Ein paar Fragen zu Stuttgart 21 und Anmerkungen zu anderen Dingen

Weil man1 bei all diesen Schlichtungen, Pressemitteilungen, redaktionellen Zeitungsartikeln, Gutachten, Gegengutachten, Gegengegengutachten und Stellungnahmen überhaupt nicht mehr durchblickt, wäre ich froh, wenn mir ein paar Fragen beantwortet werden könnten, die sich im Laufe meiner Beschäftigung mit Stuttgart 21 ergeben haben und die vermutlich irgendwo im Dickicht des Papiers so gut versteckt sind, dass ich sie bisher nicht finden konnte.

Vorne weg: Wenn man sich Stuttgart von oben ansieht, finde ich – völlig unbeeinflusst von Fachwissen – die Idee, den Bahnhof nach unten zu legen und die freiwerdende Fläche anderweitig zu nutzen, bestechend. Aber es geht ja nur noch teilweise um den Bahnhof. Ah,die Fragen, richtig:

  • Seit wann ist S21 für das Land unumkehrbar?
  • Seit wann ist S21 für die Stadt Stuttgart unumkehrbar?
  • Seit wann ist S21 für den Bund unumkehrbar?
  • Was war zu diesem Zeitpunkt den jeweiligen Entscheidungsträgern bereits bekannt (Kosten, Nutzen, etc.)

Grundlage dieser Fragen ist der in meinen Augen bemerkenswerte Artikel „Der unheilbare Mangel“ vom 19.10.2010 in der Süddeutschen Zeitung, der versucht, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

Der Teil des Protestes, in dem es nicht um den Bahnhof geht, sondern die Art und Weise, wie das Projekt abgehandelt wird, scheint mir aber der bemerkenswertere zu sein.

Oft ist von demokratischer Legitimation die Rede, zum Beispiel hier2 oder hier3 oder hier4. Was auf den ersten Blick wie der perfekte Befreiungsschlag aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als nicht mehr ganz so perfekt, denn es macht dem Souverän5 wieder ein bisschen deutlich, was es eigentlich bedeutet, alle 2-4 Jahre sein Kreuzchen bei Bürgermeister-, Gemeinderats-, Kreistags-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen zu machen.

Man wählt nur ein Gesamtpaket. Von allen Wahlvorschlägen sucht man sich den aus, der am ehesten den eigenen politischen Grundvorstellungen entspricht. Da das bei vermutlich keiner Partei perfekt passt, muss man die eigenen Überzeugungen gewichten und dabei ein paar Kröten schlucken. Die Überzeugung, dass die Wehrpflicht ein Grundpfeiler der bundesdeutschen Geschichte ist und beibehalten werden muss, lässt sich nur ganz schlecht mit der Wahl von Grünen oder FDP in Einklang bringen, die Beibehaltung des Atomkonsenses passt nicht zu einer Wahl von CDU und FDP und so weiter und so fort. Irgendwann bleibt dann eine Partei übrig, bei der man am Wahltag ein Kreuzchen macht.

Dummerweise regieren Parteien in Deutschland oft in Koalitionen, die zudem vor dem Wahltag nicht immer ganz klar sind6. Man weiss nicht so genau, mit wem die von einem selbst gewählte Partei nach der Wahl koaliert und welche Positionen sie dabei über Bord schmeissen muss, um an die Macht zu kommen. Wer 2005 im Bund die SPD gewählt hat, weil er für eine Beibehaltung der Mehrwertsteuer von 16% war, sah sich nach der Wahl ebenso enttäuscht wie der Wähler zur Bürgerschaft 2008 in Hamburg, der sein Kreuzchen bei den Grünen wegen deren Ablehnung des Kraftwerks Moorburg machte. Das zieht sich durch alle Parteien und gilt natürlich auch für den FDP-Wähler, der sein Kreuz bei der Bundestagswahl 2009 wegen eines „einfachen, niedrigen und gerechten Steuersystems“ gemacht hatte und miterleben musste, dass die erste Aktion7eine Verkomplizierung des bereits bestehenden war. Für CDU-oder Linke-Wähler findet sich natürlich auch was.

Wenn man das dann halbwegs mit in seine Überlegungen einbezogen hat, steht das nächste Problem vor der Tür: die Zukunft.

Ein altes Sprichwort8 sagt: „Vorhersagen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“.

