Wenn ich meinem Umfeld erzähle, was ich eigentlich so arbeite, bleibt meistens hängen „macht was mit Computern“ und „hat Jura studiert“. Demzufolge werde ich des Öfteren bei PC-Problemen angesprochen und bekomme Fragen der Art „dürfen die das überhaupt, das ist doch bestimmt verboten“.
Grundsätzlich bin ich bei Leuten die ich mag aufgrund meines unbehandelten Helfersyndroms immer bereit, mir mal was anzuschauen und meine unmaßgebliche Meinung kundzutun oder die Capslock-Taste zu drücken, damit man wieder Kleinbuchstaben schreiben kann. Manchmal nervt es aber auch, vor allem wenn man zum fünften Mal irgendwas erklärt und man am leeren Gesichtsausdruck des Gegenübers sieht, dass der Erklärungsversuch wieder vergeblich war. Kann natürlich auch an meiner Art zu Erklären liegen, aber warum fragt man mich dann trotzdem?
Aufgrund meiner Konfliktscheue habe ich mir vor längerem überlegt, dass ich einfach einen Beruf angebe, mit dem niemand was anfangen kann. Einige Leute, die mich nur ein- bis zweimal gesehen haben, glauben daran, dass ich Fliesendesigner bin. Ein absolut irrelevanter Beruf, weil ich sie nur designen kann, verlegen tun andere. In einer Subsistenzwirtschaft würde ich verhungern. Ein guter Beruf also, der einen davor bewahrt nachts um halb eins angerufen zu werden um die Bachelorarbeit zu retten. Was ich übrigens gerne gemacht habe.
Aber da, wer aufhört besser werden zu wollen, aufhört gut zu sein, muss ein anderer Beruf her. Irgendwas, was nicht nur komplett unnötig ist, sondern etwas, von dem eigentlich niemand will, dass der Bekanntenkreis erfährt, dass man so eine Dienstleistung in Anspruch genommen hat.
Nein, Callboy fällt aus, das glaubt mir keiner. Nicht einmal ich bin so vermessen zu glauben, Frauen würden für Sex mit mir bezahlen. Dieses Thema ist ausdiskutiert aber eine völlig andere Geschichte. Irgendjemand meinte zwar mal, es gäbe für alles einen Markt, aber dieser Markt wäre wohl mit Monopson nur unzureichend beschrieben. Also muss etwas anderes her.
Es sollte ein Beruf sein, denn ich in einem 10-minütigen Smalltalk-Gespräch glaubhaft darstellen kann, weil immer noch die bisher nicht widerlegte These im Raum steht, ich könnte das bei jedem Thema.
Im Gegensatz zum Ingenieur ist Paartherapeut keine gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung. Das kann prinzipiell jeder machen, der sich berufen fühlt oder wie in meinem Fall einen nicht nachgefragten Ausweichjob sucht.
Gerade bei Männern kommt vermutlich schnell ein entnervtes Augenrollen, weil es plötzlich nicht mehr reicht, nicht nur mit der eigenen Frau nicht über seine Gefühle sprechen zu wollen, sondern irgendein Weichei sie auch noch in dem irrigen Glauben darin unterstützt, dadurch würde irgendwas besser.
Und damit kommen wir dann auch zum eigentlichen Thema des heutigen Beitrags: Männer, Gefühle, Übersprungshandlungen, Cargo-Kult und midlife-crisis.
80% der Jungs in meiner Jugend die eine Freundin hatten, hätten sich eher eine Neue gesucht, als über ihre Gefühle zu sprechen, also Gefühle die über ein „ich hab Hunger“, „ich hab Durst“, „ich hab Bock auf Sex“ hinausgehen. Vermutlich hatten sie auch weitergehende Gefühle, aber irgendwas hat sie daran gehindert, sie zu artikulieren. Und das hat sich in ihrem weiteren Leben auch nicht geändert.
Und irgendwann in ihren 40ern wachen sie morgens auf und stellen fest, dass irgendwas anders geworden ist. Sei es, dass einem beim Blick in den Spiegel auffällt, dass das, worauf man einen großen Teil seines Selbsts gebaut hat, anfängt zu bröckeln, sei es, dass die Fremdbestätigungen seltener werden, die Gewissheit, dass andere sehen, dass man es noch draufhat. Was auch immer das im konkreten Einzelfall bedeutet.
Man könnte jetzt versuchen, sich mit diesen Änderungen auseinanderzusetzen aber dafür bräuchte man erstens jemand mit dem man das diskutieren kann und das ist ganz sicher nicht der Stammtisch bei dem fast jede Diskussion in virtuellem Weitpissen endet und man müsste zweitens fähig sein, seine Gefühle in Worte zu packen. Etwas das man in seinem bisherigen Leben zuerst ignoriert, dann abgelehnt und dann wieder jahrelang ignoriert hat. Das aufzubrechen gelingt nicht allen, weil man dafür vermeintlich zuerst einen weiteren Teil dessen aufgeben müsste, über den man sich definiert hat: seine Stärke. Was zumindest die mit der klugen Partnerwahl dabei übersehen ist, dass die Partnerin das eh schon weiß.
Man versucht stattdessen, die früheren äußeren Umstände wiederherzustellen weil man annimmt, dass dadurch auch der innere Zustand wieder wird wie damals. Man kauft ein schnelles Auto, geht in Discotheken, verlässt Frau und Familie und gründet mit einer 20-Jährigen eine Aussteigerkommune auf Goa. Unter Auslassung der zweiten Phase springt man gleich in die dritte Phase der Trauer. Das hilft zwar nicht auf Dauer, aber so kann man dann wenigstens die letzte Phase von ganz unten anfangen, wenn man nach 2 Jahren völlig abgebrannt und mit vielen interessanten Geschlechtskrankheiten nach Deutschland zurückkehrt.
Ich persönlich finde die andere Art damit umzugehen angenehmer, weil man erstens das Risiko minimiert, von indischen Strandräubern erschlagen zu werden oder an einer unbehandelten Syphilis zu verrecken und man zweitens eine langfristigere Lösung bekommt. Ich weiß, dass man an Syphilis normalerweise nicht so schnell stirbt, aber je nach Qualität des lokalen Gesundheitssystems kann man sich wohl recht schnell spannende Sekundärinfektionen zuziehen. Also spannend hauptsächlich für den Pathologen bei der Obduktion, nicht so sehr für einen selbst.
So, das sollte für 10 Minuten Smalltalk ausreichen. Ich kann es ja hier und da noch ausschmücken. Ab heute bin ich kein Fliesendesigner mehr.
Das Schöne an meinem Weltbild ist, dass es von innen gesehen ganz konsistent und vollständig ist, während die Leute, die das von außen betrachten öfter mal anmerken, ich solle die Tabletten absetzen, wenn ich welche nehme beziehungsweise wenn ich keine nehme, solle ich ganz dringend damit anfangen.
So müssen sich die Leute mit den Aluhüten fühlen. Nein, ich trage keinen. Mir fehlt dafür als notwendige aber nicht hinreichende Bedingung die Paranoia.
– Vorhang –