Das Regierungsprogramm der SPD

Die SPD hat am Wochenende ihr Wahlprogramm 2009-2013 verabschiedet, das auch schon allerorten diskutiert wird.

Ich pick mir jetzt mal ein paar Dinge raus, die meine Widerworte wecken.

Recht auf Nachholen eines Schulabschlusses für alle. Wir werden nicht hinnehmen, dass bis zu 80.000 Schülerinnen und Schüler pro Jahr die Schule ohne einen Abschluss verlassen.

Ein im Grunde sehr löblicher Einfall, allein er kommt mindestens 20 Jahre zu spät und er ist in der nicht zuständigen Ebene angesiedelt.

Bildung ist in Deutschland vorrangig Ländersache (etwas, was ich teilweise zwar bedaure, aber es ist eben so).

Wenn man sich die Schulabbrecherquote nach Bundesland anschaut, dann kann zumindest ich kein klares Bild dahingehend erkennen, dass in sozialdemokratisch geführten Bundesländern die Quote dramatisch tiefer liegt als in Ländern ohne SPD-Beteiligung. Die geringste Schulabbrecherquote (und da kommt der Lokalpatriotismus wieder zum Vorschein) hat Baden-Württemberg.

Wir wollen ein durchlässiges Bildungssystem. Deshalb wollen wir die Möglichkeit für Berufsschülerinnen und -schüler schaffen, auch eine Fachhochschulreife zu erwerben. Darüber hinaus wollen wir die Möglichkeiten zu einem integrierten Fachhochschulstudium und einer beruflichen Ausbildung vergrößern.

Auch das ist Ländersache und in verschiedenen Bundesländern gibt es das schon (z.B. in Baden-Württemberg).

Kinder und Eltern fragen nicht, welche politische Ebene für ihre Bildung zuständig ist.

Sie könnten allerdings fragen, warum das ganze immer in Kleinkriegen ausartet und keiner auch nur einen Hauch seiner Kompetenzen abgeben will.

300 Euro Lohnsteuer-Bonus. Wir bieten allen 30 Millionen Lohnsteuerpflichtigen an, künftig per Postkarte an das Finanzamt auf die jährliche Einkommensteuererklärung verzichten zu können. Damit sich das für die Steuerzahler rechnet, erhalten Ehepaare einen Lohnsteuer-Bonus in Höhe von 600 Euro pro Jahr und Singles in Höhe von 300 Euro. Der Bonus entlastet alle, die ihn nutzen wollen und vereinfacht das Steuerverfahren.

Statt das System zu vereinfachen, damit die Menschen ihre Einkommensteuererklärung verstehen, wird weiße Salbe drübergeschmiert, die all jenen nicht hilft, die während des Jahres Lohnersatzleistungen bekommen haben, die einen Gehaltssprung gemacht haben, die Aufwendungen für die Kinderbetreuung hatten …

Irgendjemand muss diese 300/600 EUR bezahlen, die werden nicht vom SPD-Bundesvorstand zur Verfügung gestellt.

Besonders attraktiv ist diese Option für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen – so wird der Lohnsteuer-Bonus zu einem Ausgleich für die Sozialversicherungsbelastungen im (nahezu steuerfreien) Niedriglohnbereich.

Wenn ich das richtig verstehe, dann bekommt man den Bonus nicht bis zur Höhe der gezahlten Einkommensteuer, sondern auch dann 300 EUR, wenn man weniger oder gar keine Einkommensteuer gezahlt hat. Das wird zu Mitnahmeeffekten führen. Der einmalige Minijob bewirkt eine Lohnsteuerpflicht (auch wenn gar keine bezahlt wird). Nein, ich glaube nicht ganz an das Gute im Menschen wenn es um Steuern geht, dafür kenne ich zuviele.

Unser Einkommenssteuerrecht zementiert mit dem Ehegattensplitting und der Steuerklasse V die alten Rollenmuster.

Oh, das mit der Abschaffung der Lohnsteuerklasse V ist eine FDP-Forderung, den gewissenlosen marktradikalen Finanzhaien. Aber vermutlich dürfen selbst Haie ab und an einen guten Einfall haben 🙂

Mit der Einführung des so genannten „Faktorverfahrens“ ist ein erster Schritt für eine gerechtere Verteilung der Steuerlast zwischen den Eheleuten erfolgt.