Viele Sachverhalte, die ein Parlament entscheiden muss, sind vor dessen Wahl noch gar nicht klar. Wer hätte bei der Bundestagswahl 1987 schon daran gedacht, dass er mit seinem Kreuzchen die Art und Weise der Wiedervereinigung bestimmt, wer hätte 1990 gedacht, dass er über die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung abstimmt oder über die Einführung einer Unionsbürgerschaft? Wer hätte bei der baden-württembergischen Landtagswahl 1992 gedacht, dass er damit über einen unterirdischen Durchgangsbahnhof in Stuttgart abstimmt?

Man kann aus der bisherigen Linie einer Partei nicht unbedingt auf ihre zukünftige schliessen. Wer hätte vorher gedacht, dass die CDU in dieser Legislaturperiode für die Aussetzung der Wehrpflicht stimmen wird, wer hätte je erwartet, dass der erste deutsche Kriegseinsatz nach Beendigung des 2. Weltkriegs unter der Ägide eines bündnisgrünen Aussenministers durchgeführt wird, wer konnte sich ausmalen, dass die Gleichsetzung im Bereich der Sozialhilfe von Arbeitnehmern mit 35 Arbeitsjahren und solchen ohne einen einzigen Tag sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit von der guten alten Tante SPD umgesetzt werden würde?

Vermutlich nur wenige und trotzdem wird erwartet, dass wir unser Kreuzchen machen und danach die von uns Gewählten vom Geist der demokratischen Legitimierung umweht werden, der ihre Entscheidungen zu unseren macht.

Doch damit nicht genug, es sollte noch viel schlimmer kommen9:

Wer trifft eigentlich die Entscheidungen, die wir aufs Parlament übertragen haben?

  • Koalitionsausschüsse, die aus 6 Personen bestehen, von denen 3 als Parteivorsitzende nur von ihrer eigenen Partei gewählt wurden, was ein wenig an ihrer demokratischen Legitimierung kratzt.
  • Expertenrunden, die von Leuten eingesetzt wurden, die von Leuten gewählt wurden, die vom Volk gewählt wurden (oder so ähnlich).
  • Mitarbeiter in Ministerien, die von ihren privaten Arbeitgebern dorthin entsand und weiter bezahlt wurden und an Gesetzesvorlagen mitschreiben durften.
  • Grosskanzleien, die von Ministerien die Aufgabe zur Ausarbeitung eines Gesetzes übertragen bekommen haben (und 100 Millionen EUR).
  • Der EU-Ministerrat, der Richtlinien beschliesst, die dann von sich „normativ unfrei“10 fühlenden Abgeordneten in deutsches Recht umgesetzt werden.

Also muss man sich eigentlich gar nicht auf die Partei als solches konzentrieren, sondern auf die Führungspersonen11, denn am Ende wird der Hinterbänkler so abstimmen wie es der Fraktionsvorsitzende in der Sitzung erklärt hat. Wobei diese Erklärungen ein bisschen an George Orwells Farm der Tiere erinnern: Eigene Vorschläge gut, andere Vorschläge schlecht (Gut bei George Orwell sind es 4 Füsse, die gut sind und 2, die schlecht sind, aber der Grundgedanke ist der gleiche).

Aber was soll so ein armer Abgeordneter auch machen. Er hat ja gar nicht die Möglichkeit alle Themen vertieft zu kennen, über die er abstimmen muss.

Vom Aufenthaltsrecht bis zum Zwischenlager für atomaren Sondermüll, von der Bankenrettung bis zur Privatisierung der Bahn reicht seine Entscheidungs-Kompetenz. Wie weit sein Wissen dazu reicht, bleibt oft im Nebel12. So ein Abgeordneter muss sich also auf Zuträger verlassen, die oft nur insoweit demokratisch legitimiert sind, als sie von einem gewählten Volksvertreter ausgesucht wurden. Er muss sich auf seine Kollegen in den anderen Ausschüssen verlassen und übernimmt selbst ein Gebiet, welches mit seiner vorherigen Tätigkeit(so er denn überhaupt eine hatte) oft nur wenig zu tun hat13.

Am Schluss bleibt dann die Erkenntnis, dass sich ein Abgeordneter schon rein zeitlich nur um vielleicht 1-5% der Dinge kümmern kann, über die er abstimmt14, bei allen anderen Sachen hat er nicht nur sein Abstimmungsverhalten an die Fraktionsvorsitzende delegiert, sondern auch den ganzen Rest. Seltsam genug, dass manchem da noch so viel Zeit für anderes bleibt, bzw. dass man sich statt einer Erhöhung dieses Prozentsatzes lieber zu hochbezahlten Vorträgen einladen lässt15.

