Südbahn, Stuttgart 21, NBS Wendlingen-Ulm und Herr Schmiedel

Nachdem bekannt geworden ist, dass die Elektrifizierung der Südbahn wohl Sparplänen der Bundesregierung zum Opfer fällt, war Herr Schmiedel als Befürworter von S21 und SPD-Fraktionsvorsitzender im baden-württembergischen Landtag zu einem Interview in der Landesschau1 .

Die beste Garantie für die Elektrifizierung der Südbahn ist natürlich die Realisierung von Stuttgart 21, denn dann kommt keine Diesellok mehr in den Bahnhof, dann muss man elektrifizieren.

Das sieht auf den ersten Blick auch irgendwie logisch aus, allerdings nur auf den ersten Blick.

Momentan gibt es an Werktagen 8 Direkt-Verbindungen zwischen Friedrichshafen und Stuttgart. Von den annähernd 40 Verbindungen sind also gerade mal 20% ohne Umsteigen in Ulm. Für 8 Verbindungen die Südbahn modernisieren? Das soll gar ein Zwang sein?

Meines Erachtens ergibt sich der nicht. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass ich mir die Verbindungen FN-S und die Änderungen, die sich durch Stuttgart 21 und die NBS Wendlingen-Ulm ergeben, angeschaut habe.

Ein Blick in den aktuellen Fahrplan zeigt folgendes:

Auszug aus dem aktuellen DB-Fahrplan

Der Zeitunterschied zwischen umsteigen und Direkt fahren ist minimal und beträgt zwischen dem schnellsten Direktzug und der schnellsten Umsteigeverbindung gerade mal 7 Minuten. Die Direktzüge verlieren momentan auf der Strecke Ulm-Stuttgart annähernd 10 Minuten. Durch die NBS wird sich dieser Zeitnachteil vergrössern, weil dort bis zu 250 km/h gefahren werden kann und IRE in aller Regel nur 160 km/h schaffen.

Laut Aussage der Projektbefürworter verkürzt sich die Reisezeit von Ulm nach Stuttgart von 54 auf 28 Minuten, während an  Streckenkilometern gerade mal 8 Kilometer eingespart werden.

Man kann davon ausgehen, dass ein IRE auf der NBS nur minimal schneller sein wird als heute, er auf der Strecke Ulm-Stuttgart also deutlich über eine halbe Stunde verlieren wird. Warum soll ich langsames Material überhaupt auf die schnelle Strecke lassen? Die verstopft sie doch nur.

 

So zum Schluss noch ein bisschen Polemik:

Mit der gleichen Vehemenz könnte man behaupten, die Südbahn muss elektrifiziert werden, weil der ICE „Ravensburg“ der einzige Zug der Deutschen Bahn ist, der nicht in den Bahnhof seines Namenspaten einfahren kann.

  1. http://www.swr.de/landesschau-aktuell-bw/-/id=98428/did=8580024/pv=video/nid=98428/pogwdo/index.html (keine Ahnung, wie lange das zur Verfügung steht, die ÖR müssen ja zeitnah löschen) []

Sehr geehrter Herr Schmid

mit einigem Erstaunen habe ich Ihre Pressemitteilung zum Gutachten der Grünen-Landtagsfraktion bezüglich der Mitfinanzierung des Landes bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und Stuttgart21 gelesen.

Wer sich angesichts der Verlängerung der AKW-Laufzeiten ohne Beteiligung1 des Bundesrates zum Gralshüter der Verfassung aufschwingt, sollte nicht bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, in der diese Verfassung ein anderes Vorgehen vorschreibt als man das selbst für genehm hält, alles über Bord schmeissen und mit den Wölfen heulen.

Ich weiss natürlich, dass alle politischen Parteien nur die Rosinen aus dem Grundgesetz picken und den verbleibenden Rest nach Gutdünken zerkrümeln. Auch der grünen Landtagsfraktion wäre die Beauftragung eines solchen Gutachtens inklusive Pressekonferenz nie eingefallen, wenn es gegen ein Projekt ginge, dem sie positiv gegenüber eingestellt sind.

Man sollte meines Erachtens aber trotzdem auf den Inhalt eingehen. Davon habe ich in Ihrer Pressemitteilung nichts gefunden.

Stattdessen lese ich folgende Sätze:

Gerade im Rheintal zeigt sich, dass das Land nur dann eine bessere und menschenwürdigere Planung der Schienenwege erreichen kann, wenn es sich an den Kosten der Bahn beteiligt.

[..]

Das Land kann ja wohl nicht auf diese Vorteile verzichten, nur weil die Grünen Stuttgart 21 und die Neubaustrecke verhindern wollen.

Mit ihrem letzten Satz haben sie recht. Es geht aber auch gar nicht darum, was die Grünen wollen. Es geht darum, was im Grundgesetz steht.

Art 104a I GG

Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt.