Da zitiere ich jetzt einfach mal Fachleute aus der Anhörung:

Christel Riedel vom Deutschen Frauenrat nannte das Faktorverfahren „viel zu kompliziert“. Sie bedauerte, dass es neben der Individualbesteuerung und dem Splittingverfahren noch eine weitere Variante geben soll. Viele Ehepaare würden durch das komplizierte Berechnungsverfahren in „tiefe Ratlosigkeit“ gestürzt.

Auch aus Sicht von Ulrike Spangenberg vom Deutschen Juristinnenbund führt das Verfahren weder zu mehr Transparenz bei den Eheleuten noch zu einer Vereinfachung des Steuerrechts. Auch wirke sich das Verfahren nur auf den monatlichen Lohnsteuerabzug aus, während beim Lohnsteuerjahresausgleich der Splittingvorteil wieder ins Gewicht falle. Anita Käding vom Bund der Steuerzahler hob auf den bürokratischen Aufwand ab und meinte, das Verfahren schüre die Hoffnung, man werde während des Jahres netto mehr ausgezahlt bekommen.

Mit dem Faktorverfahren müssen Ehepaare keinen einzigen Cent weniger Steuer bezahlen. Es ändert sich nur der Ort (weg vom Niedrigverdiener, hin zum Mehrverdiener), bzw. der Zeitpunkt (während des Jahres statt am Ende bzw. umgekehrt) der Steuerzahlung. Den einzigen – meines Erachtens wirklich guten – Vorschlag der Fachleute

[Anita Käding] riet wie Hartmut Schwab von der Bundesteuerberaterkammer dazu, sich bei Lohnersatzleistungen nicht mehr am Netto-, sondern am Bruttogehalt zu orientieren.

hat man wahrscheinlich überhört, vermutlich, weil der wirklich Geld kosten würde, statt nur ein wohliges Gefühl zu vermitteln.

Je höher das Einkommen ist, desto höher ist die Entlastung. Wir wollen daher die steuerliche Förderung stärker auf den Abzug von der Steuerschuld ausrichten, der für alle zu gleich hohen Entlastungen führt.

Das ist halt die Systematik, die dem gesamten deutschen Steuerrecht zugrundeliegt. Man wird anhand seiner finanziellen Leistungsfähigkeit besteuert. Das kann man ändern, aber ich bezweifle, dass das dann einfacher, gerechter oder transparenter würde.

Nehmen wir mal 2 Arbeitnehmer mit jeweils 30’000 EUR brutto an, die nebeneinander bei Ford an der Werkbank stehen. Der eine wohnt direkt neben dem Werkstor, der andere hat einen Arbeitsweg von 45 Kilometern. Momentan ist es so, dass der Staat davon ausgeht, dass die beiden nicht gleich leistungsfähig sind, weil der eine keine Ausgaben hat, um zum Arbeitsplatz zu kommen, der andere hingegen rund 3’500 EUR pro Jahr. Diese Ausgaben darf er von seinen Einnahmen abziehen, bevor die Steuer zuschlägt. Ich bekomme jetzt schon Angst, wenn ich mir überlege, was man daraus machen könnte.

Familie ist der Ort, wo Ehe und Partnerschaft gelebt werden, wo Ehe- und Lebenspartner vereinbaren, wie sie Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung aufteilen

Anscheinend machen sie das aber nicht so, wie sich das führende Sozialdemokraten vorstellen. Anders kann man sich die anderen Punkte von oben nicht erklären.

Parteienverdrossenheit?

Prof. Dr. Niedermayer von der FU Berlin gibt jedes Jahr eine Dokumentation über die Parteimitglieder in Deutschland heraus, die durchaus lesens- und anschauenswert ist.

2007 waren 2,01% der beitrittsberechtigten Bevölkerung Parteimitglieder, das ist verglichen mit den 3,32% im Jahr 1991 ein Rückgang um über 1/3. Im Vergleich zum Jahr 1980 hat sich der Anteil der Parteimitglieder halbiert.

Das lässt sich mit einem Blick in die Altersstruktur der beiden grossen Parteien recht gut erklären. Ohne jetzt völlig pietätlos wirken zu wollen, sterben CDU und SPD die Mitglieder weg, während von unten nichts nachrückt.