Das alles könnte den Leuten durch den Kopf gehen, bevor sie am 27. März in die Wahlkabine aufbrechen, um ihr Kreuzchen zu machen oder es sein zu lassen, weil es ja doch nichts bringt. Die nächste Landtagswahl in Baden-Württemberg ist komplett unübersichtlich. Koalitionen, die aufgrund der aktuellen Umfragen möglich scheinen, finden sich wie Sand am Meer. Schwarz-Grün, Schwarz-Rot, Grün-Rot, Rot-Grün. Auch Schwarz-Gelb ist noch nicht komplett vom Tisch, denn gerade bei Wahlen mit niedriger Wahlbeteiligung entscheidet oft die Mobilisierungsfähigkeit der eigenen Anhängerschaft.

Was bekomme ich in den nächsten 5 Jahren, wenn ich in 150 Tagen mein Kreuz bei CDU, SPD, FDP, Grünen oder Linken mache? Also mal abgesehen von Stuttgart 21, was mich als Badner, der in Oberschwaben lebt, sowieso nur ganz am Rande berührt. Welches Schulsystem wird eine neue Landesregierung einführen (das trifft mich als Vater von 2 Kindern im Alter von 5 und 7 Jahren schon mehr), wie sieht es mit der zunehmenden Verbotsdichte aus, gibt es Bewegung bei der Erleichterung von Volksentscheiden und Bürgerbegehren, wird sich eine neue Landesregierung endlich dazu durchringen, ein Informationsfreiheitsgesetz zu erlassen, …?

Fragen über Fragen, aber dieser blog heisst ja aus einem bestimmten Grund so wie er heisst 🙂

Und zum Schluss noch etwas 162 Jahre altes aus meiner alten Heimat:

Die Last der Abgaben erdrückt das Volk; ein gedrücktes Volk aber ist nie frei. Und wenn seine Führer glauben, das Volk sei zufrieden mit den schönen Reden, wenn sie glauben, es lasse sich heute noch länger vertrösten und hinhalten, so wird es sich bald zeigen, daß sie sich irren, und daß das Volk sich von den bisherigen Führern trennt und auf eigene Faust handelt.
Wir werden unter der bisherigen Fürstenherrschaft also weder frei, noch einig, noch wohlfeil regiert sein. Darum Volk mahne deine Führer ernsthaft: Muth und Entschlossenheit zu zeigen oder handle selbst.

Fort mit den Fürsten und ihrem Anhang; wir wollen uns selbst regieren, einig, frei und wohlfeil.

Es lebe die Republik.

Die Titel der Herrschenden haben sich geändert, der Rest bleibt scheinbar gleich.

  1. also zumindest ich []
  2. http://de.news.yahoo.com/17/20101013/tbs-staedtetagspraesident-sieht-stuttgar-a704da0.html []
  3. http://www.birgit-arnold.de/fileadmin/user_upload/presse/10_10_05_WN_Stgt21.pdf []
  4. http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2652168_0_9223_-interview-mit-stefan-mappus-s-21-ist-demokratisch-legitimiert-.html []
  5. ich weiss, inoffiziell sind wir nur am Wahltag der Souverän, davor und danach nur der Druck der Strasse, dem man nicht nachgibt, oder eine blosse Meinungsumfrage, an der man nicht seine Politik ausrichtet []
  6. z.B. die Ampel im Saarland, oder die grosse Koalition im Bund 2005 []
  7. die übrigens schon jahrelang im Parteiprogramm der FDP steht, aber das nur am Rande []
  8. welches wohl sowohl Mark Twain als auch Winston Churchill, Karl Valentin und Kurt Tucholsky angedichtet wird []
  9. eine kleine Reminiszenz an Blumentopf: http://www.youtube.com/watch?v=7wxDyP4ckOQ []
  10. um mal Christian Ströbele anlässlich seines Abstimmungsverhaltens zum europäischen Haftbefehl zu zitieren []
  11. auch wenn das bei der SPD zeitweise aufgrund der Fluktuationen an der Spitze ein wenig schwierig war []
  12. wenn nicht mal wieder ein Fernseh-Team nach einer Abstimmung die Abgeordneten dazu interviewt, über was sie eigentlich gerade abgestimmt haben. Fremdschämen auf hohem Niveau []
  13. was einen als Erzieher und Kinderpfleger dazu qualifiziert, im deutschen Bundestag im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu sitzen, weiss vermutlich auf Anhieb ebensowenig jemand wie die Antwort auf die Frage, was einen Sport- und Englischlehrer dazu befähigt, Mitglied im Wirtschafts- und Technologieausschuss des Bundestages zu sein []
  14. in dieser Bundestags-Legislaturperiode, die gerade etwas älter als ein Jahr ist, sind wir gerade bei der Drucksachennummer 3414 (in Worten Dreitausendvierhundertvierzehn), darunter so Wortmonster wie das Jahressteuergesetz 2010 mit 104 Seiten BT 17/2249, in dem unter anderem so illustre Dinge geregelt werden wie die Steuerbarkeit von Transferentschädigungen für den Wechsel eines Sportlers von einem nicht im Inland ansässigen Verein zu einem im Inland ansässigen Verein []
  15. also wirklich seltsam ist es natürlich nicht. Ganz altruistische Menschen erlangen vermutlich kein Mandat und bei allen anderen ist es irgendwie nachvollziehbar. []