Es gibt momentan 2 Gutachten (wovon leider nur eines öffentlich verfügbar ist), die die Frage der Verfassungskonformität der Mitfinanzierung unterschiedlich beurteilen. Das altbekannte: „2 Juristen, 3 Meinungen“ trifft auch auf diese Frage zu. Wenn ich ihre Charta zur Landtagswahl 2011 ernst nehmen soll

Wir führen einen Wahlkampf frei von Phrasen, künstlichen Bildwelten, Inszenierungen und sonstigen Reklametricks. Wer auf solche Mittel zurückgreift, betrachtet die Menschen als manipulierbare Masse – und damit als Stimmvieh

dann sollten Sie daran arbeiten, das Gutachten zu widerlegen und nicht mit blossen Phrasen darauf einzudreschen.

Wenn das Grundgesetz eine Mischfinanzierung verbietet und man evidente Vorteile in einer Mitfinanzierung von Bundesaufgaben sieht, sollte man versuchen das Grundgesetz zu ändern. Um mal ein wenig Horst Köhler zu zitieren:

Dem Gesetzgeber ist es unbenommen, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für sein Vorhaben zu schaffen.

Der Artikel 104a GG steht ja erst seit 1969 im Grundgesetz. Man kann ihn auch wieder daraus entfernen.

Es gilt 2/3 des Bundestages und 2/3 des Bundesrates davon zu überzeugen, dass dieses Verbot2 im Grundgesetz überflüssig ist. Während das beim Bundestag vermutlich leichter gelingen wird, werden wohl im Bundesrat bei all den Ländern Schwierigkeiten bestehen, die die reale Befürchtung haben, von den reichen Ländern abgehängt zu werden, weil sie Bundesaufgaben nicht mitfinanzieren können, sondern auf die alleinige Finanzierung durch den Bund angewiesen sind.

  1. genauer: ohne Zustimmungspflicht. Beteiligt ist der bundesrat immer []
  2. an seiner generellen Existenz hat wohl auch der Pro-Gutachter keinen Zweifel []

Baden-Württemberg plant Bundesratsinitiative

Ich wollte nichts zu Stuttgart 21 schreiben.

Ich wollte wirklich nichts zu Stuttgart 21 schreiben, aber der CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag Peter Hauk hat es geschafft, mich umzustimmen.

Wer ihn gestern in der Sendung „Zur Sache – Baden-Württemberg extra“ gesehen hat1 kann mir vielleicht nachfühlen.

Ich kann ja verstehen, dass Herr Hauk ein bisschen frustriert ist, dass es keine Steinewerfer gab, dass die gezeigten Bilder fast immer Menschen zeigten, die man gemeinhin nicht unter der Bezeichnung „Berufschaoten“ zusammenfassen würde. Ich kann völlig nachvollziehen, dass Herrn Hauk dieses dumme Internet auf den Senkel geht, weil plötzlich die Bilder nicht mehr kontrolliert werden können2, sondern jeder ungefiltert seine Version der Wahrheit in den Äther posaunen kann.

Was vor 25 Jahren vielleicht noch akzeptiert wurde „die Polizisten haben Pfefferspray nur zur Selbstverteidigung eingesetzt“, wirkt angesichts der vielen Videos, in denen Polizisten unmotiviert und teilweise aus der zweiten Reihe auf auf dem Boden sitzende Demonstranten zielen und sie einnebeln, ein wenig bizarr.

Mag sein, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei zur Auflösung einer nicht-genehmigten Demonstration auch die Anwendung von Reizstoffen beinhaltet, das war den braven Schwaben bisher aber so nicht bewusst.

Deshalb hat sich Baden-Württemberg entschlossen, eine Bundesratsinitiative zu starten, um Artikel 8 des Grundgesetzes zu ändern. Der geänderte Artikel soll laut Innenminister Heribert ‚Bernd‘ Rech wie folgt lauten:

Artikel 8 Grundgesetz n.F.

(1) Alle gesunden3 Deutschen über 18 Jahre4 haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(3) Demonstrationen, die geeignet sind aufzufallen, aufgrund eines Gesetzes in die Uckermark verlegt werden.

Ich habe immer noch keine Meinung zu Stuttgart 21.

Ich weiss nicht, ob ich den Befürwortern glauben soll, die daraus eine halbe Wiedergeburt der schwäbischen Mobilität machen wollen, einen Quantensprung des öffentlichen Verkehrs in und für ganz Baden-Württemberg, oder den Gegnern, die Stuttgart schon halb überflutet sehen, durch Anhydrit-Quellungen zerstört, mit verseuchten Mineralquellen, während eine paar reiche Säcke Milliarden mit dem angehängten Immobilienprojekt einstecken. Ich weiss es nicht.

Worüber ich mir eine Meinung gebildet habe, ist die Vorgehensweise sowohl der Gegner als auch der Befürworter des unterirdischen Durchgangsbahnhofes5.