1990 lag der Anteil der Generation 60+ bei den Volksparteien noch unter 30% (CDU: 29,2%, SPD: 24,6%), im Jahr 2007 lag er nahe bei 50% (CDU: 48,0%, SPD: 46,7%). Der Anteil der U30-Generation ist im gleichen Zeitraum von ohnehin niedrigen Werten (CDU: 6,6%, SPD: 10,2%) nochmals abgesunken (CDU: 5,1%, SPD: 5,8%). Im Vergleich zu den 70er-Jahren hat sich der Anteil der U30-Mitglieder bei der CDU halbiert und ist bei der SPD gar auf 1/4 gefallen. Die sind vermutlich alle in der Partei geblieben und erhöhen jetzt so langsam den Ü60-Anteil. Der Anstieg in der SPD seit dem Jahr 2000 (von 4,4% auf 5,8%) ist vermutlich nicht einer vermehrten Attraktivität der SPD für junge Menschen zu verdanken sondern der allgemein sinkenden Anzahl an Parteimitgliedern (seit dem Jahr 2000 haben im Saldo annähernd 200’000 Menschen der SPD den Rücken gekehrt).

Einzig die beiden kleinen Parteien FDP und Grüne erfreuen sich eines Anteils der U30-Generation, der im zweistelligen Bereich liegt (FDP: 10,7%, Grüne: 13,3%).

Das ist vermutlich ein selbstverstärkender Effekt. Ortsvereine, in denen hauptsächlich alte Menschen (mit 40 Jahren Parteizugehörigkeit) sitzen, die das Sagen und mit der Lebenswirklichkeit von jungen Menschen oft nur wenig gemein haben, wirken vermutlich nicht sehr anziehend. Wenn dann noch bei der SPD dazukommt, dass sich die Parteispitze in den Zielen immer weiter von der Basis entfernt und man bei der CDU nur durch jahrelange Kärrnerarbeit in Orts-, Kreis-, Bezirks- und Landesverbänden nach oben kommt, braucht man vermutlich eine ganze Menge mehr Durchhaltevermögen, als es der jetzigen jungen Generation zu Eigen ist.

Vermutlich gibt es auch aktive Ortsverbände, die jungen Mitgliedern eine Chance zur Mitarbeit geben, die erkannt haben, dass das Schmoren im eigenen Saft zu nichts führt, aber ob das für den Grossteil gilt?

Und zum Abschluß noch eine persönliche Bemerkung:

Liebe CDU- und SPD-Führungsgremien,

es ist schön, wenn Ihr Euch jetzt der Dinge annehmt, die für jüngere Zielgruppen relevant sind (Paintball, „Killer“-Spiele, Internet). Ihr solltet nur noch ein wenig daran arbeiten, wie Eure Entscheidungen diesbezüglich ausfallen.

Abgeordneter der Woche: Jörn Thießen

Sehr geehrter Herr Thießen,

Ich weiß gar nicht so recht, wo ich anfangen soll, deshalb versuche ich es mal ganz vorne mit dem Grundgesetz.

Artikel 21 I Satz 1 GG

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

dieser Satz bedeutet nicht, daß sich die Parteien darauf beschränken sollen, den Wähler 4 Wochen vor der Wahl mit „Souverän“ anzusprechen und die restlichen 3 Jahre und 11 Monate mit „bloße Meinungsumfrage“, „Druck der Strasse dem man nicht weichen wird“, „Karlsruhe-Touristen“, „Querulanten“.

Es bedeutet, dass man Politik erklärt und nicht, dass man das Wort „alternativlos“ bereits für eine ausreichende Erklärung hält.

Es bedeutet, dass man im Wähler nicht nur 50 Cent Wahlkampfkostenerstattung und Ermöglicher der eigenen goldenen Zukunft sieht.

Bei Ihren Worten in der Bildzeitung:

Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen – das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Wer nicht zur Wahl geht, sollte 50 Euro Strafe zahlen.

fiel mir ganz spontan Bert Brecht ein:

Nach dem Aufstand des 17. Juni ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands

in der Stalinallee Flugblätter verteilen Auf denen zu lesen war, daß das Volk

das Vertrauen der Regierung verscherzt habe Und es nur durch verdoppelte Arbeit

zurückerobern könne. Wäre es da Nicht doch einfacher, die Regierung

löste das Volk auf und Wählte ein anderes?

Es kann ja sein, dass Sie die Tatsache, dass bei der Europawahl nur noch 8,8% der Wahlberechtigten in Deutschland ihr Kreuz bei der SPD gemacht haben, ein wenig erschüttert. Das kann ich durchaus nachvollziehen, Volksparteien sehen irgendwie anders aus.

Den Schluß, den sie ziehen, dass die Leute nur zu faul und zu bequem sind und eigentlich doch fast alle SPD wählen würden, wenn man sie denn ins Wahllokal schleppte, teile ich hingegen nicht.

Ich habe bisher alles gewählt, was man mir angeboten hat.

