Bundestagswahlen in Baden-Württemberg: wen wählen?

In knapp 3 1/2 Wochen ist es soweit, ein neuer Bundestag will gewählt werden.

Durch die Nichtanpassung des Bundeswahlrechts und der besonderen Situation in Baden-Württemberg (es wird kolportiert, auch ein Besenstiel gewönne ein Direktmandat, wenn man ihn vorher nur schwarz anstreichen würde), sind Überhangmandate für die CDU sehr wahrscheinlich.

Wie es dazu kommt erklärt www.wahlrecht.de sehr gut, deshalb hier nur in Kürze (und unter bewusster Vereinfachung von Ober- und Unterverteilung):

Baden-Württemberg hat 38 Wahlkreise, von denen die CDU durchschnittlich so 34 gewinnt. Das sind die Abgeordneten, die Baden-Württemberg auf jeden Fall in den Bundestag entsenden darf. Das wählt man mit der Erststimme. Welcher Kandidat aus meinem Wahlkreis soll mich in Berlin vertreten.

Dann gibt es noch die Zweitstimme. Wenn man voraussetzt, dass die Wahlbeteiligung in Baden-Württemberg durchschnittlich ist, dürfen insgesamt 76 baden-württembergische Abgeordnete nach Berlin fahren. Die Verteilung, welche Partei wieviele Abgeordnete schicken darf, entscheidet sich über die Zweitstimme. Grob vereinfachend errechnet sich die Zahl aus dem Ergebnis der Zweitstimme multipliziert mit der Gesamtzahl der zu stellenden Abgeordneten.

Die CDU hat im Jahr 2005 ein Zweitstimmenergebnis von 39,2% eingefahren. Wenn man nur die Parteien zählt, die auch Abgeordnete in den Bundestag schicken dürfen, lag das Ergebnis bei 41,0%.

Das ergibt dann, dass sie 0,41 * 76 = 31 Abgeordnete nach Berlin schicken darf. Dummerweise hat sie aber schon 34 Wahlkreisgewinner, die die Koffer gepackt habend in ihrer Wohnung „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ skandieren. Die will und kann man nicht enttäuschen, deswegen dürfen alle fahren. Das nennt man dann Überhangmandat.

Genug der grauen Theorie, was soll ich jetzt wählen?

Keine Ahnung, das liegt vorrangig daran, welcher politischen Grundströmung Sie angehören 🙂

CDU, FDP

Die baden-württembergische CDU darf vermutlich sowieso 34 Abgeordnete in den Bundestag schicken, also ist es eigentlich unnötig, ihr auch noch die Zweitstimme zu geben (was dann zur paradoxen Situation führen könnte, dass sie bei sonst gleichen Wahlresultaten bspw. in Hessen ein Mandat verliert).

Erststimme CDU, Zweitstimme FDP

SPD, Grüne

Grundsätzlich geht es darum, so viele Wahlkreise direkt zu gewinnen wie möglich (ja, ich weiss, darum geht es immer).

Aber hier ist es ein wenig komplizierter. Mit Kerstin Andreae in Freiburg und Cem Özdemir in Stuttgart I stellen die Grünen 2 Kandidaten auf, die der SPD viele Stimmen abnehmen können, so dass es für Gernot Erler in Freiburg nicht mehr reicht (er hat als einer von 4 SPD-MdB seinen Wahlkreis direkt gewonnen) und dass es Ute Vogt nicht gelingt, ihren Wahlkreis direkt zu gewinnen (bei der letzten Wahl hatte der CDU-Kandidat bei den Erststimmen gerade mal 0,6% Vorsprung vor dem SPD-Kandidaten). Der lachende Dritte könnte in diesen Wahlkreisen die CDU sein.

Bei Erststimmen wird nicht koaliert. Wer die meisten Stimmen hat, gewinnt. Das kann bedeuten, dass Daniel Sander in Freiburg mit 34% gewinnt, weil sich die 55% Stimmen des rot-grünen Lagers relativ gleichmässig auf Frau Andreae und Herrn Erler verteilen. Für Stuttgart I gilt es entsprechend. Die Grünen sind, anders als 2005 nicht mehr Koalitionspartner der SPD, sie haben in einigen Regionen zur SPD aufgeschlossen oder sie gar überholt. Man kann nicht mehr davon ausgehen, dass ein Grünen-Wähler fast automatisch seine Erststimme an einen SPD-Kandidaten vergibt.

