Leistungsschutzrecht für Grundrechenarten, Senkung des Rentenversicherungsbeitrags

Liebe Spiegel-Online-Redakteure,

prinzipiell wäre es mir persönlich ja ein wenig peinlich, Artikel wie diesen zu veröffentlichen während ich lautstark polemisiere, dass die deutsche Qualitätsverlegerlandschaft dringend vor Verlinkern geschützt werden muss.

Die von der Bundesregierung geplante Senkung des Rentenbeitrags von 19,6 auf 19,0 Prozent zum 1. Januar 2013 entlastet die Arbeitnehmer kaum. Wie aus Berechnungen des Ökonomen Frank Hechtner von der Freien Universität Berlin hervorgeht, können die Steuerzahler nur mit einem monatlichen Plus von maximal 13 Euro rechnen. Der Höchstbetrag greift allerdings erst ab einem Bruttolohn von mehr als 5000 Euro pro Monat. Für einen Durchschnittsverdiener mit einem Monatseinkommen von 3300 Euro liegt die Entlastung dagegen gerade einmal bei knapp neun Euro – dem Gegenwert von drei Tassen Cappuccino.

Erstens stimmt das nicht und zweitens ist ihre Erklärung

Dass die Entlastung vergleichsweise gering ausfällt, hat mit einer komplizierten Regel im Steuerrecht zu tun:

völlig falsch.

Wenn man sich die Fakten betrachtet, was sie ja irgendwann auf ihrer Journalistenschule gelernt haben sollten, dann sieht man folgendes:

  1. Der Rentenversicherungsbeitrag sinkt von 19,6% auf 19% des Arbeitnehmerbruttos
  2. Der Rentenversicherungsbeitrag wird nur zu 50% vom Arbeitnehmerbruttolohn bezahlt
  3. Die Senkung für den Arbeitnehmer ist also die von  9,8% auf 9,5% des Bruttolohns, mithin 0,3%

Der Arbeitnehmer mit 5’000€ Bruttoeinkommen, den ihr Ökonom als Beispiel heranzieht, muss also insgesamt 5’000€ * 0,003 = 15 € weniger Rentenversicherungsbeitrag zahlen, beim Arbeitnehmer mit 3’300€ sind es 9,90 €.

Unter völliger Nichtbeachtung des Steuerrechts kommt man beim Durchschnittsverdiener auch auf die drei Tassen Cappuccino. Vielleicht mit eine bisschen mehr Trinkgeld. Es scheint also nicht am Steuerrecht zu liegen sondern daran, dass 0,3% halt ein ziemlich kleiner Anteil sind, wenn es sich nicht gerade um ein EU-Rettungspaket oder den Kaufpreis von UMTS-Lizenzen handelt.


Und jetzt zu den Steuern. Vermutlich hat ihr Redakteur die Sache mit den Vorsorgeaufwendungen, den Sonderausgaben und der Verteilung auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil nicht verstanden. Das liegt zum einen daran, dass der entsprechende Gesetzestext1 ziemlich unübersichtlich ist (ist halt Steuerrecht, da kann man schon mal durcheinander kommen) und andererseits daran, dass gleich an 2 Schrauben gedreht wird.

Es wird jetzt ein wenig komplexer, ist aber immer noch mit den 4 Grundrechenarten plus, minus, mal und durch2 machbar. Wirklich.

Interessiert? Nein? Ich mach’s trotzdem, das ist ja einer der Vorteile eines blogs, dass ich nicht sehe, wie Sie sich gelangweilt abwenden.

Im Jahr 2012 durften Arbeitnehmer maximal 74% der Versicherungsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als steuermindernde Vorsorgeaufwendungen geltend machen.

60’000 * 0,196 * 0,74 = 8’702,40 € (Einkommen mal Rentenbeitragsanteil * Minderung der Abzugsfähigkeit)

Der Arbeitgeber hat folgendes bezahlt

60’000 * 0,098 = 5’880 € (Einkommen mal Arbeitgeberanteil Rentenversicherung)

Es bleiben für den Arbeitnehmer zum abziehen übrig

8’702,40 – 5’880 = 2’822,40 € (Gesamtabzugsfähig minus dem, was der Arbeitgeber bezahlt hat)

Daraus berechnet sich der prozentuale Anteil dessen, was vom Arbeitnehmeranteil abzugsfähig ist.

2’822,40  / (60’000 * 0,098)  = 0,48 = 48% (Abzuziehender Betrag des Arbietnehmers durch Gesamtbetrag des Arbeitnehmers)

Da haben wir jetzt die 48% ihres Ökonomen.