Landtagswahlen in Baden-Württemberg: Wahlprognose

Es gibt eine neue Wahlprognose für die Landtagswahl in Baden-Württemberg. Einerseits kann ich die Werte nicht ganz glauben, andererseits sind sie in der Woche nach Der Räumung des Schlossgartens erhoben worden, da kocht dem ein oder anderen vermutlich noch ein wenig das Blut.

Durchgeführt wurde die Umfrage für das Ulmer Citymarketing und zwar von ABS-Marktforschung, im Zeitraum vom 5. bis 7. Oktober.

wahlprognose-baden-württemberg-landtagswahl

Irgendwie warte ich darauf, dass das spätestens Montag dementiert wird. Aber bis dahin bleibt es stehen 🙂

Heinrich VIII. und Angela Merkel

Für die 6 Frauen Heinrichs des VIII. von England gibt es den Merkspruch:

Divorced, Beheaded, Died, Divorced, Beheaded, Survived.

Für die CDU-Ministerpräsidenten, die seit der Bundestagswahl 2009 nicht mehr im Amt sind, kann man eine ähnliche Reihe aufstellen (in Klammern steht der letzte Tag im Amt bzw. der Tag der Ankündigung des Rückzuges).

  • Günther Oettinger (10. Februar 2010)
  • Roland Koch (25. Mai 2010)
  • Jürgen Rüttgers (09. Juni 2010)
  • Christian Wulff (30. Juni 2010)
  • Ole von Beust (18. Juli 2010)

weggelobt, aufgehört, abgewählt, weggelobt, aufgehört

Die Frage, die sich der CDU-Ministerpräsident, der am 27. März 2011 seine Wiederwahl in Baden-Württemberg anstrebt, vermutlich gerade stellt1 ist die, ob er ein ähnlich gutes Ende findet wie Catherine Parr2, oder ob er die Reihe fortsetzt.

  1. vermutlich stellt er sich die Frage nicht, aber ich tue mal so als ob doch []
  2. obwohl die es auch nur knapp geschafft hat []

Baden-Württemberg plant Bundesratsinitiative

Ich wollte nichts zu Stuttgart 21 schreiben.

Ich wollte wirklich nichts zu Stuttgart 21 schreiben, aber der CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag Peter Hauk hat es geschafft, mich umzustimmen.

Wer ihn gestern in der Sendung „Zur Sache – Baden-Württemberg extra“ gesehen hat1 kann mir vielleicht nachfühlen.

Ich kann ja verstehen, dass Herr Hauk ein bisschen frustriert ist, dass es keine Steinewerfer gab, dass die gezeigten Bilder fast immer Menschen zeigten, die man gemeinhin nicht unter der Bezeichnung „Berufschaoten“ zusammenfassen würde. Ich kann völlig nachvollziehen, dass Herrn Hauk dieses dumme Internet auf den Senkel geht, weil plötzlich die Bilder nicht mehr kontrolliert werden können2, sondern jeder ungefiltert seine Version der Wahrheit in den Äther posaunen kann.

Was vor 25 Jahren vielleicht noch akzeptiert wurde „die Polizisten haben Pfefferspray nur zur Selbstverteidigung eingesetzt“, wirkt angesichts der vielen Videos, in denen Polizisten unmotiviert und teilweise aus der zweiten Reihe auf auf dem Boden sitzende Demonstranten zielen und sie einnebeln, ein wenig bizarr.

Mag sein, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei zur Auflösung einer nicht-genehmigten Demonstration auch die Anwendung von Reizstoffen beinhaltet, das war den braven Schwaben bisher aber so nicht bewusst.