Erststimme ?, Zweitstimme der bevorzugten Partei, weil da ganz sicher keine Überhangmandate zustande kommen werden.

Wenn ich raten müsste, würde ich (nachdem ich mir die Freiburger Zahlen angeschaut habe) tippen, dass es Kerstin Andreae in Freiburg schafft (nach Christian Ströbele dann der zweite Direktsitz) und dass sich in Stuttgart I Stefan Kaufmann von der CDU knapp vor Ute Vogt und Cem Özdemir behaupten wird.

Alle anderen Parteien

Erststimme SPD (in Freiburg und Stuttgart I auch Grüne), Zweitstimme der jeweils gewünschten Partei. Da die Direktkandidaten der SPD (in den knappen Wahlkreisen) sowieso alle relativ sicher über die Landesliste in den Bundestag einziehen werden, ändert man die Zusammensetzung der SPD-Fraktion nicht, die SPD erhält durch die Wahl von Direktkandidaten auch keinen einzigen Sitz mehr, man kann allerdings mithelfen, dass die CDU nicht so viele Überhangmandate erhält.

Artikel 70 III Thüringer Landesverfassung

Nur für all diejenigen, die sich gefragt haben, wer denn Ministerpräsident in Thüringen werden könnte, wenn die SPD weder mit der CDU (wegen Althaus) noch mit der Linken (weil man bei denen nicht Juniorpartner sein will) koaliert.

Artikel 70 III Thüringer Landesverfassung

Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt. Erhält im ersten Wahlgang niemand diese Mehrheit, so findet ein neuer Wahlgang statt. Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält.

Und jetzt noch schnell die Sitzverteilung nach der vorgestrigen Wahl:

CDU        30
Die Linke  27
SPD        18
FDP         7
Grüne       6

Wenn man davon ausgeht, dass Herr Althaus wohl nicht alle Stimmen von CDU und FDP erhält, wenn er sich ohne Koalitionspartner zur Wahl stellt, reichen Herrn Ramelow für das Amt des Ministerpräsidenten ein Drittel der Stimmen von SPD und Grünen, um Ministerpräsident zu werden.

Wer jetzt einwendet, dass die CDU in der Not wohl geschlossen hinter Dieter Althaus stehen wird sollte erstens einen Blick nach Schleswig-Holstein und Hessen werfen (auch wenn’s da eher Abgeordnete der politischen Konkurrenz waren) und sich zweitens überlegen, ob denn wirklich alle CDU-Abgeordneten im thüringischen Landtag ein Interesse daran haben, dass Althaus weitermacht (was, wenn man diversen Berichten glauben darf durchaus zweifelhaft ist).

[Gewagte Theorie]

Zuerst wird Althaus abgeschossen, indem er nicht alle CDU-Stimmen bekommt und dadurch Ramelow zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Althaus tritt zurück, Schwarz und Rot haben sich wieder lieb und wählen über einen konstruktives Misstrauensvotum (gemäß Artikel 73 der thüringischen Verfassung) Frau Lieberknecht zur neuen Ministerpräsidentin.

[/gewagte Theorie]

Doch Herr Bartsch

Das ist völlig absurd. Seit 60 Jahren Bundesrepublik hat es keinen einzigen Fall gegeben, wo die schwächere Partei den Ministerpräsidenten gestellt hat.

Wenn ich Ihren Blick auf Reinhold Maier, den ersten Ministerpräsidenten Baden-Württembergs richten darf.

Damals hatte die SPD auch 10% mehr als die FDP/DVP und trotzdem wurde Herr Maier als FDP/DVP-Mitglied Ministerpräsident.

Davon abgesehen stimme ich in Bezug auf das eher peinliche Spektakel der SPD um einen Ministerpräsidenten der Linken mit Ihnen überein.

