Wahlnachlese Europawahl

Während man allerorten über das schlechte Ergebnis der SPD diskutiert und versucht Gründe zu finden, die von schlechter Mobilisierung bishin zu Verrat der Parteispitzen an den Idealen der Sozialdemokratie reichen, wird das Abschneiden der CDU erstaunlich wenig kommentiert, der Verlust von 6,7% wird mit dem guten Abschneiden im Jahr 2004 erklärt, und gut ist.

Ist es eigentlich nicht.

Die Forschungsgruppe Wahlen hat eine interessante Zusammenfassung ihrer Daten rund um die Europawahl veröffentlicht. Zwei Diagramme, die einerseits das Alter der Wähler und zum anderen den erreichten Bildungsstand differenzieren, lassen für die ehemaligen Volksparteien nichts gutes erahnen.

Während CDU/CSU und SPD im Altersbereich 60+ zusammen 72% aller Stimmen erhalten, sind es bei den 18-29 Jährigen gerade noch 49%. Nun mag man einwenden, dass man sich im jungen Alter nicht gerade zu Parteien hingezogen fühlt, in denen annähernd jedes 2. Mitglied über 60 Jahre alt ist, aber es wird mit höherem Alter der Wählergruppe nicht unbedingt besser. Bei den U60-Wählern erreichen beide Parteien zusammen um die 50%. Da ich nicht annehme, dass sich die Wahlpräferenzen bei Erreichen des Rentenalters schlagartig ändern, könnte das in einigen Jahren spannend werden und aus der „grossen Koalition“ könnte eine werden, die es nicht mehr auf eine satte 2/3-Mehrheit im Bundestag bringt, sondern um die einfache Mehrheit ringt.

Auch im Bereich der Bildung lässt sich eine Tendenz feststellen. Bei den ehemaligen Hauptschülern erreichen CDU/CSU und SPD zusammen 72%, bei den Abiturienten sind es noch 51% und bei Menschen mit Hochschulabschluß sind es nur noch 46%.

europawahl-hochschulabsolventen

Es scheint auf den ersten Blick ein wenig widersinnig. Die, denen die SPD einen fairen Start in das Erwachsenenalter ermöglicht hat, wenden sich von den Sozialdemokraten ab, diejenigen, die aus persönlichen Gründen eigentlich am meisten an der Beibehaltung des status quo interessiert sein müssten, wenden sich von den Konservativen ab. Vermutlich frisst nicht nur die Revolution ihre Kinder.

[Update]

Da hatte ich doch glatt den link zur Forschungsgruppe Wahlen vergessen.

http://www.forschungsgruppe.de/Aktuelles/Wahlanalyse_Europa/Newsl_Euro09.pdf

[/Update]

unwählbar

ja, ich weiß dass nur knapp 30% aller Wähler am 30. September unter 40 Jahre alt sind und ja, ich weiß auch, dass diese Bevölkerungsgruppe nur unterdurchschnittlich ihr Wahlrecht wahrnimmt.

Dass die CDU durch solche Aussagen

In jedem Fall sollte aber meines Erachtens in der Debatte, welche Maßnahmen zur Gewaltprävention ergriffen werden, die von den Bundesministern von der Leyen und Schäuble vorgeschlagene Sperrung von kinderpornographischen Seiten im Internet mit Blick auf Killerspiele neu diskutiert werden.

Thomas Strobl, CDU, MdB

vermutlich auch noch die letzten der U40-Generation verliert, wird ihr deshalb vermutlich egal sein.

Mir aber nicht. Eine Partei, die mir vorschreiben möchte, was ich in meiner Freizeit mache (ohne dabei andere auch nur im geringsten zu beeinträchtigen), ist für mich unwählbar.

Ich darf mich jeden Tag mit Alkohol zuschütten, ich darf Britt, Oliver Geissen und andere Trash-Talk-Sendungen in den privaten schauen, Ultimate Fighting Kämpfe, in denen sich echte Männer in echte Bewusstlosigkeit prügeln, finden in Deutschland statt, aber einen ego-shooter auf dem Computer zu spielen, muss verboten werden.

Abgeordneter der Woche: Jörn Thießen

Sehr geehrter Herr Thießen,

Ich weiß gar nicht so recht, wo ich anfangen soll, deshalb versuche ich es mal ganz vorne mit dem Grundgesetz.

Artikel 21 I Satz 1 GG

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.

dieser Satz bedeutet nicht, daß sich die Parteien darauf beschränken sollen, den Wähler 4 Wochen vor der Wahl mit „Souverän“ anzusprechen und die restlichen 3 Jahre und 11 Monate mit „bloße Meinungsumfrage“, „Druck der Strasse dem man nicht weichen wird“, „Karlsruhe-Touristen“, „Querulanten“.