Deshalb hat sich Baden-Württemberg entschlossen, eine Bundesratsinitiative zu starten, um Artikel 8 des Grundgesetzes zu ändern. Der geänderte Artikel soll laut Innenminister Heribert ‚Bernd‘ Rech wie folgt lauten:

Artikel 8 Grundgesetz n.F.

(1) Alle gesunden3 Deutschen über 18 Jahre4 haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(3) Demonstrationen, die geeignet sind aufzufallen, aufgrund eines Gesetzes in die Uckermark verlegt werden.

Ich habe immer noch keine Meinung zu Stuttgart 21.

Ich weiss nicht, ob ich den Befürwortern glauben soll, die daraus eine halbe Wiedergeburt der schwäbischen Mobilität machen wollen, einen Quantensprung des öffentlichen Verkehrs in und für ganz Baden-Württemberg, oder den Gegnern, die Stuttgart schon halb überflutet sehen, durch Anhydrit-Quellungen zerstört, mit verseuchten Mineralquellen, während eine paar reiche Säcke Milliarden mit dem angehängten Immobilienprojekt einstecken. Ich weiss es nicht.

Worüber ich mir eine Meinung gebildet habe, ist die Vorgehensweise sowohl der Gegner als auch der Befürworter des unterirdischen Durchgangsbahnhofes5.

An die Adresse der Befürworter: Stümper6! Wenn es ein Handbuch gäbe „so ruinieren sie ihre Projekte durch undurchsichtiges Gebaren und halbherzige Informationspolitik“, dann würde Stuttgart 21 vermutlich die Hälfte des Umfangs ausmachen. Vermutlich wäre mir an Stelle der Befürworter des Projekts auch Angst und Bange, wenn ich die aktuellen Umfragen anschauen würde und mir vergegenwärtigen müsste, dass die 56-jährige Präsenz meiner Partei in der Landesregierung unter Umständen in 6 Monaten zu Ende geht. Wahrscheinlich würde ich auch versuchen, Fakten zu schaffen, die die Errichtung des Durchgangsbahnhofs alternativlos machen7. Ich würde auch versuchen, die Demonstranten zu marginalisieren und kriminalisieren, weil das in einem eher konservativ geprägten Bundesland vermutlich Stimmen bringt. Vermutlich würde ich aber nicht Menschen wie Herrn Hauk, Herrn Rech und Herrn Keilbach vor Kameras stellen, die teilweise den Eindruck erweckten, als hätten eine klammheimliche Freude an der Entwicklung. Da nimmt man jemanden, der wirklich schockiert ist über das Ausmass an Gewalt, aber doch nicht jemanden, der froh ist, dass zumindest der zweite Teil des Plans aufzugehen scheint8.

Wenn ich von den Unterstützern dann Kommentare in der Form

Die meisten Demonstranten sind sicher nicht aus der Region Stuttgart sondern kommen aus ganz Deutschland als Reisedemonstranten zur Demo, denen es nicht um das Projekt, sondern um eine politische Aussage gegen den Staat/Regierung geht. Endlich kann man sich mal wieder mit der Polizei kloppen

lesen muss, dann frage ich mich schon, welche Bilder diese Menschen gesehen haben. Zumindest ich habe gestern keinen einzigen prügelnden Demonstranten gesehen, nur verprügelte. Die Geschichte mit den steinewerfenden Demonstranten, die Herr Hauk noch um 20.40 Uhr im Fernsehen angeführt hat, wurde mittlerweile auch zurückgezogen. Was bleibt? Dass sich die Maso-Szene Deutschlands zum alljährlichen Happening dieses Mal den Stuttgarter Schlosspark ausgesucht hat, um sich kollektiv von Männern in Leder und mit Masken zünftig verprügeln zu lassen, mag ich nicht ganz glauben.

An die Adresse der Gegner: Chapeau!

Die Lufthoheit über die Bilder und ihre Interpretation habt ihr erreicht. Man diskutiert über prügelnde Pfefferspray-Polizisten und nicht über die Frage, wie denn eine gewaltfreie Räumung des Schlossparks hätte aussehen können9.

Die Bilder, die man sieht, zeigen ganz normale Menschen, die meine Oma, mein Neffe, mein Arbeitskollege sein könnten. Diese Bilder gleichen in Nichts den Bildern, die man rund um den 1. Mai aus dem Hamburger Schanzenviertel oder Berlin-Kreuzberg zu sehen bekommt. Keine Jugendlichen, die auf Randale aus sind, sondern die Frau Meier von nebenan, die Samstags immer schön Kehrwoche macht und jetzt durchnässt und mit Pfefferspray-Augen die Welt nicht mehr versteht.