Für 2013 mit 19% Rentenversicherungsbeitrag und der Möglichkeit, 76% als steuermindernde Vorsorgeaufwendungen geltend zu machen, sieht das Ganze so aus

60’000 * 0,19 * 0,76 = 8’664 € (Einkommen mal Rentenbeitragsanteil * Minderung der Abzugsfähigkeit)

Der Arbeitgeber hat folgendes bezahlt

60’000 * 0,095 = 5’700 € (Einkommen mal Arbeitgeberanteil Rentenversicherung)

Es bleiben für den Arbeitnehmer zum abziehen übrig

8’664 – 5’700 = 2’964 € (Gesamtabzugsfähig minus dem, was der Arbeitgeber bezahlt hat)

Daraus berechnet sich der prozentuale Anteil dessen, was vom Arbeitnehmeranteil abzugsfähig ist.

2’964  / (60’000 * 0,095)  = 0,52 = 52% (Abzuziehender Betrag des Arbietnehmers durch Gesamtbetrag des Arbeitnehmers)

Vermutlich mache ich irgendwo einen Denkfehler, denn ich kann den Satz ihres Ökonomen:

Weil aber der Rentenbeitrag sinkt, reduziert sich auch der absetzbare Betrag. Entsprechend vermindert sich der Einspareffekt für den Steuerzahler.

Das einzige, was ich mir vorstellen kann ist, dass ihr Ökonom die Senkung ganz alleine betrachtet hat und dann zum Schluss kommt, dass ich ohne Senkung 3’057,60 €3 absetzen könnte und mit Senkung nur 2’964 €. Allerdings hätte ihr Ökonom dann den Fehler gemacht, mit dem Durchschnittssteuersatz gerechent zu haben, statt mit dem Grenzsteuersatz. Aber das soll ein anderer erklären.

mit der Ihnen zustehenden Hochachtung verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen

Markus Ritter

  1. §10 Einkommensteuergesetz []
  2. Addition, Subtraktion,Multiplikation und Division. Ich wollte es bewusst einfach halten []
  3. das rechne ich jetzt nicht auch noch vor, das bekommen Sie als Hausaufgabe []

Steuersenkungen

Momentan geistern wieder Steuersenkungsdebatten durch den Raum. Herr Schäuble scheint irgendwo 10 Milliarden Steuern gefunden zu haben, die er nicht zu brauchen scheint und deshalb erst gar nicht erheben will. So einfach tauchen 10 Milliarden natürlich nicht auf, aber Frau Merkel möchte vermutlich ihre eigene Partei davon überzeugen, dass sie die FDP nicht komplett an die 0%-Grenze drücken will, um dann mit einer der anderen staatsgläubigen Parteien weiter zu regieren.

Das Problem mit dem deutschen Steuer- und Abgabensystem ist, dass es einfache Möglichkeiten zur Verringerung der Steuer- und Abgabenlast nicht gibt. Das liegt hauptsächlich an drei Dingen:

  1. Die Einkommensteuer steht nicht nur dem Bund zu, sondern auch den Ländern und Gemeinden.
  2. Man kann untere und mittlere Einkommen nicht gezielt durch eine Änderung des Tarifs entlasten
  3. Im unteren und mittleren Einkommensbereich wirken sich Sozialabgaben viel stärker aufs Nettogehalt aus als Steuern

Im Jahr 2010 wurden 158 Milliarden EUR Einkommensteuer bezahlt, die sich wie folgt verteilt haben:

Dem Bund steht nicht einmal die Hälfte des Aufkommens der Einkommensteuer zu, sondern nur 42,5%. Weitere 42,5% gehen an die Bundesländer und 15% an die Gemeinden. Für jeden EUR, den der Bund weniger einnehmen will, fehlt den Ländern auch ein EUR und den Gemeinden immerhin noch 35 Cent.

Da die Bundesländer mittlerweile auch Schuldenbremsen haben, hält sich die Begeisterung für die Idee einer Steuersenkung selbst bei schwarz-gelben Landesregierungen zurück. Von den Gemeinden ganz zu schweigen, die zwar nicht explizit gefragt werden, aber das Geld für Strassenausbesserungen, Kinderbetreuung und was sonst noch so als Gemeindeaufgabe definiert bzw. umdefiniert wurde, gebrauchen können.

