanik gehalten. Keine Angst, ich komme gleich zum Punkt. Ganz grob vereinfachend gesagt postuliert die Viele-Welten-Interpretation, dass alles was passieren könnte auch passiert, weil sich das Universum immer dann verzweigt, wenn es sich entscheiden soll. Es gibt also Welten, in denen die Willst-Du-mit-mir-gehen-Zettelchen nicht mit einem hinzugefügten „wenn die Hölle zufriert“ zurückkamen, sondern mit einem Kreuzchen bei Ja.

Dumm nur, dass ich in keinem dieser Universen bin, sondern hier blogge. Andererseits habe ich nur hier ein Album, in dem die kreativsten Absagen gebündelt sind. Keine Angst, das habe ich nicht wirklich, es ist mir leider zu spät eingefallen.

Die Vorstellung, dass es vielleicht ein Universum gibt, in dem jeder meiner Kopfkinofilme Realität geworden ist, erschreckt mich einerseits, andererseits lässt sie mich extrem befriedigt zurück. Also jetzt nicht direkt mich in diesem Universum, aber sicherlich den anderen Markus in der anderen Welt. Da unsere Universen im Konfigurationsraum aber leider vollständig orthogonal aufeinander stehen, kann ich ihn – also im Prinzip mich – nicht fragen, wie es denn so war und ob es sich gelohnt hat.

Eigentlich wollte ich ja was zu Gesinnungsethik auf der einen und Verantwortungsethik auf der anderen Seite schreiben. Ob also schon der Kopfkinofilm die conditio sine qua non für Untreue ist, oder erst der Akt des Beischlafs an sich. Bin ich auf der sicheren Seite, wenn ich meine Körperteile aus anderen Frauen halte, oder muss ich mich schon für unkeusche Gedanken geiseln.

Aber irgendwie lässt mich dieses Multiversumsding nicht mehr los. Vermutlich wäre es manchmal einfacher, einen geistigen Horizont mit Radius null zu haben und den dann Standpunkt zu nennen.

Ich muss da noch mal drüber nachdenken, aber das mache ich am besten hinter dem

– Vorhang –