Es bedeutet, dass man Politik erklärt und nicht, dass man das Wort „alternativlos“ bereits für eine ausreichende Erklärung hält.

Es bedeutet, dass man im Wähler nicht nur 50 Cent Wahlkampfkostenerstattung und Ermöglicher der eigenen goldenen Zukunft sieht.

Bei Ihren Worten in der Bildzeitung:

Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen – das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Wer nicht zur Wahl geht, sollte 50 Euro Strafe zahlen.

fiel mir ganz spontan Bert Brecht ein:

Nach dem Aufstand des 17. Juni ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands

in der Stalinallee Flugblätter verteilen Auf denen zu lesen war, daß das Volk

das Vertrauen der Regierung verscherzt habe Und es nur durch verdoppelte Arbeit

zurückerobern könne. Wäre es da Nicht doch einfacher, die Regierung

löste das Volk auf und Wählte ein anderes?

Es kann ja sein, dass Sie die Tatsache, dass bei der Europawahl nur noch 8,8% der Wahlberechtigten in Deutschland ihr Kreuz bei der SPD gemacht haben, ein wenig erschüttert. Das kann ich durchaus nachvollziehen, Volksparteien sehen irgendwie anders aus.

Den Schluß, den sie ziehen, dass die Leute nur zu faul und zu bequem sind und eigentlich doch fast alle SPD wählen würden, wenn man sie denn ins Wahllokal schleppte, teile ich hingegen nicht.

Ich habe bisher alles gewählt, was man mir angeboten hat.

  • Ortschaftsräte (auch wenn ich deren Sinn nicht ganz verstanden habe, aber man soll Menschen, die sich für die politische Arbeit entschieden haben ja nicht vor den Kopf stossen)
  • Gemeinderäte
  • (Ober-)Bürgermeister
  • Kreistage
  • Landtage
  • Bundestage
  • Europaparlamente

Ich versuche auch Menschen zur Wahl zu animieren, in dem ich ihnen meine Sicht der Dinge darstelle. Ihre Ausführungen zu einer Wahlpflicht und dem Winken mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht sind dabei nur sehr begrenzt hilfreich.

Haben Sie sich schon mal überlegt, dass die Menschen Ihrer Politik einfach überdrüssig sind, dass sie vielleicht mehr wollen, als alle 3-5 Jahre durch Parteigremien abgenickte Listen anzukreuzen?

Annähernd 700’000 Menschen haben in den letzten 20 Jahren die beiden „Volks-„parteien verlassen oder sind weggestorben ohne das Nachwuchs in Sicht war. Das Median-Alter bei den drei Parteien CDU, CSU und SPD liegt momentan bei 58 Jahren. Über 40% aller Mitglieder sind bereits im Ruhestand. Der Median der Bundestagsabgeordneten in der SPD liegt irgendwo bei 56 Jahren, weniger als 10% aller Bundestagsabgeordneten Ihrer Partei sind am Ende der Legislaturperiode unter 40 Jahren. Das wirkt für viele nicht gerade ansprechend für jüngere Menschen.

Alter kann für Weisheit sprechen, aber auch für Rückgrat-Abschleifen im 20-jährigen Kampf durch Orts-, Kreis-, Bezirks- und Landesverbände, bis am Ende das Mandat als heiliger Gral am Horizont erscheint.

Annähernd 1/3 aller Abgeordneten sitzt seit mindestens 15 Jahren im Parlament und scheint ein wenig die Bodenhaftung verloren zu haben. Um die wieder zu bekommen reicht es nicht, wenn man sich einen Helm aufsetzt, durch ein Stahlwerk geführt wird und die eine oder andere Arbeiterhand schüttelt.

Über 96% aller Bundestagsabgeordneten des 16. Bundstages hatten einen Vorberuf im Bereich der Dienstleistung. Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass das Angebot, bestehend aus 23% Juristen, 11% Lehrern, aus 15% Verbands-, Partei- und Bewerkschaftsfunktionären nichts ist, was einen vom Hocker reißt?

Natürlich kann ich in eine Partei eintreten (ich bin schon in einer), aber mal ganz realistisch: Wie lange dauert es wohl Ihrer Meinung nach, bis man nach dem Parteieintritt in die SPD an einem Landesparteitag stimmberechtigt ist und eine Chance hat, die hauptsächlich am Proporz ausgerichteten Kungellisten der Bezirksvorsitzenden zu ändern?