Einfach den Verteilungsschlüssel so anpassen, dass der Bund 10 Milliarden EUR weniger einnimmt und den anderen beiden gleich viel bleibt, geht nicht, weil man dafür das Grundgesetz anpassen müsste.1

Man könnte sich natürlich eine Steuer raussuchen, die nur dem Bund zusteht, aber da bleibt nur der Solidaritätszuschlag, der allerdings auf Einkommensteuer, Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer erhoben wird. Ausserdem wird er erst fällig, wenn mehr als 972 EUR Einkommensteuer zu zahlen sind. ((§ 3 V 2. Fall SolzG)) Das sieht nicht nach einer gezielten Entlastung der unteren und mittleren Einkommen aus. Und überhaupt, wie soll das gehen, dass untere und mittlere Einkommen gezielt entlastet werden? Prinzipiell kommt jede Entlastung, die man im unteren Bereich der Einkommensteuer gewährt, allen zugute. Jeder, der ein höheres zu versteuerndes Einkommen als 13’139 EUR hat, zahlt für die „ersten“ 13’139 EUR 1’007 EUR Einkommensteuer2 . Wenn ich in diesem Bereich entlaste (beispielsweise durch Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums), dann entlastet man alle gleich, so dass man die Definition anpassen muss.

Man entlastet untere und mittlere Einkommen mehr, weil die Verkäuferin bei KiK3 durch die Reform prozentual viel weniger Steuern zahlt, als der Vorstand eines DAX-Unternehmens. 10 Milliarden verteilt auf 25 Millionen einkommensteuerzahlende Personen bzw. Ehepaare ergeben pro Jahr 400 EUR. Das ist ungefähr das, was je nach Krankenkasse in den nächsten Jahren als Zusatzbeitrag direkt durch den Arbeitnehmer zu bezahlen sein könnte. Wobei wir beim letzten Punkt wären. Der Verteilung der Abgabenlast auf Steuern und Sozialversicherung. Wenn man von der Lohnsumme ausgeht, also dem, was der Arbeitgeber für einen Arbeitnehmer zahlen muss, dann ergibt sich folgendes Bild:

Verteilung der Abgaben auf Steuern und Sozialversicherung über die Lohnkosten

Bei einer Lohnsumme von 24’000 EUR (das sind ca. 20’000 EUR Bruttogehalt) liegt der Steueranteil an der Abgabenlast gerade mal bei 19%.

Bei 20’000 EUR Bruttogehalt werden insgesamt 10’300 EUR Abgaben fällig (4’175 EUR SV-AN, 4’245 SV-AG4 , 1’880 EUR Einkommensteuer). Steuern sind in diesem Bereich nicht wirklich das Problem. Steigerungen der Sozialversicherungen (wie die 0,3% zum Beginn der Jahres 2011) wirken auf das komplette Gehalt, Senkungen des Steuertarifs nur auf den Bereich, der über 11’000 EUR liegt.

Bevor der erste EUR Einkommensteuer bezahlt wird, sind schon fast 4’500 EUR Sozialabgaben weg.

Abgabenlast über dem Bruttolohn

Eine Erhöhung der Arbeitslosenversicherung um 2% (vor 5 Jahren lag der Beitrag noch 3,5 Prozentpunkte höher als jetzt) frisst bei einem Bruttolohn von 20’000 schon 25% der möglichen Steuersenkung. Eine Erhebung von 15 EUR Zusatzbeitrag bei der Krankenversicherung sind nochmals 45% weg. Der Beitrag zur Pflegeversicherung soll bis 2015 stabil gehalten werden. Wenn dort eine Erhöhung kommt, bei der die Verteilung auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch offen ist, dann könnten durchaus die restlichen 30% auch noch weg sein.

Man sollte die 10 Milliarden einfach in die Tilgung stecken, wobei das ja gar keine Tilgung sondern nur eine niedrigere Nettoneuverschuldung ist.

  1. Artikel 106 III S.2 1. Fall  Grundgesetz []
  2. § 32a I Nr. 2 EStG []
  3. wenn sie denn überhaupt Steuern zahlt []
  4. wer sich wundert, dass der AG mehr zahlt als der AN, obwohl die GKV-Beiträge ja nicht mehr paritätisch verteilt sind, hat die Unfallversicherung vergessen []

Werbungskostenpauschale wird angehoben

Ich bin beeindruckt. Da kämpft die momentane Koalition fast eine Woche in aller Öffentlichkeit und mit harten Bandagen unter Androhung eines möglichen Koalitionsbruches um die Umsetzung der Erhöhung der Werbungskostenpauschale von 920 EUR auf 1000 EUR schon im Jahr 2011, statt erst im Jahr 2012.