Sicherlich wissen viele Menschen, die da demonstriert haben sehr wenig über das Gesamtkonzept oder die Gesamtzusammenhänge bezüglich der Finanzierung, über geologische Besonderheiten des Stuttgarter Talkessels oder eisenbahntechnische Signalanlagen. Das fällt allerdings auch auf die Befürworter von Stuttgart 21 zurück. Und ob aus den Gegnern Befürworter würden, wenn sie alles wüssten, wage ich zu bezweifeln.

So, jetzt weiss ich immer noch nicht, was ich von Stuttgart 21 halten soll, aber wenn die Landesregierung so weitermacht, reicht das schon, um dagegen zu sein10.

  1. ich würde ja verlinken, allerdings dürfen die ÖR ja nur eine Woche Sendungen online stellen. Ach was solls, eine Woche ist viel: http://swrmediathek.de/player.htm?show=ec681700-ccd1-11df-a674-0026b975f2e6 []
  2. wer den Beitrag in der Tagesschau um 20.00 Uhr gesehen hat, wird wissen, was ich meine []
  3. Herr Rech hat sich darüber aufgeregt, dass ein Rollstuhlfahrer in der ersten Reihe saß []
  4. verschiedene Politiker waren der Ansicht, man würde die Kinder instrumentalisieren []
  5. die kann ich auch bewerten, ohne für oder gegen das Projekt zu sein []
  6. ich hätte es vermutlich nicht besser gemacht, aber ich bin ja auch kein hochbezahlter Spin-Doctor []
  7. hat ja beim Bürgerbegehren 2007 schon mal geklappt, wieso sollte man das nicht wiederholen können. http://www.zeit.de/2010/39/Bahnprojekt-Stuttgart-21?page=all []
  8. nachdem das mit dem marginalisieren schon nicht geklappt hat []
  9. völlig unabhängig von der Frage, ob die Bäume wirklich jetzt schon gefällt werden mussten wird wohl auch bei den meisten Demonstranten die Meinung vorherrschen, dass der Staat sein Gewaltmonopol auch nutzen können muss, sonst ist es keines []
  10. auch wenn ich mich damit vielleicht instrumentalisieren lasse []

Landtagswahlen in Baden-Württemberg: Wahlergebnisse von 2006

Mit knapp 4 1/2-jähriger Verspätung hat das statistische Landesamt die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen in Form verschiedener csv-Dateien auf ihrem Server veröffentlicht.

http://www.statistik-bw.de/Wahlen/Landtagswahl_2006/download.asp

Sogar umgerechnet auf die neuen Wahlkreise (das waren meine Zahlen, die ich mühsam aus csv-Dateien und Tabellen zusammengeklaubt hatte, nicht).

Wer also ein bisschen mit den Zahlen jonglieren will (Abstand CDU-Kandidat zum Zweitplatzierten, wie verteilen sich die Sitze der Parteien auf die Regierungspräsidien), wer schauen will, ob sich durch die Wahlkreiseinteilung gross was ändert (z.B. eine Grünen-Hochburg ist weggefallen, dafür kam eine konservative Umlandgemeinde hinzu), wer die Auswirkung der Änderungen des Wahlrechts im eigenen Regierungspräsidium nachvollziehen will (statt der absoluten Zahl an Stimmen entscheidet ab nächstem Jahr der Prozentanteil), kann das jetzt mit geprüften Daten des statistischen Landesamtes tun.

Nein, ich bin nicht so vermessen zu glauben, meine Email oder diverse Blogbeiträge, in denen ich das Fehlen der Daten bemängelt habe (und in denen ich die nordrhein-westfälische Landeswahlleiterin ausdrücklich für ihre zeitnahe Zurverfügungstellung der Daten gelobt habe), hätten diese Veröffentlichung bewirkt. Mir reicht einfach, dass sie da sind.

Weitere Hintergründe zur Landtagswahl gibt’s in den statistischen Monatsheften vom Juli und August 2010.

Und nachdem ich für trockene Statistiken und Wahlprognosen maximal einen Kommentar bekomme, für Erzählungen über Steuerhinterziehungen aber 11 (verhält sich übrigens umgekehrt proportional zu den Google-Treffern, die auf meine Seite kommen), versuche ich beim nächsten Beitrag halbwegs originell zu sein und keine Zahlen zu verwenden.