  • Ortschaftsräte (auch wenn ich deren Sinn nicht ganz verstanden habe, aber man soll Menschen, die sich für die politische Arbeit entschieden haben ja nicht vor den Kopf stossen)
  • Gemeinderäte
  • (Ober-)Bürgermeister
  • Kreistage
  • Landtage
  • Bundestage
  • Europaparlamente

Ich versuche auch Menschen zur Wahl zu animieren, in dem ich ihnen meine Sicht der Dinge darstelle. Ihre Ausführungen zu einer Wahlpflicht und dem Winken mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht sind dabei nur sehr begrenzt hilfreich.

Haben Sie sich schon mal überlegt, dass die Menschen Ihrer Politik einfach überdrüssig sind, dass sie vielleicht mehr wollen, als alle 3-5 Jahre durch Parteigremien abgenickte Listen anzukreuzen?

Annähernd 700’000 Menschen haben in den letzten 20 Jahren die beiden „Volks-„parteien verlassen oder sind weggestorben ohne das Nachwuchs in Sicht war. Das Median-Alter bei den drei Parteien CDU, CSU und SPD liegt momentan bei 58 Jahren. Über 40% aller Mitglieder sind bereits im Ruhestand. Der Median der Bundestagsabgeordneten in der SPD liegt irgendwo bei 56 Jahren, weniger als 10% aller Bundestagsabgeordneten Ihrer Partei sind am Ende der Legislaturperiode unter 40 Jahren. Das wirkt für viele nicht gerade ansprechend für jüngere Menschen.

Alter kann für Weisheit sprechen, aber auch für Rückgrat-Abschleifen im 20-jährigen Kampf durch Orts-, Kreis-, Bezirks- und Landesverbände, bis am Ende das Mandat als heiliger Gral am Horizont erscheint.

Annähernd 1/3 aller Abgeordneten sitzt seit mindestens 15 Jahren im Parlament und scheint ein wenig die Bodenhaftung verloren zu haben. Um die wieder zu bekommen reicht es nicht, wenn man sich einen Helm aufsetzt, durch ein Stahlwerk geführt wird und die eine oder andere Arbeiterhand schüttelt.

Über 96% aller Bundestagsabgeordneten des 16. Bundstages hatten einen Vorberuf im Bereich der Dienstleistung. Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass das Angebot, bestehend aus 23% Juristen, 11% Lehrern, aus 15% Verbands-, Partei- und Bewerkschaftsfunktionären nichts ist, was einen vom Hocker reißt?

Natürlich kann ich in eine Partei eintreten (ich bin schon in einer), aber mal ganz realistisch: Wie lange dauert es wohl Ihrer Meinung nach, bis man nach dem Parteieintritt in die SPD an einem Landesparteitag stimmberechtigt ist und eine Chance hat, die hauptsächlich am Proporz ausgerichteten Kungellisten der Bezirksvorsitzenden zu ändern?

Das alles zu ändern – und damit komme ich am Schluß wieder zum Anfang – würde natürlich bedeuten, dass man Artikel 21 Grundgesetz ernst nimmt. Das würde aber echte Arbeit bedeuten und so ist es vermutlich wirklich viel einfacher, dem dummen Nichtwahlvieh 50 EUR auf’s Auge zu drücken weil es es gewagt hat, nicht zur Wahl zu gehen.

Willkommen in der Wirklichkeit

Ab und an löschen die Betreiber der diversen social-community-Plattformen Profile. Studi-VZ hat im Februar zweimal das Profil der SPD-Gruppe gelöscht und jetzt hat es den wer-kennt-wen-Account eines angehenden Mainzer Lokalpolitikers getroffen, der sang- und klanglos gelöscht wurde.

Das mag man bedauerlich finden und von mir aus auch noch skandalös, aber seine Vergleiche

Um es klar auszusprechen: Solche Methoden sind aus nicht-rechtsstaatlichen Systemen
bekannt. Inwiefern glauben Sie, sich von der chinesischen Internetzensur unterscheiden zu
können?

passen irgendwie nicht. Falls ihm wer-kennt-wen nicht antwortet, darf ich vielleicht mal.

In einem Fall maßt sich der Staat an, welche Webseiten der Benutzer zu sehen bekommt, im anderen Fall löscht ein Portalbetreiber auf seinem Server ein kostenlos zur Verfügung gestelltes Profil.

Vielleicht nimmt sich der junge Mann mit dem gelöschten Profil ein Herz und lässt gerichtlich klären welcher Art Verhältnis denn zwischen ihm und dem Social-Community-Server-Betreiber besteht und welche Rechte sich daraus für ihn ergeben.