Das alles zu ändern – und damit komme ich am Schluß wieder zum Anfang – würde natürlich bedeuten, dass man Artikel 21 Grundgesetz ernst nimmt. Das würde aber echte Arbeit bedeuten und so ist es vermutlich wirklich viel einfacher, dem dummen Nichtwahlvieh 50 EUR auf’s Auge zu drücken weil es es gewagt hat, nicht zur Wahl zu gehen.

persönliche Wahlnachlese

Da hier die Frage aufkam, wie ich denn abgeschnitten habe, gibt es nur für hier (auf der Kreistagswahl-Seite würde es wohl eher für Größenwahn sprechen) eine persönliche Wahlnachlese.

Kappel

in Kappel (der Ortschaft, in der ich wohne), habe ich 90 Stimmen erreicht. Selbst wenn ich mich, meine Frau und alle Nachbarn abziehe, bleiben noch ca. 70 Stimmen übrig, die ich von Menschen bekommen habe, die sich mir nicht verpflichtet fühlen müssen, weil sie weder ich selbst sind, noch mit mir verheiratet oder mich jeden Tag sehen und ab und an mit mir grillen. Das bewerte ich jetzt mal positiv, zumal ich als Badner im Grenzland eher einen schwereren Stand haben dürfte 🙂

Horgenzell

In der Gemeinde Horgenzell habe ich 153 Stimmen errungen und liege damit auf Platz 1 der Liste, 10% vor der Nummer 2, die ebenfalls aus Horgenzell kommt.

Wahlkreis Aulendorf

Im gesamten Wahlkreis bin ich auf 348 Stimmen gekommen, was für den ersten Platz gereicht hat, aber weit entfernt ist von Stimmanzahlen, die für ein Direktmandat (dafür hätte die Liste ungefähr das 4-fache Ergebnis erreichen müssen) gereicht hätten. Das Direktmandat wäre dann allerdings meins gewesen 🙂

Um über einen Ausgleichssitz in den Kreisrat zu kommen, gab’s einfach zu wenig Stimmen, da hätte ich um die 1’100 bekommen müssen.

Wahlkreis Wangen

Als Mehrfachbewerber bin ich auch noch im Wahlkreis Wangen angetreten, weil dort die Liste noch nicht voll war. Obwohl mich dort kein Mensch kennt und obwohl ich eigentlich auch nicht aus Versehen Stimmen bekommen konnte, weil ich viel zu weit unten auf der Liste stehe, hat es dort 83 Stimmen für mich gegeben.

conclusio

Alles in allem bin ich zufrieden. Ich muss einfach meine Bekanntheit steigern (wobei böse Zungen behaupten, dass ich von Leuten, die mich kennen, eher weniger denn mehr Stimmen bekäme). Bürgermeister will ich nicht werden (weil die Trauben zu sauer sind 🙂 und ansonsten fällt mir spontan eher weniger ein. Aber ich habe ja auch noch 4 Jahre, 11 Monate und 25 Tage Zeit zum Überlegen.

Wahlnachlese III: Stimmenkönige

Eigentlich wollte ich ja nicht, aber nachdem die Schwäbische Zeitung den Stimmenkönig mit absoluten Zahlen krönt, mache ich das ganze mit den relevanteren relativen Zahlen. Dass man in einem Wahlkreis mit 36’368 Wahlberechtigten (Ravensburg) mehr Stimmen bekommt als in einem Wahlkreis mit 14’812, verfälscht das Ergebnis bei absoluten Zahlen ein wenig.

Der von der Schwäbischen Zeitung zum Stimmenkönig gekürte Oberbürgermeister von Ravensburg Hermann Vogler hat zwar 19’321 Stimmen, damit aber „nur“ 10,94% der abgegebenen Stimmen im Wahlkreis erreicht. Der Oberbürgermeister von Weingarten Markus Ewald konnte 20,64% aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinen, der Bürgermeister von Bad Waldsee Roland Weinschenk erreichte 12,62%, der Oberbürgermeister von Wangen erreichte 18,02% der Bürgermeister von Argenbühl Paul Locherer kam auf 15,91%. Der Oberbürgermeister von Isny Rainer Magenreuter kam auf 16,85%, der Bürgermeister von Argenbühl Josef Köberle kam auf 13,60%. Auch die Bürgermeister von Berg und Fronreute kommen auf einen grösseren Prozentanteil an den abgegebenen Stimmen. Es reicht in dieser Rangfolge noch nicht mal für einen Platz in den Top Ten, weil sich der Oberbürgermeister von Leutkirch auch noch vor ihn schiebt.