An die Adresse der Befürworter: Stümper6! Wenn es ein Handbuch gäbe „so ruinieren sie ihre Projekte durch undurchsichtiges Gebaren und halbherzige Informationspolitik“, dann würde Stuttgart 21 vermutlich die Hälfte des Umfangs ausmachen. Vermutlich wäre mir an Stelle der Befürworter des Projekts auch Angst und Bange, wenn ich die aktuellen Umfragen anschauen würde und mir vergegenwärtigen müsste, dass die 56-jährige Präsenz meiner Partei in der Landesregierung unter Umständen in 6 Monaten zu Ende geht. Wahrscheinlich würde ich auch versuchen, Fakten zu schaffen, die die Errichtung des Durchgangsbahnhofs alternativlos machen7. Ich würde auch versuchen, die Demonstranten zu marginalisieren und kriminalisieren, weil das in einem eher konservativ geprägten Bundesland vermutlich Stimmen bringt. Vermutlich würde ich aber nicht Menschen wie Herrn Hauk, Herrn Rech und Herrn Keilbach vor Kameras stellen, die teilweise den Eindruck erweckten, als hätten eine klammheimliche Freude an der Entwicklung. Da nimmt man jemanden, der wirklich schockiert ist über das Ausmass an Gewalt, aber doch nicht jemanden, der froh ist, dass zumindest der zweite Teil des Plans aufzugehen scheint8.

Wenn ich von den Unterstützern dann Kommentare in der Form

Die meisten Demonstranten sind sicher nicht aus der Region Stuttgart sondern kommen aus ganz Deutschland als Reisedemonstranten zur Demo, denen es nicht um das Projekt, sondern um eine politische Aussage gegen den Staat/Regierung geht. Endlich kann man sich mal wieder mit der Polizei kloppen

lesen muss, dann frage ich mich schon, welche Bilder diese Menschen gesehen haben. Zumindest ich habe gestern keinen einzigen prügelnden Demonstranten gesehen, nur verprügelte. Die Geschichte mit den steinewerfenden Demonstranten, die Herr Hauk noch um 20.40 Uhr im Fernsehen angeführt hat, wurde mittlerweile auch zurückgezogen. Was bleibt? Dass sich die Maso-Szene Deutschlands zum alljährlichen Happening dieses Mal den Stuttgarter Schlosspark ausgesucht hat, um sich kollektiv von Männern in Leder und mit Masken zünftig verprügeln zu lassen, mag ich nicht ganz glauben.

An die Adresse der Gegner: Chapeau!

Die Lufthoheit über die Bilder und ihre Interpretation habt ihr erreicht. Man diskutiert über prügelnde Pfefferspray-Polizisten und nicht über die Frage, wie denn eine gewaltfreie Räumung des Schlossparks hätte aussehen können9.

Die Bilder, die man sieht, zeigen ganz normale Menschen, die meine Oma, mein Neffe, mein Arbeitskollege sein könnten. Diese Bilder gleichen in Nichts den Bildern, die man rund um den 1. Mai aus dem Hamburger Schanzenviertel oder Berlin-Kreuzberg zu sehen bekommt. Keine Jugendlichen, die auf Randale aus sind, sondern die Frau Meier von nebenan, die Samstags immer schön Kehrwoche macht und jetzt durchnässt und mit Pfefferspray-Augen die Welt nicht mehr versteht.

Sicherlich wissen viele Menschen, die da demonstriert haben sehr wenig über das Gesamtkonzept oder die Gesamtzusammenhänge bezüglich der Finanzierung, über geologische Besonderheiten des Stuttgarter Talkessels oder eisenbahntechnische Signalanlagen. Das fällt allerdings auch auf die Befürworter von Stuttgart 21 zurück. Und ob aus den Gegnern Befürworter würden, wenn sie alles wüssten, wage ich zu bezweifeln.

So, jetzt weiss ich immer noch nicht, was ich von Stuttgart 21 halten soll, aber wenn die Landesregierung so weitermacht, reicht das schon, um dagegen zu sein10.

  1. ich würde ja verlinken, allerdings dürfen die ÖR ja nur eine Woche Sendungen online stellen. Ach was solls, eine Woche ist viel: http://swrmediathek.de/player.htm?show=ec681700-ccd1-11df-a674-0026b975f2e6 []
  2. wer den Beitrag in der Tagesschau um 20.00 Uhr gesehen hat, wird wissen, was ich meine []
  3. Herr Rech hat sich darüber aufgeregt, dass ein Rollstuhlfahrer in der ersten Reihe saß []
  4. verschiedene Politiker waren der Ansicht, man würde die Kinder instrumentalisieren []
  5. die kann ich auch bewerten, ohne für oder gegen das Projekt zu sein []
  6. ich hätte es vermutlich nicht besser gemacht, aber ich bin ja auch kein hochbezahlter Spin-Doctor []
  7. hat ja beim Bürgerbegehren 2007 schon mal geklappt, wieso sollte man das nicht wiederholen können. http://www.zeit.de/2010/39/Bahnprojekt-Stuttgart-21?page=all []
  8. nachdem das mit dem marginalisieren schon nicht geklappt hat []
  9. völlig unabhängig von der Frage, ob die Bäume wirklich jetzt schon gefällt werden mussten wird wohl auch bei den meisten Demonstranten die Meinung vorherrschen, dass der Staat sein Gewaltmonopol auch nutzen können muss, sonst ist es keines []
  10. auch wenn ich mich damit vielleicht instrumentalisieren lasse []