Dialektik für Fortgeschrittene

egal was ich heute zum Thema SPD und Linke in Thüringen gehört und gelesen habe, immer wenn sich ein SPD-Mitglied geäussert hat, war plötzlich davon die Rede, dass nicht unbedingt der stärkste Koalitionspartner den Ministerpräsidenten stellen muss, so etwas habe schliesslich „keinen Verfassungsrang“, es sei „nicht in Stein gemeisselt“.

Das mag stimmen und ich vergesse jetzt auch mal das Jahr 2005, als sich die SPD kurzfristig darauf verstiegen hatte, dass die CDU (ohne CSU) ja weniger Abgeordnete hatte als die SPD und der Kanzlersessel deshalb ‚uns Gerd‘ gebührt.

Geht es rein um das Symbol, dass kein Linker in Deutschland Ministerpräsident werden soll, oder was haben sich die SPD-Mitglieder in Thüringen von ihrem Beschluß versprochen? Wie um alles in der Welt stellt sich die SPD zukünftig denn die Arbeit im thüringischen Landtag vor?

  • Herr Matschie macht von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch und boxt munter SPD-Themen gegen die eineinhalbfach stärkere Linke durch, die mitmacht, weil sonst der Herr Matschie mit dem Herrn Althaus (oder dessen Nachfolger) eine eigene Bande aufmacht?
  • Dass die Linke sich wie ein Ochse durch den Ring ziehen lässt, weil man als SPD ja mehrere Optionen offen hat? Das hätte vielleicht bei einem Sitz mehr funktioniert, aber bei 9?
  • Dass der Wähler aus Angst vor einer grossen Koalition statt der Linken die SPD wählt?

Letzteres zumindest ist schiefgegangen.

Ich bin weit davon entfernt Sympathie für die Linke (als Partei) zu empfinden (für einzelne Mitglieder gilt das nicht, sie haben zwar eine komische politische Weltanschauung, aber das denken sie auch von mir:-) ), aber einen Sozialdemokraten nur deshalb zum Ministerpräsidenten zu wählen, weil dessen Partei sonst nicht mitspielt, wäre zuviel des Guten.

Rückenwind?

Von Herrn Steinmeier durfte ich gestern Abend erfahren, dass die Ergebnisse der 3 Landtagswahlen der SPD Rückenwind verschaffen.

Schon so bescheiden geworden, SPD?

Bei den 3 Landtagswahlen waren gestern insgesamt 6’222’824 Wahlberechtigte aufgefordert, ihren Landtag zu wählen.

Von 6,2 Millionen möglichen Stimmen hat die SPD gerade mal 513’816 bekommen. Nicht mal jeder 11. Wahlberechtigte (8,3%) hat SPD gewählt.

Selbst wenn man nicht auf die Wahlberechtigten sondern nur auf diejenigen abstellt, die auch wirklich wählen waren, sieht das Bild nicht viel besser aus.

Die 513’816 erreichten Stimmen für die SPD sehen auch im Licht der der abgegebenen 3’448’901 Stimmen nicht wie Rückenwind aus. Bei 14,9% denkt man eher an Grüne und FDP als an eine Volkspartei.

Im Vergleich dazu hat die Linke grandios abgeschnitten. 772’291 Stimmen bzw. 22,4% bei den abgegebenen und immerhin noch 12,4% aller möglichen Stimmen.

Es waren kleine Länder und es waren Länder, in denen die Linke aufgrund Oskar Lafontaines bzw. der Tatsache, dass es sich um ostdeutsche Bundesländer handelt, viel stärker ist als im Rest der Republik.

Aber wenn das so weitergeht, wird die SPD im Jahr 2013 vermutlich nur noch Junior-Partner in einer rot-rot-grünen Bundesregierung werden können, bzw. es wird eine rot-grün-rote Koalition.

Auch die CDU hat geschwächelt und klare 2-Parteien-Koalitionen sind rar geworden, aber sich darauf zu berufen, dass der politische Gegner noch mehr verloren hat (und dabei zu verschweigen, dass ervon einem ungleich höheren Niveau gestartet ist), reicht meines Erachtens nicht.