Das hätte ich mir bei wirklich wichtigen Themen gewünscht, aber die waren ja alternativlos(TM).

Zurück zur Werbungskostenpauschale und ihrer Erhöhung.

Die Welt schreibt

Es werden jedoch nicht alle Arbeitnehmer profitieren. Der Vorteil beträgt etwa 3 Euro pro Monat oder 36 Euro im Jahr.

Ist es eigentlich zu viel verlangt, wenn man das ein wenig ausführlicher schreibt? Muss ja nicht gleich eine Steuerabhandlung sein, aber das ganze ist in 2 Sätzen so erklärt, dass es auch stimmt.

  1. Alle Arbeitnehmer, die über 1’000 EUR Werbungskosten pro Jahr haben, profitieren nicht von der Erhöhung (das sind zum Beispiel all diejenigen, die mehr als 15 Kilometer einfachen Arbeitsweg haben((laut dieser Statistik sind das annähernd 50% aller Arbeitnehmer)) ).
  2. Alle übrigen Arbeitnehmer profitieren mit ihrem persönlichen Grenzsteuersatz von der Erhöhung der Pauschale um 80 EUR. Das sind maximal 35,55 EUR pro Jahr, wenn man ein zu versteuerndes Einkommen von über 52’552 EUR hat. Da man als Angestellter seit 2010 höhere Vorsorgeaufwendungen geltend machen kann, rutscht die Grenze in Richtung 60’000 EUR Bruttogehalt. Ein zusammenveranlagtes Ehepaar mit 70’000 EUR Jahresbrutto zahlt ca. 24 EUR weniger Steuern pro Jahr, der ledigen Kik-Verkäuferin mit 15’000 EUR Jahresbrutto erspart die Erhöhung ca. 15 EUR Einkommensteuer.

Und dafür dieser Aufstand. Ich weiss, dass auch die grösste Reise mit einem ersten Schritt beginnt, aber muss man sich ausgerechnet das da zum ersten Schritt wählen?

Ach so, vor 11 Jahren lag die Pauschale übrigens bei umgerechnet 1’022 EUR. Inflationsbereinigt müsste sie momentan so bei 1’300 EUR liegen.

Zahlen, Zahlen und zahlen

Die Bundesregierung hat in Beantwortung einer kleinen Anfrage von Bündnis90/Grünen mal wieder zusammengefasst, wer in Deutschland wieviel Einkommensteuer zahlt.

Die komplette Antwort findet sich in BT 17/691.

einkommensteuerverteilung

Die Anzahl der Steuerpflichtigen wäre noch interessant. Da Ehepaare als ein Steuerfall gesehen werden, werden aus ca. 30 Millionen Steuerpflichtigen etwa 44 Millionen (erwachsene) Menschen.

Zahlen, aus denen sich jeder das rauspickt, was ihm genehm ist und den Rest unter den Teppich fallen lässt. Man könnte beispielsweise anmerken dass:

  • die oberen 5% der Steuerpflichtigen genausoviel verfügbares Einkommen haben, wie die unteren 50%.
  • Der Anteil am verfügbaren Einkommen bei den unteren 5% fast doppelt so hoch liegt wie der Anteil am Gesamtbeitrag der Einkünfte.
  • die Zahlen aus dem Jahr 2008 sind, als auch Kapitalerträge der Einkommensteuer unterlagen, was seit 2009 nicht mehr der Fall ist, so dass sich der Anteil an der Einkommensteuer in dieser Gruppe vermutlich (stark) verringern wird, weil der Grenzsteuersatz für Kapitalerträge nicht mehr bei 42% + SolZ liegt, sondern bei 25% + SolZ und Kapitalerträge nicht mehr einkommensteuerpflichtig sind.
  • Das untere Fünftel der Steuerpflichtigen (annähernd 9 Millionen Menschen) gerade mal aus dem Bereich des steuerfreien Existenzminimums gelangt.
  • Bei den oberen 5% der Steuerpflichtigen der Anteil an der Einkommensteuer fast doppelt so hoch liegt wie der Anteil am verfügbaren Einkommen.

Interessieren würde mich noch, wie diese Verteilung bei den Sozialversicherungen aussieht (Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung). Da es hier kein abgabenfreies Existenzminimum, dafür aber Beitragsbemessungsgrenzen gibt, dürften die Zahlen ein wenig anders aussehen. Sollte zufällig ein MdB hier mitlesen, den das auch interessiert und der ein bisschen freie Zeit hat, würde ich mich über eine kleine Anfrage an die Bundesregierung freuen 🙂